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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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war Berlin eine wohlhabende Stadt, und ein eigenthümliches geistiges Leben
begann sich hier zu regen mit einer bedeutenden Fülle verschiedenartiger Be¬
gabung. Die klassische Dichtung und das auf dem Baum derselben erwachsene
Reis der romantischen Schule tränkten diese Atmosphäre mit ihren Blüthen.
Es war eine kurze reiche Zeit, in der Kunstandacht und Geselligkeit an ein¬
ander emporblühten und sich mit wissenschaftlich reformatorischen, auch die
Praxis ergreifenden Tendenzen zu verbinden suchten. Der Reichthum dieser
Zeit ging bald vorüber, weil gewaltige Stürme von Außen ihn zerstreuten.
Das Leben, was sich entwickelt hatte, war von ungesunden Auswüchsen durch¬
aus nicht frei, wie es die in dem absolutistischen Staat mangelnde geordnete
Beziehung auf das ernste praktische Leben mit sich brachte. Aber die besseren
Keime wurden in die spätere Zeit hinüber gerettet, und sind mit reicher wohl¬
thätiger Wirkung aufgegangen. --

Die Epoche der Freiheitskriege war wiederum der Abschluß einer Zeit
furchtbarer Kriegsleiden und grausamer Verluste. Wiederum erholte sich der
Staat langsam. Es entstand ein neues Berlin, jenes Berlin, dessen Mittel¬
punkt die in der Leidenszeit gestiftete Universität war, jenes Berlin der wissen¬
schaftlichen Größen, in der Zeit politischer Zerrissenheit Deutschlands bereits
dessen geistige Hauptstadt. Damals besaß Berlin kein öffentliches Leben, die
Verhältnisse waren beinahe kleinstädtisch, und doch behauptet jene Zeit einen
hohen kulturgeschichtlichen Rang, doch gewinnt sie in den Erinnerungen derer,
die sie noch gekannt haben, ein ideales Licht, doch fesselt sie auch den Blick
der späteren Generation durch die Verbindung von Wissensfülle und forschen¬
den Ernst mit den hohen einheitlichen Gesichtspunkten aus der Zeit der Spe¬
kulation und der Poesie. Es war die Zeit der auserlesenen wissenschaftlichen
Kreise, die neben einem hochgebildeten Beamtentum lebten, das von ähn¬
lichen Bestrebungen durchdrungen, dieselben in die staatliche Praxis einzufüh¬
ren trachtete. Vornehm ließ man in der Kunst die einheimischen Schätze der
jüngsten Vergangenheit und alles fremde Gute, was der Tag brachte, an sich
vorübergehen, und begutachtete es höchst verständig. Aber ein in eigner Bahn
sich bewegendes Volksleben gab es nicht, so konnte es auch keine einheimischen
Kunsterzeugnisse geben, die ein eignes Leben wiederspiegelten.

Seit dem Jahre 1840 wurde die Steigerung des Volkswohlstandes und
der so vielfach gefesselten Volkskraft rascher und bemerkbarer, es kamen die
Tage der politischen Opposition mit ihren unausbleiblichen Verirrungen und
ihren richtigen Forderungen. Wiederum suchte eine tendenziöse Kunst die
tiefe Erregung des Volksgeistes zu begleiten und zu lenken. Interessante Er¬
zeugnisse entstanden doch nur wenige. Die Kunst kann den Markt des Lebens
nicht zeichnen, wenn sie erst seine Erschließung verlangt. Nachdem die Be¬
wegung von 1848 anfänglich gescheitert, trat die Richtung auf Erwerb immer


war Berlin eine wohlhabende Stadt, und ein eigenthümliches geistiges Leben
begann sich hier zu regen mit einer bedeutenden Fülle verschiedenartiger Be¬
gabung. Die klassische Dichtung und das auf dem Baum derselben erwachsene
Reis der romantischen Schule tränkten diese Atmosphäre mit ihren Blüthen.
Es war eine kurze reiche Zeit, in der Kunstandacht und Geselligkeit an ein¬
ander emporblühten und sich mit wissenschaftlich reformatorischen, auch die
Praxis ergreifenden Tendenzen zu verbinden suchten. Der Reichthum dieser
Zeit ging bald vorüber, weil gewaltige Stürme von Außen ihn zerstreuten.
Das Leben, was sich entwickelt hatte, war von ungesunden Auswüchsen durch¬
aus nicht frei, wie es die in dem absolutistischen Staat mangelnde geordnete
Beziehung auf das ernste praktische Leben mit sich brachte. Aber die besseren
Keime wurden in die spätere Zeit hinüber gerettet, und sind mit reicher wohl¬
thätiger Wirkung aufgegangen. —

Die Epoche der Freiheitskriege war wiederum der Abschluß einer Zeit
furchtbarer Kriegsleiden und grausamer Verluste. Wiederum erholte sich der
Staat langsam. Es entstand ein neues Berlin, jenes Berlin, dessen Mittel¬
punkt die in der Leidenszeit gestiftete Universität war, jenes Berlin der wissen¬
schaftlichen Größen, in der Zeit politischer Zerrissenheit Deutschlands bereits
dessen geistige Hauptstadt. Damals besaß Berlin kein öffentliches Leben, die
Verhältnisse waren beinahe kleinstädtisch, und doch behauptet jene Zeit einen
hohen kulturgeschichtlichen Rang, doch gewinnt sie in den Erinnerungen derer,
die sie noch gekannt haben, ein ideales Licht, doch fesselt sie auch den Blick
der späteren Generation durch die Verbindung von Wissensfülle und forschen¬
den Ernst mit den hohen einheitlichen Gesichtspunkten aus der Zeit der Spe¬
kulation und der Poesie. Es war die Zeit der auserlesenen wissenschaftlichen
Kreise, die neben einem hochgebildeten Beamtentum lebten, das von ähn¬
lichen Bestrebungen durchdrungen, dieselben in die staatliche Praxis einzufüh¬
ren trachtete. Vornehm ließ man in der Kunst die einheimischen Schätze der
jüngsten Vergangenheit und alles fremde Gute, was der Tag brachte, an sich
vorübergehen, und begutachtete es höchst verständig. Aber ein in eigner Bahn
sich bewegendes Volksleben gab es nicht, so konnte es auch keine einheimischen
Kunsterzeugnisse geben, die ein eignes Leben wiederspiegelten.

Seit dem Jahre 1840 wurde die Steigerung des Volkswohlstandes und
der so vielfach gefesselten Volkskraft rascher und bemerkbarer, es kamen die
Tage der politischen Opposition mit ihren unausbleiblichen Verirrungen und
ihren richtigen Forderungen. Wiederum suchte eine tendenziöse Kunst die
tiefe Erregung des Volksgeistes zu begleiten und zu lenken. Interessante Er¬
zeugnisse entstanden doch nur wenige. Die Kunst kann den Markt des Lebens
nicht zeichnen, wenn sie erst seine Erschließung verlangt. Nachdem die Be¬
wegung von 1848 anfänglich gescheitert, trat die Richtung auf Erwerb immer


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[0039] war Berlin eine wohlhabende Stadt, und ein eigenthümliches geistiges Leben begann sich hier zu regen mit einer bedeutenden Fülle verschiedenartiger Be¬ gabung. Die klassische Dichtung und das auf dem Baum derselben erwachsene Reis der romantischen Schule tränkten diese Atmosphäre mit ihren Blüthen. Es war eine kurze reiche Zeit, in der Kunstandacht und Geselligkeit an ein¬ ander emporblühten und sich mit wissenschaftlich reformatorischen, auch die Praxis ergreifenden Tendenzen zu verbinden suchten. Der Reichthum dieser Zeit ging bald vorüber, weil gewaltige Stürme von Außen ihn zerstreuten. Das Leben, was sich entwickelt hatte, war von ungesunden Auswüchsen durch¬ aus nicht frei, wie es die in dem absolutistischen Staat mangelnde geordnete Beziehung auf das ernste praktische Leben mit sich brachte. Aber die besseren Keime wurden in die spätere Zeit hinüber gerettet, und sind mit reicher wohl¬ thätiger Wirkung aufgegangen. — Die Epoche der Freiheitskriege war wiederum der Abschluß einer Zeit furchtbarer Kriegsleiden und grausamer Verluste. Wiederum erholte sich der Staat langsam. Es entstand ein neues Berlin, jenes Berlin, dessen Mittel¬ punkt die in der Leidenszeit gestiftete Universität war, jenes Berlin der wissen¬ schaftlichen Größen, in der Zeit politischer Zerrissenheit Deutschlands bereits dessen geistige Hauptstadt. Damals besaß Berlin kein öffentliches Leben, die Verhältnisse waren beinahe kleinstädtisch, und doch behauptet jene Zeit einen hohen kulturgeschichtlichen Rang, doch gewinnt sie in den Erinnerungen derer, die sie noch gekannt haben, ein ideales Licht, doch fesselt sie auch den Blick der späteren Generation durch die Verbindung von Wissensfülle und forschen¬ den Ernst mit den hohen einheitlichen Gesichtspunkten aus der Zeit der Spe¬ kulation und der Poesie. Es war die Zeit der auserlesenen wissenschaftlichen Kreise, die neben einem hochgebildeten Beamtentum lebten, das von ähn¬ lichen Bestrebungen durchdrungen, dieselben in die staatliche Praxis einzufüh¬ ren trachtete. Vornehm ließ man in der Kunst die einheimischen Schätze der jüngsten Vergangenheit und alles fremde Gute, was der Tag brachte, an sich vorübergehen, und begutachtete es höchst verständig. Aber ein in eigner Bahn sich bewegendes Volksleben gab es nicht, so konnte es auch keine einheimischen Kunsterzeugnisse geben, die ein eignes Leben wiederspiegelten. Seit dem Jahre 1840 wurde die Steigerung des Volkswohlstandes und der so vielfach gefesselten Volkskraft rascher und bemerkbarer, es kamen die Tage der politischen Opposition mit ihren unausbleiblichen Verirrungen und ihren richtigen Forderungen. Wiederum suchte eine tendenziöse Kunst die tiefe Erregung des Volksgeistes zu begleiten und zu lenken. Interessante Er¬ zeugnisse entstanden doch nur wenige. Die Kunst kann den Markt des Lebens nicht zeichnen, wenn sie erst seine Erschließung verlangt. Nachdem die Be¬ wegung von 1848 anfänglich gescheitert, trat die Richtung auf Erwerb immer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/39>, abgerufen am 22.07.2024.