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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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"Seine herzogliche Durchlaucht haben mich diesen Nachmittag zu sich rufen lassen
und mir zu erklären geruhet, wie Sie, da Sie ohnehin nicht mehr lange leben wür¬
den, zum Besten Ihrer Unterthanen 10,000 Thlr. von Ihrem Etat schwinden lassen,
auch die streitigen Gctreidevächte aufgeben wollten, Sie würden sich, da Sie sich
jetzt nicht mehr in Cdthen mit Anstand aufhalten konnten, nach Roßlau begeben und
dort die noch übrigen wenigen Tage Ihres Lebens in der Einsamkeit zubringen. In
dem ich diese Erklärung sorsnissimi bekannt mache, wiederhole ich Ihnen zugleich die
Versicherung meiner größten Hochachtung."

Eins bleibt jetzt nur noch übrig: nach dem Schöpfer seine Schöpfung
zu Grabe zu begleiten. Diese überlebte den Herzog nur kurze Zeit, und sie
ging so schnell als sie gekommen war. obgleich der Herzog es nicht hatte an
Maßregeln fehlen lassen, seinen künstlichen Aufbau über seinen Tod hinaus
aufrecht zu erhalten. Im Juli 1811 hatte er, durch einen heftigen Blutsturz
an seine Sterblichkeit gemahnt, ein "Hausgesetz" ausgearbeitet und am
18. September desselben Jahres dem Staatsrath zur Aufbewahrung im Haus¬
archiv überreichen lassen, welches nun unmittelbar nach seinem Tode, unter
dem 6. Mai 1812, durch die Staatszeitung publicirt wurde. Unter vielen
die Erbfolge, die Vormundschaft über seinen Nachfolger, das Verhältniß
des Herzogs zu den Familiengliedern :c. betreffenden Verfügungen hatte er
darin verordnet, daß während der Minderjährigkeit des regierenden Landes¬
herrn keine Veränderungen in der Verfassung des Herzogthums gemacht wer¬
den sollten. Allein diese Bestimmungen blieben ohne Erfolg.

Es übernahm Herzog Franz. der Senior des Hauses Anhalt, "über¬
zeugt, daß es dem Wunsche Sr. kaiserlich königl. Majestät von Frankreich
als Protector des Rheinbunds gemäß sei" in einem Schreiben an den Staats¬
rath vom 3. Juli 1812, einstweilen nur provisorisch, die Regierungsvormund¬
schaft und setzte eine vormundschaftliche Commission ein. Die Bitten des
Landes um Aufhebung der Verfassung strömten ihm zu, die Finanzen erheischten
eine schleunige Abhülfe, und so erfolgte denn, nachdem mittelst besonderer
Verfügung noch im August das Ministerium suspendirt und nachdem die zahl¬
reiche Hofdienerschaft theils mit Pension theils mit einer Abfindungssumme
entlassen war*) unter dem 24. October 1812 folgendes denkwürdige Publican-
dum des Herzogs Franz:


"Nachdem Wir Uns aus den Uns erstatteten Berichten und Gutachten mehrerer
Räthe sowohl als den Bitten und Beschwerden der Landstände und Unterthanen über¬
zeugt haben, daß die von des verstorbenen Herzogs zu Anhalt - Cdthen Liebden unter
dem 28. December 1810 ohne gehörige Vorbereitung und Berücksichtigung der Um¬
stände eingeführte neue Staats- und Justizversassung ebenso wenig dem Geiste des


") Nach dem Grundsatze, daß ein verschuldeter Landesherr gegen seine Diener nicht habe
Verpflichtungen auf Lebenszeit eingehen können!
„Seine herzogliche Durchlaucht haben mich diesen Nachmittag zu sich rufen lassen
und mir zu erklären geruhet, wie Sie, da Sie ohnehin nicht mehr lange leben wür¬
den, zum Besten Ihrer Unterthanen 10,000 Thlr. von Ihrem Etat schwinden lassen,
auch die streitigen Gctreidevächte aufgeben wollten, Sie würden sich, da Sie sich
jetzt nicht mehr in Cdthen mit Anstand aufhalten konnten, nach Roßlau begeben und
dort die noch übrigen wenigen Tage Ihres Lebens in der Einsamkeit zubringen. In
dem ich diese Erklärung sorsnissimi bekannt mache, wiederhole ich Ihnen zugleich die
Versicherung meiner größten Hochachtung."

Eins bleibt jetzt nur noch übrig: nach dem Schöpfer seine Schöpfung
zu Grabe zu begleiten. Diese überlebte den Herzog nur kurze Zeit, und sie
ging so schnell als sie gekommen war. obgleich der Herzog es nicht hatte an
Maßregeln fehlen lassen, seinen künstlichen Aufbau über seinen Tod hinaus
aufrecht zu erhalten. Im Juli 1811 hatte er, durch einen heftigen Blutsturz
an seine Sterblichkeit gemahnt, ein „Hausgesetz" ausgearbeitet und am
18. September desselben Jahres dem Staatsrath zur Aufbewahrung im Haus¬
archiv überreichen lassen, welches nun unmittelbar nach seinem Tode, unter
dem 6. Mai 1812, durch die Staatszeitung publicirt wurde. Unter vielen
die Erbfolge, die Vormundschaft über seinen Nachfolger, das Verhältniß
des Herzogs zu den Familiengliedern :c. betreffenden Verfügungen hatte er
darin verordnet, daß während der Minderjährigkeit des regierenden Landes¬
herrn keine Veränderungen in der Verfassung des Herzogthums gemacht wer¬
den sollten. Allein diese Bestimmungen blieben ohne Erfolg.

Es übernahm Herzog Franz. der Senior des Hauses Anhalt, „über¬
zeugt, daß es dem Wunsche Sr. kaiserlich königl. Majestät von Frankreich
als Protector des Rheinbunds gemäß sei" in einem Schreiben an den Staats¬
rath vom 3. Juli 1812, einstweilen nur provisorisch, die Regierungsvormund¬
schaft und setzte eine vormundschaftliche Commission ein. Die Bitten des
Landes um Aufhebung der Verfassung strömten ihm zu, die Finanzen erheischten
eine schleunige Abhülfe, und so erfolgte denn, nachdem mittelst besonderer
Verfügung noch im August das Ministerium suspendirt und nachdem die zahl¬
reiche Hofdienerschaft theils mit Pension theils mit einer Abfindungssumme
entlassen war*) unter dem 24. October 1812 folgendes denkwürdige Publican-
dum des Herzogs Franz:


„Nachdem Wir Uns aus den Uns erstatteten Berichten und Gutachten mehrerer
Räthe sowohl als den Bitten und Beschwerden der Landstände und Unterthanen über¬
zeugt haben, daß die von des verstorbenen Herzogs zu Anhalt - Cdthen Liebden unter
dem 28. December 1810 ohne gehörige Vorbereitung und Berücksichtigung der Um¬
stände eingeführte neue Staats- und Justizversassung ebenso wenig dem Geiste des


") Nach dem Grundsatze, daß ein verschuldeter Landesherr gegen seine Diener nicht habe
Verpflichtungen auf Lebenszeit eingehen können!
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[0394] „Seine herzogliche Durchlaucht haben mich diesen Nachmittag zu sich rufen lassen und mir zu erklären geruhet, wie Sie, da Sie ohnehin nicht mehr lange leben wür¬ den, zum Besten Ihrer Unterthanen 10,000 Thlr. von Ihrem Etat schwinden lassen, auch die streitigen Gctreidevächte aufgeben wollten, Sie würden sich, da Sie sich jetzt nicht mehr in Cdthen mit Anstand aufhalten konnten, nach Roßlau begeben und dort die noch übrigen wenigen Tage Ihres Lebens in der Einsamkeit zubringen. In dem ich diese Erklärung sorsnissimi bekannt mache, wiederhole ich Ihnen zugleich die Versicherung meiner größten Hochachtung." Eins bleibt jetzt nur noch übrig: nach dem Schöpfer seine Schöpfung zu Grabe zu begleiten. Diese überlebte den Herzog nur kurze Zeit, und sie ging so schnell als sie gekommen war. obgleich der Herzog es nicht hatte an Maßregeln fehlen lassen, seinen künstlichen Aufbau über seinen Tod hinaus aufrecht zu erhalten. Im Juli 1811 hatte er, durch einen heftigen Blutsturz an seine Sterblichkeit gemahnt, ein „Hausgesetz" ausgearbeitet und am 18. September desselben Jahres dem Staatsrath zur Aufbewahrung im Haus¬ archiv überreichen lassen, welches nun unmittelbar nach seinem Tode, unter dem 6. Mai 1812, durch die Staatszeitung publicirt wurde. Unter vielen die Erbfolge, die Vormundschaft über seinen Nachfolger, das Verhältniß des Herzogs zu den Familiengliedern :c. betreffenden Verfügungen hatte er darin verordnet, daß während der Minderjährigkeit des regierenden Landes¬ herrn keine Veränderungen in der Verfassung des Herzogthums gemacht wer¬ den sollten. Allein diese Bestimmungen blieben ohne Erfolg. Es übernahm Herzog Franz. der Senior des Hauses Anhalt, „über¬ zeugt, daß es dem Wunsche Sr. kaiserlich königl. Majestät von Frankreich als Protector des Rheinbunds gemäß sei" in einem Schreiben an den Staats¬ rath vom 3. Juli 1812, einstweilen nur provisorisch, die Regierungsvormund¬ schaft und setzte eine vormundschaftliche Commission ein. Die Bitten des Landes um Aufhebung der Verfassung strömten ihm zu, die Finanzen erheischten eine schleunige Abhülfe, und so erfolgte denn, nachdem mittelst besonderer Verfügung noch im August das Ministerium suspendirt und nachdem die zahl¬ reiche Hofdienerschaft theils mit Pension theils mit einer Abfindungssumme entlassen war*) unter dem 24. October 1812 folgendes denkwürdige Publican- dum des Herzogs Franz: „Nachdem Wir Uns aus den Uns erstatteten Berichten und Gutachten mehrerer Räthe sowohl als den Bitten und Beschwerden der Landstände und Unterthanen über¬ zeugt haben, daß die von des verstorbenen Herzogs zu Anhalt - Cdthen Liebden unter dem 28. December 1810 ohne gehörige Vorbereitung und Berücksichtigung der Um¬ stände eingeführte neue Staats- und Justizversassung ebenso wenig dem Geiste des ") Nach dem Grundsatze, daß ein verschuldeter Landesherr gegen seine Diener nicht habe Verpflichtungen auf Lebenszeit eingehen können!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/394>, abgerufen am 24.08.2024.