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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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rechtlich die Jnvalidenkassen gar nichts angeht -- gesetzten Präclusivfrist nicht
diese Abführung bewirkt. Nur "diejenigen Mitglieder welche spätestens
14 Tage nach dieser Bekanntmachung dem Verbands(!)kassirer nachweisen, daß
sie ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen sind und an' der Nachlässig¬
keit des Vereins keine Schuld tragen, behalten ihre Mitgliedschaft" und werden
für ihre Person restituirt. Der Schluß des § setzt der Rechtsverwirrung aber
die Krone auf, indem er ausspricht! "Unkenntniß der Bekanntmachungen im
Verbands(!)organ schützt kein Mitglied gegen die hier angegebenen Folgen."
"Das Lesen und Halten des Verbandsorgans gewinnt hierdurch eine^ sehr
praktische Bedeutung für alle Mitglieder der Verbandskasse" erläutert Herr
Max Hirsch freimüthig diese monströse Bestimmung der Geschäftsordnung.
Gewiß! pflichten wir ihm bei -- wenigstens läßt diese edle Offenheit keinen
Zweifel mehr darüber bestehen, daß das Organ nicht für den Invaliden, son¬
dern der Invalide für das Organ auf der Welt ist. Und nun sind wir wohl
auch berechtigt zu der Frage, ob die Versicherung des § 20 des Musterstatuts,
daß "die Invalidenkasse von der eigentlichen Verbandskasse vollständig getrennt
gehalten werde" eine unter allen Umständen glaubwürdige sei in einem Ver¬
bände, der in seinen Statuten und Grundgesetzen über die Jnvalidenkassen die
Rechte und Pflichten der Gewerkvereine mit den Rechten und Pflichten der
Jnvalidenkassen in unlösliche Verbindung und Confusion bringt? Sollte bei
solcher statutarischen Sanctionirung des allgemeinen Urbreis der Rechtsbegriffe es
undenkbar sein, daß in einer beispielsweise durch einen Strike erzeugten Noth¬
lage der Verbandskasse die bereiten Mittel der Jnvalidenkassen mit zu der
Strikekasse herangezogen würden?

Die Antwort mag zurückgehalten werden. Aber jedenfalls hat die Reichs¬
gesetzgebung, an welche Seiten der Gewerkvereine die Forderung staatlicher
Anerkennung gestellt wird, die Pflicht, die größte Vorsicht zu üben, um eine
solche Verwirrung und Vermischung sehr widerstrebender und auch moralisch
sehr verschieden berechtigter Interessen zu vermeiden. Die englische Iraüo-
IInions-Acte von 1871, die uns die Freunde der Gewerkvereine so gern als
Muster vorhalten, mag auch in ihrer weisen Sorgfalt und Maßhaltung uns
Muster sein, wenn sie für unverbindlich und unklagbar erklärt -- also von
der staatlichen Anerkennung ausschließt: "jede im Schooße eines Gewerkver-
eins getroffene Verabredung über Festhalten an bestimmten Preisen oder Be¬
dingungen in Beziehung auf Waaren oder Arbeit; jede übernommene Ver¬
pflichtung, einem Gewerkverein Beiträge oder Strafgelder zu zahlen; jede Ueber-
einkunft betr. die Verwendung der Vereinsgelder zu Unterstützungen an die
Vereinsmitglieder, zu Beiträgen an Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, welche nicht
Mitglieder des Vereins sind, und zur Uebernahme der diesen Personen gerichtlich
zuerkannten Strafen; jede Uebereinkunft zwischen verschiedenen Gewerkvereinen;


rechtlich die Jnvalidenkassen gar nichts angeht — gesetzten Präclusivfrist nicht
diese Abführung bewirkt. Nur „diejenigen Mitglieder welche spätestens
14 Tage nach dieser Bekanntmachung dem Verbands(!)kassirer nachweisen, daß
sie ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen sind und an' der Nachlässig¬
keit des Vereins keine Schuld tragen, behalten ihre Mitgliedschaft" und werden
für ihre Person restituirt. Der Schluß des § setzt der Rechtsverwirrung aber
die Krone auf, indem er ausspricht! „Unkenntniß der Bekanntmachungen im
Verbands(!)organ schützt kein Mitglied gegen die hier angegebenen Folgen."
„Das Lesen und Halten des Verbandsorgans gewinnt hierdurch eine^ sehr
praktische Bedeutung für alle Mitglieder der Verbandskasse" erläutert Herr
Max Hirsch freimüthig diese monströse Bestimmung der Geschäftsordnung.
Gewiß! pflichten wir ihm bei — wenigstens läßt diese edle Offenheit keinen
Zweifel mehr darüber bestehen, daß das Organ nicht für den Invaliden, son¬
dern der Invalide für das Organ auf der Welt ist. Und nun sind wir wohl
auch berechtigt zu der Frage, ob die Versicherung des § 20 des Musterstatuts,
daß „die Invalidenkasse von der eigentlichen Verbandskasse vollständig getrennt
gehalten werde" eine unter allen Umständen glaubwürdige sei in einem Ver¬
bände, der in seinen Statuten und Grundgesetzen über die Jnvalidenkassen die
Rechte und Pflichten der Gewerkvereine mit den Rechten und Pflichten der
Jnvalidenkassen in unlösliche Verbindung und Confusion bringt? Sollte bei
solcher statutarischen Sanctionirung des allgemeinen Urbreis der Rechtsbegriffe es
undenkbar sein, daß in einer beispielsweise durch einen Strike erzeugten Noth¬
lage der Verbandskasse die bereiten Mittel der Jnvalidenkassen mit zu der
Strikekasse herangezogen würden?

Die Antwort mag zurückgehalten werden. Aber jedenfalls hat die Reichs¬
gesetzgebung, an welche Seiten der Gewerkvereine die Forderung staatlicher
Anerkennung gestellt wird, die Pflicht, die größte Vorsicht zu üben, um eine
solche Verwirrung und Vermischung sehr widerstrebender und auch moralisch
sehr verschieden berechtigter Interessen zu vermeiden. Die englische Iraüo-
IInions-Acte von 1871, die uns die Freunde der Gewerkvereine so gern als
Muster vorhalten, mag auch in ihrer weisen Sorgfalt und Maßhaltung uns
Muster sein, wenn sie für unverbindlich und unklagbar erklärt — also von
der staatlichen Anerkennung ausschließt: „jede im Schooße eines Gewerkver-
eins getroffene Verabredung über Festhalten an bestimmten Preisen oder Be¬
dingungen in Beziehung auf Waaren oder Arbeit; jede übernommene Ver¬
pflichtung, einem Gewerkverein Beiträge oder Strafgelder zu zahlen; jede Ueber-
einkunft betr. die Verwendung der Vereinsgelder zu Unterstützungen an die
Vereinsmitglieder, zu Beiträgen an Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, welche nicht
Mitglieder des Vereins sind, und zur Uebernahme der diesen Personen gerichtlich
zuerkannten Strafen; jede Uebereinkunft zwischen verschiedenen Gewerkvereinen;


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[0382] rechtlich die Jnvalidenkassen gar nichts angeht — gesetzten Präclusivfrist nicht diese Abführung bewirkt. Nur „diejenigen Mitglieder welche spätestens 14 Tage nach dieser Bekanntmachung dem Verbands(!)kassirer nachweisen, daß sie ihren Verpflichtungen pünktlich nachgekommen sind und an' der Nachlässig¬ keit des Vereins keine Schuld tragen, behalten ihre Mitgliedschaft" und werden für ihre Person restituirt. Der Schluß des § setzt der Rechtsverwirrung aber die Krone auf, indem er ausspricht! „Unkenntniß der Bekanntmachungen im Verbands(!)organ schützt kein Mitglied gegen die hier angegebenen Folgen." „Das Lesen und Halten des Verbandsorgans gewinnt hierdurch eine^ sehr praktische Bedeutung für alle Mitglieder der Verbandskasse" erläutert Herr Max Hirsch freimüthig diese monströse Bestimmung der Geschäftsordnung. Gewiß! pflichten wir ihm bei — wenigstens läßt diese edle Offenheit keinen Zweifel mehr darüber bestehen, daß das Organ nicht für den Invaliden, son¬ dern der Invalide für das Organ auf der Welt ist. Und nun sind wir wohl auch berechtigt zu der Frage, ob die Versicherung des § 20 des Musterstatuts, daß „die Invalidenkasse von der eigentlichen Verbandskasse vollständig getrennt gehalten werde" eine unter allen Umständen glaubwürdige sei in einem Ver¬ bände, der in seinen Statuten und Grundgesetzen über die Jnvalidenkassen die Rechte und Pflichten der Gewerkvereine mit den Rechten und Pflichten der Jnvalidenkassen in unlösliche Verbindung und Confusion bringt? Sollte bei solcher statutarischen Sanctionirung des allgemeinen Urbreis der Rechtsbegriffe es undenkbar sein, daß in einer beispielsweise durch einen Strike erzeugten Noth¬ lage der Verbandskasse die bereiten Mittel der Jnvalidenkassen mit zu der Strikekasse herangezogen würden? Die Antwort mag zurückgehalten werden. Aber jedenfalls hat die Reichs¬ gesetzgebung, an welche Seiten der Gewerkvereine die Forderung staatlicher Anerkennung gestellt wird, die Pflicht, die größte Vorsicht zu üben, um eine solche Verwirrung und Vermischung sehr widerstrebender und auch moralisch sehr verschieden berechtigter Interessen zu vermeiden. Die englische Iraüo- IInions-Acte von 1871, die uns die Freunde der Gewerkvereine so gern als Muster vorhalten, mag auch in ihrer weisen Sorgfalt und Maßhaltung uns Muster sein, wenn sie für unverbindlich und unklagbar erklärt — also von der staatlichen Anerkennung ausschließt: „jede im Schooße eines Gewerkver- eins getroffene Verabredung über Festhalten an bestimmten Preisen oder Be¬ dingungen in Beziehung auf Waaren oder Arbeit; jede übernommene Ver¬ pflichtung, einem Gewerkverein Beiträge oder Strafgelder zu zahlen; jede Ueber- einkunft betr. die Verwendung der Vereinsgelder zu Unterstützungen an die Vereinsmitglieder, zu Beiträgen an Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, welche nicht Mitglieder des Vereins sind, und zur Uebernahme der diesen Personen gerichtlich zuerkannten Strafen; jede Uebereinkunft zwischen verschiedenen Gewerkvereinen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/382>, abgerufen am 24.08.2024.