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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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kühle Grönlands loszusteuern, und wenn sie dort in gegebener Höhe (7S°)
sich nicht trafen, ihr Rendezvous bei der Sabine Insel zu suchen. Am 18.
Juli erst, einem feierlich schönen Sonntag schien die Sonne rein und klar.
Man hatte schon am Is. die Eiskante erreicht und mußte von da ab behut¬
sam dem Rande folgen. Den Eindruck und die Beleuchtung der weiten, in
tausend Farben glitzernden Fläche schildern unsre Gewährsmänner als einen
bezaubernd prächtigen. Und wie so die Nebel sich hoben, da schimmerten auch
die Segel der Schwesterschiffe einander vom Horizont aus zu, und am Abend
desselben Tages gegen 8 Uhr -- Abend -- in unserm Sinn kann man die Stunde
eigentlich nicht nennen, da den kühnen Seefahrern die Mitternachtsonne schien --
lagen sie wieder dicht aneinander. Die Herren von der Hansa waren an Bord der
Germania gekommen, labten sich an dem dort verstanden edlen Nauenthaler und
tauschten die Erlebnisse der letzten Tage. Um Mitternacht trennte man sich, voll
Freude und zuversichtlicher Hoffnung auf die Zukunft. In schwesterlicher Ein¬
tracht segelten beide Schiffe wieder nebeneinander her und mancher frohe Gruß
und Scherz hallte herüber und hinüber. Daran dachte in jener Nacht nie¬
mand, daß man zum letzten Mal so zusammen gewesen, daß die Männer
der Germania die Hansa nie mehr, die Besatzung erst nach vierzehnmonatlicher
Frist, als wunderbar vom Untergang gerettet, wiedersehen sollten! Am 19.
Juli zwar hielt sich die Hansa immer noch meist in Sicht. Aber am 20. Juli
früh, bei hartem Westsüdwestwind trennten sich die Schiffe für immer, in
Folge eines leidigen Mißverständnisses. Kapitän Koldewey hielt nämlich eine
nochmalige Berathung der beiden Kapitäne wünschenswerth und gab daher
der Hansa das Signal auf Rufweite heranzukommen: "evms unum denn".
Die Hansa verstand aber: "lonZ sea^ g,, xeal!", was Kapitän Hegemann im
gegebenen Fall dahin auslegte, sein Schiff solle, des Eisgangs wegen mög¬
lichst weit nach Westen segeln, um das freie, vom Eis unbesetzte "Landwasser"
der grönländischen Küste zu gewinnen. So setzte er denn mehr Segel, drang
weiter nach Westen und sah, da nun eben Nebel eintrat, die Germania
nicht wieder.

Hier beginnt auch im vorliegenden Werke die ausschließliche Schilderung
der Schicksale unsrer Helden. Bei der Trennung befanden sie sich auf 74°4'
nördlicher Breite und 12° 52' westlicher Länge. Langsam segelte die Hansa
durch das Eis westwärts im Nebel. Abends wurde aber das Eis dichter; schon
war nicht mehr möglich das Schiff zu wenden, Signalschüsse verhallten unge-
hört, das Steuer mußte an einer Scholle befestigt werden, um dessen Zer¬
brechen zu verhüten. Man war allein -- im Eise. Den folgenden Tag
schon gelang Herrn Hildebrandt eine gute Photographie der Hansa im Eise
^ vorläufig noch eine schmackhafte Neuheit, bald die immer bedrohlichere Ge¬
wohnheit von Wochen und Monaten! Seehunde und Narwale zeigten sich


kühle Grönlands loszusteuern, und wenn sie dort in gegebener Höhe (7S°)
sich nicht trafen, ihr Rendezvous bei der Sabine Insel zu suchen. Am 18.
Juli erst, einem feierlich schönen Sonntag schien die Sonne rein und klar.
Man hatte schon am Is. die Eiskante erreicht und mußte von da ab behut¬
sam dem Rande folgen. Den Eindruck und die Beleuchtung der weiten, in
tausend Farben glitzernden Fläche schildern unsre Gewährsmänner als einen
bezaubernd prächtigen. Und wie so die Nebel sich hoben, da schimmerten auch
die Segel der Schwesterschiffe einander vom Horizont aus zu, und am Abend
desselben Tages gegen 8 Uhr — Abend — in unserm Sinn kann man die Stunde
eigentlich nicht nennen, da den kühnen Seefahrern die Mitternachtsonne schien —
lagen sie wieder dicht aneinander. Die Herren von der Hansa waren an Bord der
Germania gekommen, labten sich an dem dort verstanden edlen Nauenthaler und
tauschten die Erlebnisse der letzten Tage. Um Mitternacht trennte man sich, voll
Freude und zuversichtlicher Hoffnung auf die Zukunft. In schwesterlicher Ein¬
tracht segelten beide Schiffe wieder nebeneinander her und mancher frohe Gruß
und Scherz hallte herüber und hinüber. Daran dachte in jener Nacht nie¬
mand, daß man zum letzten Mal so zusammen gewesen, daß die Männer
der Germania die Hansa nie mehr, die Besatzung erst nach vierzehnmonatlicher
Frist, als wunderbar vom Untergang gerettet, wiedersehen sollten! Am 19.
Juli zwar hielt sich die Hansa immer noch meist in Sicht. Aber am 20. Juli
früh, bei hartem Westsüdwestwind trennten sich die Schiffe für immer, in
Folge eines leidigen Mißverständnisses. Kapitän Koldewey hielt nämlich eine
nochmalige Berathung der beiden Kapitäne wünschenswerth und gab daher
der Hansa das Signal auf Rufweite heranzukommen: „evms unum denn".
Die Hansa verstand aber: „lonZ sea^ g,, xeal!", was Kapitän Hegemann im
gegebenen Fall dahin auslegte, sein Schiff solle, des Eisgangs wegen mög¬
lichst weit nach Westen segeln, um das freie, vom Eis unbesetzte „Landwasser"
der grönländischen Küste zu gewinnen. So setzte er denn mehr Segel, drang
weiter nach Westen und sah, da nun eben Nebel eintrat, die Germania
nicht wieder.

Hier beginnt auch im vorliegenden Werke die ausschließliche Schilderung
der Schicksale unsrer Helden. Bei der Trennung befanden sie sich auf 74°4'
nördlicher Breite und 12° 52' westlicher Länge. Langsam segelte die Hansa
durch das Eis westwärts im Nebel. Abends wurde aber das Eis dichter; schon
war nicht mehr möglich das Schiff zu wenden, Signalschüsse verhallten unge-
hört, das Steuer mußte an einer Scholle befestigt werden, um dessen Zer¬
brechen zu verhüten. Man war allein — im Eise. Den folgenden Tag
schon gelang Herrn Hildebrandt eine gute Photographie der Hansa im Eise
^ vorläufig noch eine schmackhafte Neuheit, bald die immer bedrohlichere Ge¬
wohnheit von Wochen und Monaten! Seehunde und Narwale zeigten sich


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[0461] kühle Grönlands loszusteuern, und wenn sie dort in gegebener Höhe (7S°) sich nicht trafen, ihr Rendezvous bei der Sabine Insel zu suchen. Am 18. Juli erst, einem feierlich schönen Sonntag schien die Sonne rein und klar. Man hatte schon am Is. die Eiskante erreicht und mußte von da ab behut¬ sam dem Rande folgen. Den Eindruck und die Beleuchtung der weiten, in tausend Farben glitzernden Fläche schildern unsre Gewährsmänner als einen bezaubernd prächtigen. Und wie so die Nebel sich hoben, da schimmerten auch die Segel der Schwesterschiffe einander vom Horizont aus zu, und am Abend desselben Tages gegen 8 Uhr — Abend — in unserm Sinn kann man die Stunde eigentlich nicht nennen, da den kühnen Seefahrern die Mitternachtsonne schien — lagen sie wieder dicht aneinander. Die Herren von der Hansa waren an Bord der Germania gekommen, labten sich an dem dort verstanden edlen Nauenthaler und tauschten die Erlebnisse der letzten Tage. Um Mitternacht trennte man sich, voll Freude und zuversichtlicher Hoffnung auf die Zukunft. In schwesterlicher Ein¬ tracht segelten beide Schiffe wieder nebeneinander her und mancher frohe Gruß und Scherz hallte herüber und hinüber. Daran dachte in jener Nacht nie¬ mand, daß man zum letzten Mal so zusammen gewesen, daß die Männer der Germania die Hansa nie mehr, die Besatzung erst nach vierzehnmonatlicher Frist, als wunderbar vom Untergang gerettet, wiedersehen sollten! Am 19. Juli zwar hielt sich die Hansa immer noch meist in Sicht. Aber am 20. Juli früh, bei hartem Westsüdwestwind trennten sich die Schiffe für immer, in Folge eines leidigen Mißverständnisses. Kapitän Koldewey hielt nämlich eine nochmalige Berathung der beiden Kapitäne wünschenswerth und gab daher der Hansa das Signal auf Rufweite heranzukommen: „evms unum denn". Die Hansa verstand aber: „lonZ sea^ g,, xeal!", was Kapitän Hegemann im gegebenen Fall dahin auslegte, sein Schiff solle, des Eisgangs wegen mög¬ lichst weit nach Westen segeln, um das freie, vom Eis unbesetzte „Landwasser" der grönländischen Küste zu gewinnen. So setzte er denn mehr Segel, drang weiter nach Westen und sah, da nun eben Nebel eintrat, die Germania nicht wieder. Hier beginnt auch im vorliegenden Werke die ausschließliche Schilderung der Schicksale unsrer Helden. Bei der Trennung befanden sie sich auf 74°4' nördlicher Breite und 12° 52' westlicher Länge. Langsam segelte die Hansa durch das Eis westwärts im Nebel. Abends wurde aber das Eis dichter; schon war nicht mehr möglich das Schiff zu wenden, Signalschüsse verhallten unge- hört, das Steuer mußte an einer Scholle befestigt werden, um dessen Zer¬ brechen zu verhüten. Man war allein — im Eise. Den folgenden Tag schon gelang Herrn Hildebrandt eine gute Photographie der Hansa im Eise ^ vorläufig noch eine schmackhafte Neuheit, bald die immer bedrohlichere Ge¬ wohnheit von Wochen und Monaten! Seehunde und Narwale zeigten sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/461>, abgerufen am 24.08.2024.