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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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zieht: es ist das hiesige katholische Seminar. Welche Zärtlichkeit ferner der
niedere Clerus für das deutsche Reich im Busen trägt, davon geben die Dorf¬
kanzeln und gelegentlich auch die Erzählungen der Landleute sattsam Zeugniß.
Was soll man dazu sagen, wenn ein elsässischer Recrut von Thüringen aus
mit rührender Naivität seine Mutter ersucht, sie möge dem Herrn Pfarrer
mittheilen, daß er keineswegs, wie ihm derselbe so oft in Aussicht gestellt, von
den Unterofficieren geschlagen werde? Zum mindesten kann jetzt kein Zweifel
mehr darüber obwalten, wer die tausend haarsträubenden Fabeln über das
deutsche Soldatenleben unter das Volk gebracht hat. Die Regierung kann
keinen Augenblick daran denken, diesen Thatsachen gegenüber die Augen zu
verschließen. Sie braucht den Kampf nicht zu suchen, aber sie muß ihn, wie
drüben im Reich, getrost aufnehmen, wo immer er ihr angeboten wird. Künst¬
liche Verschleppung würde schwerlich etwas nützen, vielmehr geradezu schaden;
denn derjenige Theil des elsaß-lothringischen Volkes -- und es ist kein geringer
-- welcher in der Bekämpfung des Ultramontanismus hinter der Regierung
steht, würde ihre Pläne nicht verstehen und an ihr irre werden.

Ueberhaupt scheint es, daß unsere Bevölkerung leicht zu gewinnen ist, so¬
bald man ihr einmal Vertrauen zur deutschen Verwaltung eingeflößt hat.
Welche Erfolge in dieser Beziehung die Administrativbeamten zu erzielen ver¬
mögen, hat sich vor Kurzem in den Städten Molsheim und Erstem gezeigt.
In der ersteren war der nach Straßburg versetzte bisherige Kreisdirector Ge¬
genstand einer Abschiedsovation, wie sie nirgends in Deutschland lebhafter
und anerkennungsvoller hätte sein können, und in letzterer gestaltete sich die
Rückkehr des Kreisdirectors von der Hochzeitsreise zu einem förmlichen Fest¬
tage: Abholung des jungen Ehepaars vom Bahnhofe durch berittene elsässer
Burschen. Ehrenpforte, Empfang durch weißgekleidete elsässer Jungfrauen, An¬
sprache der städtischen Behörden. Ständchen der Liedertafel am Abend -- Alles
leg'e artis. wie es die loyalste altdeutsche Kreisstadt nicht glänzender und ent¬
gegenkommender hätte ersinnen können. Das sind geringfügige Züge, aber
sie dürften den Franzosen beweisen, daß Elsaß-Lothringen denn doch kein Ve-
netien ist.




Dom preußischen Landtag.

In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 24. Februar wurde ein die
Neuregelung der Erbschaftssteuer bezweckender Gesetzentwurf, welcher, von der
Regierung eingebracht, in der ersten Berathung an eine Commission verwiesen


zieht: es ist das hiesige katholische Seminar. Welche Zärtlichkeit ferner der
niedere Clerus für das deutsche Reich im Busen trägt, davon geben die Dorf¬
kanzeln und gelegentlich auch die Erzählungen der Landleute sattsam Zeugniß.
Was soll man dazu sagen, wenn ein elsässischer Recrut von Thüringen aus
mit rührender Naivität seine Mutter ersucht, sie möge dem Herrn Pfarrer
mittheilen, daß er keineswegs, wie ihm derselbe so oft in Aussicht gestellt, von
den Unterofficieren geschlagen werde? Zum mindesten kann jetzt kein Zweifel
mehr darüber obwalten, wer die tausend haarsträubenden Fabeln über das
deutsche Soldatenleben unter das Volk gebracht hat. Die Regierung kann
keinen Augenblick daran denken, diesen Thatsachen gegenüber die Augen zu
verschließen. Sie braucht den Kampf nicht zu suchen, aber sie muß ihn, wie
drüben im Reich, getrost aufnehmen, wo immer er ihr angeboten wird. Künst¬
liche Verschleppung würde schwerlich etwas nützen, vielmehr geradezu schaden;
denn derjenige Theil des elsaß-lothringischen Volkes — und es ist kein geringer
— welcher in der Bekämpfung des Ultramontanismus hinter der Regierung
steht, würde ihre Pläne nicht verstehen und an ihr irre werden.

Ueberhaupt scheint es, daß unsere Bevölkerung leicht zu gewinnen ist, so¬
bald man ihr einmal Vertrauen zur deutschen Verwaltung eingeflößt hat.
Welche Erfolge in dieser Beziehung die Administrativbeamten zu erzielen ver¬
mögen, hat sich vor Kurzem in den Städten Molsheim und Erstem gezeigt.
In der ersteren war der nach Straßburg versetzte bisherige Kreisdirector Ge¬
genstand einer Abschiedsovation, wie sie nirgends in Deutschland lebhafter
und anerkennungsvoller hätte sein können, und in letzterer gestaltete sich die
Rückkehr des Kreisdirectors von der Hochzeitsreise zu einem förmlichen Fest¬
tage: Abholung des jungen Ehepaars vom Bahnhofe durch berittene elsässer
Burschen. Ehrenpforte, Empfang durch weißgekleidete elsässer Jungfrauen, An¬
sprache der städtischen Behörden. Ständchen der Liedertafel am Abend — Alles
leg'e artis. wie es die loyalste altdeutsche Kreisstadt nicht glänzender und ent¬
gegenkommender hätte ersinnen können. Das sind geringfügige Züge, aber
sie dürften den Franzosen beweisen, daß Elsaß-Lothringen denn doch kein Ve-
netien ist.




Dom preußischen Landtag.

In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 24. Februar wurde ein die
Neuregelung der Erbschaftssteuer bezweckender Gesetzentwurf, welcher, von der
Regierung eingebracht, in der ersten Berathung an eine Commission verwiesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/402>, abgerufen am 25.08.2024.