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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ihr Verhalten als einen Maßstab für die Bereitwilligkeit des Landes zur
Theilnahme an der praktisch-politischen Arbeit betrachten, und je nachdem, die
Bezirksvertretungen als Ausgangspunkt für eine zukünftige elsaß-lothringische
Landesvertretung benutzen wird. Wir freuen uns, eine vor vier Wochen an
dieser Stelle ausgesprochene Hoffnung hierdurch bestätigt zu finden. Auch die
Bestimmung des Gesetzes, welche alle im Reichslande niedergelassenen Deut¬
schen, die das 2S. Lebensjahr zurückgelegt haben, ohne Rücksicht auf die elsa߬
lothringische Staatsangehörigkeit für wahlberechtigt erklärt, kann nur will¬
kommen geheißen werden. Nach deutschem Staatsrecht ließen sich ihr freilich
gewichtige Bedenken entgegenstellen, da kein Angehöriger eines deutschen Bun¬
desstaats in einem anderen Bundesstaate zur Theilnahme an den Wahlen zu
Bezirks- und Landesvertretungen zugelassen wird, ohne vorher in demselben
die Staatsangehörigkeit erworben zu haben. Offenbar kann hier bei uns
"ber nur das französische Staatsrecht maßgebend sein; denn wenn jeder
ehemalige Franzose aus jedem beliebigen Theile Frankreichs, lediglich infolge
des zufälligen Umstandes. daß er vor dem 1. Oetober 1872 im Reichslande
Wohnsitz genommen hat und inzwischen nicht wieder ausgewandert ist. für
wahlberechtigt gilt, so wäre nicht einzusehen, aus welchem Grunde man nicht
jeden Deutschen aus jedem beliebigen Theile Deutschlands nach demselben
Prinzip behandeln sollte. Daß es außerdem politisch von großem Werthe ist,
Wenn die Eingewanderten von der anderen Seite des Rheins nicht durch eine
immerhin lästige Vorbedingung mit der öl8 inertiae in Conflict gebracht
werden, bedarf weiter keiner Erwähnung. Dagegen enthält das Wahlgesetz
eine andere Bestimmung, die uns weder unter dem rechtlichen noch unter dem
politischen Gesichtspunkte makellos erscheinen will. Alle diejenigen, welche im
vorigen Jahre eine Optionserklärung für die französische Nationalität abge¬
geben, jedoch ihren Wohnsitz nicht nach Frankreich verlegt haben, sollen nur
Ruch ausdrücklicher Zurücknahme dieser Erklärung ihr Wahlrecht ausüben
dürfen. Die Regierung hat aber seinerzeit erklärt, daß sie jede Optionser¬
klärung, welcher nicht bis zum 1. Oetober 1872 die Auswanderung nach
Frankreich gefolgt sei, als ungültig betrachten werde; die Kreisdireetionen
stellen außerdem seit einiger Zeit den nicht ausgewanderten Optanten unauf¬
gefordert die ausdrückliche Erklärung zu, daß ihre Option "wirkungslos" sei.
Nun. die Entziehung der Wahlberechtigung scheint uns denn doch eine sehr
wesentliche Wirkung zu sein. Die fragliche Gesetzesbestimmung ist also zum
Windesten eine juridische Inconsequenz. Aber noch mehr- alle Welt weiß, daß
von den Optanten die Nichtausgewanderten die ungeheure Mehrzahl bilden und
einen beträchtlichen Theil der elsaß-lothringischen Bevölkerung ausmachen.
Was ist natürlicher, als daß die deutschfeindliche Presse jenseits wie diesseits
der Vogesen die bevorstehenden Wahlen als eine Fälschung der öffentlichen


ihr Verhalten als einen Maßstab für die Bereitwilligkeit des Landes zur
Theilnahme an der praktisch-politischen Arbeit betrachten, und je nachdem, die
Bezirksvertretungen als Ausgangspunkt für eine zukünftige elsaß-lothringische
Landesvertretung benutzen wird. Wir freuen uns, eine vor vier Wochen an
dieser Stelle ausgesprochene Hoffnung hierdurch bestätigt zu finden. Auch die
Bestimmung des Gesetzes, welche alle im Reichslande niedergelassenen Deut¬
schen, die das 2S. Lebensjahr zurückgelegt haben, ohne Rücksicht auf die elsa߬
lothringische Staatsangehörigkeit für wahlberechtigt erklärt, kann nur will¬
kommen geheißen werden. Nach deutschem Staatsrecht ließen sich ihr freilich
gewichtige Bedenken entgegenstellen, da kein Angehöriger eines deutschen Bun¬
desstaats in einem anderen Bundesstaate zur Theilnahme an den Wahlen zu
Bezirks- und Landesvertretungen zugelassen wird, ohne vorher in demselben
die Staatsangehörigkeit erworben zu haben. Offenbar kann hier bei uns
«ber nur das französische Staatsrecht maßgebend sein; denn wenn jeder
ehemalige Franzose aus jedem beliebigen Theile Frankreichs, lediglich infolge
des zufälligen Umstandes. daß er vor dem 1. Oetober 1872 im Reichslande
Wohnsitz genommen hat und inzwischen nicht wieder ausgewandert ist. für
wahlberechtigt gilt, so wäre nicht einzusehen, aus welchem Grunde man nicht
jeden Deutschen aus jedem beliebigen Theile Deutschlands nach demselben
Prinzip behandeln sollte. Daß es außerdem politisch von großem Werthe ist,
Wenn die Eingewanderten von der anderen Seite des Rheins nicht durch eine
immerhin lästige Vorbedingung mit der öl8 inertiae in Conflict gebracht
werden, bedarf weiter keiner Erwähnung. Dagegen enthält das Wahlgesetz
eine andere Bestimmung, die uns weder unter dem rechtlichen noch unter dem
politischen Gesichtspunkte makellos erscheinen will. Alle diejenigen, welche im
vorigen Jahre eine Optionserklärung für die französische Nationalität abge¬
geben, jedoch ihren Wohnsitz nicht nach Frankreich verlegt haben, sollen nur
Ruch ausdrücklicher Zurücknahme dieser Erklärung ihr Wahlrecht ausüben
dürfen. Die Regierung hat aber seinerzeit erklärt, daß sie jede Optionser¬
klärung, welcher nicht bis zum 1. Oetober 1872 die Auswanderung nach
Frankreich gefolgt sei, als ungültig betrachten werde; die Kreisdireetionen
stellen außerdem seit einiger Zeit den nicht ausgewanderten Optanten unauf¬
gefordert die ausdrückliche Erklärung zu, daß ihre Option „wirkungslos" sei.
Nun. die Entziehung der Wahlberechtigung scheint uns denn doch eine sehr
wesentliche Wirkung zu sein. Die fragliche Gesetzesbestimmung ist also zum
Windesten eine juridische Inconsequenz. Aber noch mehr- alle Welt weiß, daß
von den Optanten die Nichtausgewanderten die ungeheure Mehrzahl bilden und
einen beträchtlichen Theil der elsaß-lothringischen Bevölkerung ausmachen.
Was ist natürlicher, als daß die deutschfeindliche Presse jenseits wie diesseits
der Vogesen die bevorstehenden Wahlen als eine Fälschung der öffentlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/399>, abgerufen am 24.08.2024.