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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Wonnen, und dieser Typus ist mit seinen Aeußerungen eine Macht, wenn auch
keine sehr heilsame, im deutschen Leben geworden. Wo die Posse uns in den
Typen der höheren Gesellschaft den Schurken oder den Tölpel zeigt, da sollte
uns das höhere Lustspiel den Kampf mit den Problemen, den werdenden Sieg,
die Hervorbildung der sittlichen Genialität zeigen. Aber das ist schwer, es
kann nur langsam kommen, und setzt entwickeltere Keime des wirklichen Lebens
voraus, als bis jetzt noch vorhanden sind. Die Carrikaturen der Posse sind
leichter zu haben. Darum florirt sie jetzt. Noch einige Zeit, und wir werden
Besseres sehen -- wenn wir verstehen den Staat zu behaupten und durchzu¬
Felix Cain. bilden.




Ueue üteraturgeschichtüche Werke.

Die fünfte AuflagedesKo b erstem'schen Grundrisses der Geschichte
der deutschen Nationalliteratur*) ist durch eine seltsame Fügung des
Schicksals gleichzeitig mit der fünften Auflage von Gervinus' Geschichte der
deutschen Dichtung den Händen ihrer Verfasser entfallen. Koberstein starb,
ehe er noch das druckfertige Manuseript des 1. Bandes seines eigentlichen
Lebenswerkes abschließen konnte, Gervinus sah wenigstens noch den ganzen
ersten Band und einen Theil des zweiten gedruckt vor sich liegen. Zum Glück
für die Wissenschaft sind beide Bücher nicht verwaist geblieben, wie es doch so
leicht hätte geschehen können. Die erstaunliche Arbeitskraft Karl Bartsch's
hat sich beider angenommen und damit ist die Bürgschaft gegeben, daß beide
nicht bloß in äußerlicher Vollständigkeit, sondern auch in der wünschenswerten
inneren Vollendung unserer Literatur als dauernde Zierden erhalten werden.
Es scheint uns überflüssig, die eigenthümliche Bedeutung von "Koberstein", denn
so darf wohl das Buch in jedem Sinne nach wie wie vor heißen, zu erörtern.
Giebt es doch in Deutschland keinen gebildeten, wollen wir nicht sagen, aber
doch keinen mit literarischem und culturgeschichtlichem Forschen beschäftigten
Mann, der diesem Buche nicht zum größten Danke verpflichtet wäre. Freilich
mußte man bisher allerlei Unbequemes dabei mit in Kauf nehmen, doch pflegt
man in dieser Hinsicht bei uns in Deutschland nicht so heilet zu sein. Denn
das Buch war seinem Verfasser namentlich zu etwas ganz anderem geworden,
als er ursprünglich beabsichtigt hatte. "Zum Gebrauch auf Gymnasien" sollte



-) August Koberstein's Grundriß der Geschichte der deutschen Nationalliteratur. 5.
umgearb. Aufl. v. K. Barisch l.--3, Bd. Leipzig 1872, Vogel's Verlag.

Wonnen, und dieser Typus ist mit seinen Aeußerungen eine Macht, wenn auch
keine sehr heilsame, im deutschen Leben geworden. Wo die Posse uns in den
Typen der höheren Gesellschaft den Schurken oder den Tölpel zeigt, da sollte
uns das höhere Lustspiel den Kampf mit den Problemen, den werdenden Sieg,
die Hervorbildung der sittlichen Genialität zeigen. Aber das ist schwer, es
kann nur langsam kommen, und setzt entwickeltere Keime des wirklichen Lebens
voraus, als bis jetzt noch vorhanden sind. Die Carrikaturen der Posse sind
leichter zu haben. Darum florirt sie jetzt. Noch einige Zeit, und wir werden
Besseres sehen — wenn wir verstehen den Staat zu behaupten und durchzu¬
Felix Cain. bilden.




Ueue üteraturgeschichtüche Werke.

Die fünfte AuflagedesKo b erstem'schen Grundrisses der Geschichte
der deutschen Nationalliteratur*) ist durch eine seltsame Fügung des
Schicksals gleichzeitig mit der fünften Auflage von Gervinus' Geschichte der
deutschen Dichtung den Händen ihrer Verfasser entfallen. Koberstein starb,
ehe er noch das druckfertige Manuseript des 1. Bandes seines eigentlichen
Lebenswerkes abschließen konnte, Gervinus sah wenigstens noch den ganzen
ersten Band und einen Theil des zweiten gedruckt vor sich liegen. Zum Glück
für die Wissenschaft sind beide Bücher nicht verwaist geblieben, wie es doch so
leicht hätte geschehen können. Die erstaunliche Arbeitskraft Karl Bartsch's
hat sich beider angenommen und damit ist die Bürgschaft gegeben, daß beide
nicht bloß in äußerlicher Vollständigkeit, sondern auch in der wünschenswerten
inneren Vollendung unserer Literatur als dauernde Zierden erhalten werden.
Es scheint uns überflüssig, die eigenthümliche Bedeutung von „Koberstein", denn
so darf wohl das Buch in jedem Sinne nach wie wie vor heißen, zu erörtern.
Giebt es doch in Deutschland keinen gebildeten, wollen wir nicht sagen, aber
doch keinen mit literarischem und culturgeschichtlichem Forschen beschäftigten
Mann, der diesem Buche nicht zum größten Danke verpflichtet wäre. Freilich
mußte man bisher allerlei Unbequemes dabei mit in Kauf nehmen, doch pflegt
man in dieser Hinsicht bei uns in Deutschland nicht so heilet zu sein. Denn
das Buch war seinem Verfasser namentlich zu etwas ganz anderem geworden,
als er ursprünglich beabsichtigt hatte. „Zum Gebrauch auf Gymnasien" sollte



-) August Koberstein's Grundriß der Geschichte der deutschen Nationalliteratur. 5.
umgearb. Aufl. v. K. Barisch l.—3, Bd. Leipzig 1872, Vogel's Verlag.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/43>, abgerufen am 26.06.2024.