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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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reden in doetrinärer Weise an dem Grundsatz fest hielt, die Steuerpflicht
müsse soweit reichen als die Wehrpflicht; mit andern Worten, es dürfte außer
dem Almosenempfänger keine Ausnahme von der Steuerpflicht geben. Dieß-
mal haben sich Regierung und Abgeordnetenhaus dahin geeinigt, daß die
Klassensteuer von nun an in zwölf Stufen erhoben werden soll, deren niedrigste
das Einkommen von 140 -- 220 Thlr., deren zweitniedrigste das Einkommen
von 220 bis 300 Thlr.. umfaßt. Die erste (niedrigste) Stufe hat jährlich
einen Thaler die zweite jährlich 2 Thlr. zu entrichten. Die zwölfte (höchste)
Stufe umfaßt das Einkommen von 900--1000 Thaler einschließlich und hat
einen Steuersatz von jährlich 24 Thlr., zu entrichten.

Wir unsrerseits finden diese Bestimmungen ganz rationell, nur daß wir
das klassensteuerpflichtigte Einkommen in 10 Stufen getheilt und erst nach
300 Thlr. beginnend, wünschten. Der Grundsatz, daß die Rechte den Pflichten
entsprechen müssen, der seinem Wesen nach aristokratisch und ganz und gar
nicht demokratisch ist, hat dem ungeachtet dem öffentlichen Bewußtsein in
Deutschland sich so sehr eingeprägt, was als ein höchst werthvoller Fortschritt
zu betrachten ist, daß auch die Demokraten sich nicht leicht mehr getrauen,
politische Rechte ohne entgegenstehende Pflichten zu fordern, daher kommt es,
daß die Demokraten möglichst fest halten wollen an der Ausdehnung der Steuer¬
pflicht auch auf die Mindestbegüterten. Denn in der untersten socialen Schicht
suchen sie die Soldaten für einen Staatsinhalt nach ihrem Herzen. Wir
beschäftigen uns heute nicht weiter mit der Richtigkeit dieser politischen Spe-
culation. Wir erklären nur den demokratischen Widerstand gegen eine aus¬
reichende Steuerbefreiung der Mindestbegüterten. Unsrerseits dagegen halten
wir es für eine Ehrensache des Staates, daß er von denjenigen Angehörigen,
deren Erwerb nicht hinausreicht über die Nothdurft des Lebens, keinen Bei¬
trag zu seinen Lasten verlangt. Es muß bemerkt werden, daß die Regierung
den Beginn des klassensteuerpflichtigen Einkommens von 140 Thlr. an selbst
vorgeschlagen hatte. Es muß ferner bemerkt werden, daß ein immerhin schon
beträchtlicher Theil der Bevölkerung damit von jeder directen Personalsteuer
befreit wird. Nur glauben wir, daß die richtige Grenze bis zu welcher die
Befreiung sich erstrecken muß, noch nicht erreicht ist. Die Regierung ihrerseits
war mit der Befreiung deßhalb nicht höher heraufgegangen, weil sie den Ge-
sammtertrag der Klassensteuer nicht zu sehr verringern wollte. Auf den Vor¬
schlag der Commission ist nun aber dieser Gesammtertrag gesetzlich festgestellt
worden und zwar auf elf Millionen Thaler jährlich. Es handelt sich also nur
darum, diese 11 Millionen auf die einzelnen steuerpflichtigen Stufen auszu¬
schreiben. Bei dieser Sachlage hätte man sehr wohl das Steuerpflichtige Ein¬
kommen erst von 300 Thlr. beginnen lassen können. Was dagegen vorge¬
bracht wurde, theils im Hause theils in der Commission, war gar schwach.


reden in doetrinärer Weise an dem Grundsatz fest hielt, die Steuerpflicht
müsse soweit reichen als die Wehrpflicht; mit andern Worten, es dürfte außer
dem Almosenempfänger keine Ausnahme von der Steuerpflicht geben. Dieß-
mal haben sich Regierung und Abgeordnetenhaus dahin geeinigt, daß die
Klassensteuer von nun an in zwölf Stufen erhoben werden soll, deren niedrigste
das Einkommen von 140 — 220 Thlr., deren zweitniedrigste das Einkommen
von 220 bis 300 Thlr.. umfaßt. Die erste (niedrigste) Stufe hat jährlich
einen Thaler die zweite jährlich 2 Thlr. zu entrichten. Die zwölfte (höchste)
Stufe umfaßt das Einkommen von 900—1000 Thaler einschließlich und hat
einen Steuersatz von jährlich 24 Thlr., zu entrichten.

Wir unsrerseits finden diese Bestimmungen ganz rationell, nur daß wir
das klassensteuerpflichtigte Einkommen in 10 Stufen getheilt und erst nach
300 Thlr. beginnend, wünschten. Der Grundsatz, daß die Rechte den Pflichten
entsprechen müssen, der seinem Wesen nach aristokratisch und ganz und gar
nicht demokratisch ist, hat dem ungeachtet dem öffentlichen Bewußtsein in
Deutschland sich so sehr eingeprägt, was als ein höchst werthvoller Fortschritt
zu betrachten ist, daß auch die Demokraten sich nicht leicht mehr getrauen,
politische Rechte ohne entgegenstehende Pflichten zu fordern, daher kommt es,
daß die Demokraten möglichst fest halten wollen an der Ausdehnung der Steuer¬
pflicht auch auf die Mindestbegüterten. Denn in der untersten socialen Schicht
suchen sie die Soldaten für einen Staatsinhalt nach ihrem Herzen. Wir
beschäftigen uns heute nicht weiter mit der Richtigkeit dieser politischen Spe-
culation. Wir erklären nur den demokratischen Widerstand gegen eine aus¬
reichende Steuerbefreiung der Mindestbegüterten. Unsrerseits dagegen halten
wir es für eine Ehrensache des Staates, daß er von denjenigen Angehörigen,
deren Erwerb nicht hinausreicht über die Nothdurft des Lebens, keinen Bei¬
trag zu seinen Lasten verlangt. Es muß bemerkt werden, daß die Regierung
den Beginn des klassensteuerpflichtigen Einkommens von 140 Thlr. an selbst
vorgeschlagen hatte. Es muß ferner bemerkt werden, daß ein immerhin schon
beträchtlicher Theil der Bevölkerung damit von jeder directen Personalsteuer
befreit wird. Nur glauben wir, daß die richtige Grenze bis zu welcher die
Befreiung sich erstrecken muß, noch nicht erreicht ist. Die Regierung ihrerseits
war mit der Befreiung deßhalb nicht höher heraufgegangen, weil sie den Ge-
sammtertrag der Klassensteuer nicht zu sehr verringern wollte. Auf den Vor¬
schlag der Commission ist nun aber dieser Gesammtertrag gesetzlich festgestellt
worden und zwar auf elf Millionen Thaler jährlich. Es handelt sich also nur
darum, diese 11 Millionen auf die einzelnen steuerpflichtigen Stufen auszu¬
schreiben. Bei dieser Sachlage hätte man sehr wohl das Steuerpflichtige Ein¬
kommen erst von 300 Thlr. beginnen lassen können. Was dagegen vorge¬
bracht wurde, theils im Hause theils in der Commission, war gar schwach.


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[0437] reden in doetrinärer Weise an dem Grundsatz fest hielt, die Steuerpflicht müsse soweit reichen als die Wehrpflicht; mit andern Worten, es dürfte außer dem Almosenempfänger keine Ausnahme von der Steuerpflicht geben. Dieß- mal haben sich Regierung und Abgeordnetenhaus dahin geeinigt, daß die Klassensteuer von nun an in zwölf Stufen erhoben werden soll, deren niedrigste das Einkommen von 140 — 220 Thlr., deren zweitniedrigste das Einkommen von 220 bis 300 Thlr.. umfaßt. Die erste (niedrigste) Stufe hat jährlich einen Thaler die zweite jährlich 2 Thlr. zu entrichten. Die zwölfte (höchste) Stufe umfaßt das Einkommen von 900—1000 Thaler einschließlich und hat einen Steuersatz von jährlich 24 Thlr., zu entrichten. Wir unsrerseits finden diese Bestimmungen ganz rationell, nur daß wir das klassensteuerpflichtigte Einkommen in 10 Stufen getheilt und erst nach 300 Thlr. beginnend, wünschten. Der Grundsatz, daß die Rechte den Pflichten entsprechen müssen, der seinem Wesen nach aristokratisch und ganz und gar nicht demokratisch ist, hat dem ungeachtet dem öffentlichen Bewußtsein in Deutschland sich so sehr eingeprägt, was als ein höchst werthvoller Fortschritt zu betrachten ist, daß auch die Demokraten sich nicht leicht mehr getrauen, politische Rechte ohne entgegenstehende Pflichten zu fordern, daher kommt es, daß die Demokraten möglichst fest halten wollen an der Ausdehnung der Steuer¬ pflicht auch auf die Mindestbegüterten. Denn in der untersten socialen Schicht suchen sie die Soldaten für einen Staatsinhalt nach ihrem Herzen. Wir beschäftigen uns heute nicht weiter mit der Richtigkeit dieser politischen Spe- culation. Wir erklären nur den demokratischen Widerstand gegen eine aus¬ reichende Steuerbefreiung der Mindestbegüterten. Unsrerseits dagegen halten wir es für eine Ehrensache des Staates, daß er von denjenigen Angehörigen, deren Erwerb nicht hinausreicht über die Nothdurft des Lebens, keinen Bei¬ trag zu seinen Lasten verlangt. Es muß bemerkt werden, daß die Regierung den Beginn des klassensteuerpflichtigen Einkommens von 140 Thlr. an selbst vorgeschlagen hatte. Es muß ferner bemerkt werden, daß ein immerhin schon beträchtlicher Theil der Bevölkerung damit von jeder directen Personalsteuer befreit wird. Nur glauben wir, daß die richtige Grenze bis zu welcher die Befreiung sich erstrecken muß, noch nicht erreicht ist. Die Regierung ihrerseits war mit der Befreiung deßhalb nicht höher heraufgegangen, weil sie den Ge- sammtertrag der Klassensteuer nicht zu sehr verringern wollte. Auf den Vor¬ schlag der Commission ist nun aber dieser Gesammtertrag gesetzlich festgestellt worden und zwar auf elf Millionen Thaler jährlich. Es handelt sich also nur darum, diese 11 Millionen auf die einzelnen steuerpflichtigen Stufen auszu¬ schreiben. Bei dieser Sachlage hätte man sehr wohl das Steuerpflichtige Ein¬ kommen erst von 300 Thlr. beginnen lassen können. Was dagegen vorge¬ bracht wurde, theils im Hause theils in der Commission, war gar schwach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/437>, abgerufen am 25.08.2024.