Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

noch einmal ward er von den Arbeitgebern abgewiesen. Statt nun die noth¬
wendige, wenn auch wenig ruhmvolle, Unterwerfung zu gebieten, verordnete
sein Berliner Telegramm "Massenauswanderung". Und nun begann jene
jammervolle, planlose Verschleppung tüchtiger deutscher Arbeiter nach Karvin
in österreichisch Schlesien, nach russich Polen und Baden, nach Rheinland und
Westphalen, die mit dem völligen Ruin der großen Mehrzahl der armen
Opfer endete, und am bezeichnendsten illustrirt wird durch das Telegramm der
nach Karvin verschleppten Bergleute an das Landrathsamt in Waldenburg:
"es möge ihren Generalrats sammt Vorstand mit Arrest belegen, wenn sie
ihnen das Reisegeld nicht zurückerstatteten." Da erst, und nach einer letzten
fruchtlosen Jnterpellation der "Fortschrittspartei" im Abgeordnetenhause, rieth
man am 24. Januar die Wiederaufnahme der Arbeit an. Das Unheil, das
die Urheber und Leiter dieses Strikes verursacht haben, wäre wohl nie so hoch
angewachsen, wenn nichtder "Verband der deutschen Gewerkvereine"
ausschließlich politischen Parteiinteressen, denjenigen der "Fort¬
schrittspartet" diente und nur von diesen ins Leben gerufen wäre. Als die
Mittel den Waldenburgern auszugehen anfingen, hieß es: die Fortschrittspartei
muß uns helfen, denn wir helfen ihr bei den Wahlen. Und in der That
sind von den einigen 30,000 Thlr., die der Strike gekostet hat, actenmäßig*)
26,000 von Mitgliedern der Fortschrittspartei gesteuert worden. So ist denn
auch der "Gewerkverein", das Organ des Verbandes, voller politischer Pro¬
paganda, Leidenschaft, Verdächtigung und kleinlicher politischer Nergelei bis
auf den heutigen Tag. Keine Besprechung gewerblicher Fragen ist ihm mög¬
lich ohne politische Gunstbewerbung bei den Arbeitern, ohne Verketzerung
politisch Andersdenkender. Am klarsten wohl trat dieß hervor bei dem be¬
kannten Strike der Arbeiter der Pflug'schen Wagenfabrik in Berlin. Die
Herren verlangten 20 Procent Lohnerhöhung. Die Verwaltung bewies
ihnen aus den Büchern der Fabrik, daß sie der Forderung nicht nachkommen
könne. Der Strike wurde verkündigt und die Fabrik geschlossen. Das Organ
des Verbandes aber entblödete sich nicht, in der Nummer v. 30. August 1872
(Ur. 39) einen -- wie Bamberger mit vollstem Rechte den Mann bezeichnet
-- "der ehrenhaftesten, fähigsten und geachtetsten Veteranen des deutschen Li¬
beralismus, sachverständig und leidenschaftslos wie Wenige," also vor der ur¬
theilslosen Menge zu denunciren: daß der Strike verschuldet sei "unter der
Erklärung der Direction (v. Unruh, Reg.-Rath a. D. und nationalliberaler
Reichstagsabgeordneter, früher stark in Volkswohl machend), daß diese Lohn¬
erhöhung die Procente der Actionäre verzehren würde. Nach genauer (?!) Prü¬
fung der ganzen (!) Sachlage, hat der Gewerkverein der deutschen Maschinen-



') Arbeitcrfmmd, 9. Jahrg. 2. Heft,

noch einmal ward er von den Arbeitgebern abgewiesen. Statt nun die noth¬
wendige, wenn auch wenig ruhmvolle, Unterwerfung zu gebieten, verordnete
sein Berliner Telegramm „Massenauswanderung". Und nun begann jene
jammervolle, planlose Verschleppung tüchtiger deutscher Arbeiter nach Karvin
in österreichisch Schlesien, nach russich Polen und Baden, nach Rheinland und
Westphalen, die mit dem völligen Ruin der großen Mehrzahl der armen
Opfer endete, und am bezeichnendsten illustrirt wird durch das Telegramm der
nach Karvin verschleppten Bergleute an das Landrathsamt in Waldenburg:
„es möge ihren Generalrats sammt Vorstand mit Arrest belegen, wenn sie
ihnen das Reisegeld nicht zurückerstatteten." Da erst, und nach einer letzten
fruchtlosen Jnterpellation der „Fortschrittspartei" im Abgeordnetenhause, rieth
man am 24. Januar die Wiederaufnahme der Arbeit an. Das Unheil, das
die Urheber und Leiter dieses Strikes verursacht haben, wäre wohl nie so hoch
angewachsen, wenn nichtder „Verband der deutschen Gewerkvereine"
ausschließlich politischen Parteiinteressen, denjenigen der „Fort¬
schrittspartet" diente und nur von diesen ins Leben gerufen wäre. Als die
Mittel den Waldenburgern auszugehen anfingen, hieß es: die Fortschrittspartei
muß uns helfen, denn wir helfen ihr bei den Wahlen. Und in der That
sind von den einigen 30,000 Thlr., die der Strike gekostet hat, actenmäßig*)
26,000 von Mitgliedern der Fortschrittspartei gesteuert worden. So ist denn
auch der „Gewerkverein", das Organ des Verbandes, voller politischer Pro¬
paganda, Leidenschaft, Verdächtigung und kleinlicher politischer Nergelei bis
auf den heutigen Tag. Keine Besprechung gewerblicher Fragen ist ihm mög¬
lich ohne politische Gunstbewerbung bei den Arbeitern, ohne Verketzerung
politisch Andersdenkender. Am klarsten wohl trat dieß hervor bei dem be¬
kannten Strike der Arbeiter der Pflug'schen Wagenfabrik in Berlin. Die
Herren verlangten 20 Procent Lohnerhöhung. Die Verwaltung bewies
ihnen aus den Büchern der Fabrik, daß sie der Forderung nicht nachkommen
könne. Der Strike wurde verkündigt und die Fabrik geschlossen. Das Organ
des Verbandes aber entblödete sich nicht, in der Nummer v. 30. August 1872
(Ur. 39) einen — wie Bamberger mit vollstem Rechte den Mann bezeichnet
— „der ehrenhaftesten, fähigsten und geachtetsten Veteranen des deutschen Li¬
beralismus, sachverständig und leidenschaftslos wie Wenige," also vor der ur¬
theilslosen Menge zu denunciren: daß der Strike verschuldet sei „unter der
Erklärung der Direction (v. Unruh, Reg.-Rath a. D. und nationalliberaler
Reichstagsabgeordneter, früher stark in Volkswohl machend), daß diese Lohn¬
erhöhung die Procente der Actionäre verzehren würde. Nach genauer (?!) Prü¬
fung der ganzen (!) Sachlage, hat der Gewerkverein der deutschen Maschinen-



') Arbeitcrfmmd, 9. Jahrg. 2. Heft,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0378" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129370"/>
          <p xml:id="ID_1237" prev="#ID_1236" next="#ID_1238"> noch einmal ward er von den Arbeitgebern abgewiesen. Statt nun die noth¬<lb/>
wendige, wenn auch wenig ruhmvolle, Unterwerfung zu gebieten, verordnete<lb/>
sein Berliner Telegramm &#x201E;Massenauswanderung". Und nun begann jene<lb/>
jammervolle, planlose Verschleppung tüchtiger deutscher Arbeiter nach Karvin<lb/>
in österreichisch Schlesien, nach russich Polen und Baden, nach Rheinland und<lb/>
Westphalen, die mit dem völligen Ruin der großen Mehrzahl der armen<lb/>
Opfer endete, und am bezeichnendsten illustrirt wird durch das Telegramm der<lb/>
nach Karvin verschleppten Bergleute an das Landrathsamt in Waldenburg:<lb/>
&#x201E;es möge ihren Generalrats sammt Vorstand mit Arrest belegen, wenn sie<lb/>
ihnen das Reisegeld nicht zurückerstatteten." Da erst, und nach einer letzten<lb/>
fruchtlosen Jnterpellation der &#x201E;Fortschrittspartei" im Abgeordnetenhause, rieth<lb/>
man am 24. Januar die Wiederaufnahme der Arbeit an. Das Unheil, das<lb/>
die Urheber und Leiter dieses Strikes verursacht haben, wäre wohl nie so hoch<lb/>
angewachsen, wenn nichtder &#x201E;Verband der deutschen Gewerkvereine"<lb/>
ausschließlich politischen Parteiinteressen, denjenigen der &#x201E;Fort¬<lb/>
schrittspartet" diente und nur von diesen ins Leben gerufen wäre. Als die<lb/>
Mittel den Waldenburgern auszugehen anfingen, hieß es: die Fortschrittspartei<lb/>
muß uns helfen, denn wir helfen ihr bei den Wahlen. Und in der That<lb/>
sind von den einigen 30,000 Thlr., die der Strike gekostet hat, actenmäßig*)<lb/>
26,000 von Mitgliedern der Fortschrittspartei gesteuert worden. So ist denn<lb/>
auch der &#x201E;Gewerkverein", das Organ des Verbandes, voller politischer Pro¬<lb/>
paganda, Leidenschaft, Verdächtigung und kleinlicher politischer Nergelei bis<lb/>
auf den heutigen Tag. Keine Besprechung gewerblicher Fragen ist ihm mög¬<lb/>
lich ohne politische Gunstbewerbung bei den Arbeitern, ohne Verketzerung<lb/>
politisch Andersdenkender. Am klarsten wohl trat dieß hervor bei dem be¬<lb/>
kannten Strike der Arbeiter der Pflug'schen Wagenfabrik in Berlin. Die<lb/>
Herren verlangten 20 Procent Lohnerhöhung. Die Verwaltung bewies<lb/>
ihnen aus den Büchern der Fabrik, daß sie der Forderung nicht nachkommen<lb/>
könne. Der Strike wurde verkündigt und die Fabrik geschlossen. Das Organ<lb/>
des Verbandes aber entblödete sich nicht, in der Nummer v. 30. August 1872<lb/>
(Ur. 39) einen &#x2014; wie Bamberger mit vollstem Rechte den Mann bezeichnet<lb/>
&#x2014; &#x201E;der ehrenhaftesten, fähigsten und geachtetsten Veteranen des deutschen Li¬<lb/>
beralismus, sachverständig und leidenschaftslos wie Wenige," also vor der ur¬<lb/>
theilslosen Menge zu denunciren: daß der Strike verschuldet sei &#x201E;unter der<lb/>
Erklärung der Direction (v. Unruh, Reg.-Rath a. D. und nationalliberaler<lb/>
Reichstagsabgeordneter, früher stark in Volkswohl machend), daß diese Lohn¬<lb/>
erhöhung die Procente der Actionäre verzehren würde. Nach genauer (?!) Prü¬<lb/>
fung der ganzen (!) Sachlage, hat der Gewerkverein der deutschen Maschinen-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_91" place="foot"> ') Arbeitcrfmmd, 9. Jahrg. 2. Heft,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0378] noch einmal ward er von den Arbeitgebern abgewiesen. Statt nun die noth¬ wendige, wenn auch wenig ruhmvolle, Unterwerfung zu gebieten, verordnete sein Berliner Telegramm „Massenauswanderung". Und nun begann jene jammervolle, planlose Verschleppung tüchtiger deutscher Arbeiter nach Karvin in österreichisch Schlesien, nach russich Polen und Baden, nach Rheinland und Westphalen, die mit dem völligen Ruin der großen Mehrzahl der armen Opfer endete, und am bezeichnendsten illustrirt wird durch das Telegramm der nach Karvin verschleppten Bergleute an das Landrathsamt in Waldenburg: „es möge ihren Generalrats sammt Vorstand mit Arrest belegen, wenn sie ihnen das Reisegeld nicht zurückerstatteten." Da erst, und nach einer letzten fruchtlosen Jnterpellation der „Fortschrittspartei" im Abgeordnetenhause, rieth man am 24. Januar die Wiederaufnahme der Arbeit an. Das Unheil, das die Urheber und Leiter dieses Strikes verursacht haben, wäre wohl nie so hoch angewachsen, wenn nichtder „Verband der deutschen Gewerkvereine" ausschließlich politischen Parteiinteressen, denjenigen der „Fort¬ schrittspartet" diente und nur von diesen ins Leben gerufen wäre. Als die Mittel den Waldenburgern auszugehen anfingen, hieß es: die Fortschrittspartei muß uns helfen, denn wir helfen ihr bei den Wahlen. Und in der That sind von den einigen 30,000 Thlr., die der Strike gekostet hat, actenmäßig*) 26,000 von Mitgliedern der Fortschrittspartei gesteuert worden. So ist denn auch der „Gewerkverein", das Organ des Verbandes, voller politischer Pro¬ paganda, Leidenschaft, Verdächtigung und kleinlicher politischer Nergelei bis auf den heutigen Tag. Keine Besprechung gewerblicher Fragen ist ihm mög¬ lich ohne politische Gunstbewerbung bei den Arbeitern, ohne Verketzerung politisch Andersdenkender. Am klarsten wohl trat dieß hervor bei dem be¬ kannten Strike der Arbeiter der Pflug'schen Wagenfabrik in Berlin. Die Herren verlangten 20 Procent Lohnerhöhung. Die Verwaltung bewies ihnen aus den Büchern der Fabrik, daß sie der Forderung nicht nachkommen könne. Der Strike wurde verkündigt und die Fabrik geschlossen. Das Organ des Verbandes aber entblödete sich nicht, in der Nummer v. 30. August 1872 (Ur. 39) einen — wie Bamberger mit vollstem Rechte den Mann bezeichnet — „der ehrenhaftesten, fähigsten und geachtetsten Veteranen des deutschen Li¬ beralismus, sachverständig und leidenschaftslos wie Wenige," also vor der ur¬ theilslosen Menge zu denunciren: daß der Strike verschuldet sei „unter der Erklärung der Direction (v. Unruh, Reg.-Rath a. D. und nationalliberaler Reichstagsabgeordneter, früher stark in Volkswohl machend), daß diese Lohn¬ erhöhung die Procente der Actionäre verzehren würde. Nach genauer (?!) Prü¬ fung der ganzen (!) Sachlage, hat der Gewerkverein der deutschen Maschinen- ') Arbeitcrfmmd, 9. Jahrg. 2. Heft,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/378
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/378>, abgerufen am 24.08.2024.