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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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rath" ob, der in Berlin seinen Sitz hat, thatsächlich aber liegt sie in den Händen
des "Verb and sanwaltes und Generalsecretairs" Dr. Max Hirsch in Berlin.
Vierteljährlich ist von jedem Ortsverein ein Silbergroschen pro Kopf der Mit¬
glieder an den Centralrath abzuführen. Diese Centralisation des Kassen¬
wesens und der Leitung, namentlich die Figur des Verbandsanwalts, haben
in England kein Seitenstück. Sie sind ein Beweis dafür, daß in Deutschland
das Gebilde der Gewerkvereine von oben nach unten, vom Centrum in die
Provinzen künstlich verbreitet worden ist, statt aus eigenem Bedürfniß der
Arbeiterkreise von unten nach oben zu wachsen wie in England, und aus örtlichen
Anfängen zu der Gesammtverbindung der ?raäe Huions, die theilweise über das
vereinigte Königreich bis in die fernsten Colonien Großbritanniens reichen.
Daher sitzen auch im deutschen Centralrath Politiker von Fach, Rhetoren,
Gelehrte, zu denen auch der Verbandsanwalt gehört, keineswegs Arbeiter,
wie in England in allen Aemtern der Iraäs Uniong. Und daher ist auch
die Würde des Verbandsanwalts, die ursprünglich offenbar mechanisch der
Stellung Schulze's im Genossenschaftsverbande nachgebildet wurde, seither
dem Verbände ganz unentbehrlich geworden. Denn Herr Max Hirsch
führt die Centralcorrespondenz, redigirt das Centralorgan, erstattet dem eigent¬
lich jährlich zusammentretender Verbandstag (der aber erst einmal im Jahr
1871 getagt hat) den Jahresbericht, bereist die bestehenden Ortsvereine, bildet
neue, und ertheilt vor Allem die Befehle zur Einleitung und Unterstützung
von Strikes. Bei andern socialen Parteien pflegt diese Art von Befehlen von
der "Volkszeitung" und andern Herrn Hirsch befreundeten Organen mit dem
harten Namen "Ukas" bezeichnet zu werden. --

Die numerische Entwickelung dieser Gewerkvereine ist nur
im Jahr 1869 eine günstige zu nennen gewesen. In diesem Jahr ist ihre
Mitgliederzahl auf etwa 30.000 gestiegen, die sich auf 267 Ortsvereine in
145 Ortschaften vertheilte, und worunter als intelligenteste und zahlreichste
Gewerkengruppe die der Maschinen- und Metallarbeiter zu nennen ist. Seit
1869 aber ist die Mitgliederzahl auf ungefähr 10,000 gesunken, hat also um
zwei Drittheile der früheren Zahl abgenommen. Als Quellen dieser Schätzung
dienen der vorliegenden Darstellung lediglich solche des Verbandes selbst, näm¬
lich gewisse Geständnisse in den gedruckten Verhandlungen "des ersten ordent¬
lichen Verbandtags" (August 1871) und in dem Verbandsorgan "Der Ge¬
werkverein" von or. Hirsch. Diese kolossale Mitgliederabnahme soll -- wenn
man dem Verbandsorgan Glauben schenken will -- nur in dem Kriege von
1870/71 ihren Grund haben. Aber wir sind zu diesem Glauben in keiner
Weise gezwungen, da erstens seit dem "ersten ordentlichen Verbandstag"
Herr Hirsch jeder scharfen, statistischen Formulirung seines Mitgliederbe¬
standes verschlossen ausweicht und nur in diplomatischen Ausdrücken von


rath" ob, der in Berlin seinen Sitz hat, thatsächlich aber liegt sie in den Händen
des „Verb and sanwaltes und Generalsecretairs" Dr. Max Hirsch in Berlin.
Vierteljährlich ist von jedem Ortsverein ein Silbergroschen pro Kopf der Mit¬
glieder an den Centralrath abzuführen. Diese Centralisation des Kassen¬
wesens und der Leitung, namentlich die Figur des Verbandsanwalts, haben
in England kein Seitenstück. Sie sind ein Beweis dafür, daß in Deutschland
das Gebilde der Gewerkvereine von oben nach unten, vom Centrum in die
Provinzen künstlich verbreitet worden ist, statt aus eigenem Bedürfniß der
Arbeiterkreise von unten nach oben zu wachsen wie in England, und aus örtlichen
Anfängen zu der Gesammtverbindung der ?raäe Huions, die theilweise über das
vereinigte Königreich bis in die fernsten Colonien Großbritanniens reichen.
Daher sitzen auch im deutschen Centralrath Politiker von Fach, Rhetoren,
Gelehrte, zu denen auch der Verbandsanwalt gehört, keineswegs Arbeiter,
wie in England in allen Aemtern der Iraäs Uniong. Und daher ist auch
die Würde des Verbandsanwalts, die ursprünglich offenbar mechanisch der
Stellung Schulze's im Genossenschaftsverbande nachgebildet wurde, seither
dem Verbände ganz unentbehrlich geworden. Denn Herr Max Hirsch
führt die Centralcorrespondenz, redigirt das Centralorgan, erstattet dem eigent¬
lich jährlich zusammentretender Verbandstag (der aber erst einmal im Jahr
1871 getagt hat) den Jahresbericht, bereist die bestehenden Ortsvereine, bildet
neue, und ertheilt vor Allem die Befehle zur Einleitung und Unterstützung
von Strikes. Bei andern socialen Parteien pflegt diese Art von Befehlen von
der „Volkszeitung" und andern Herrn Hirsch befreundeten Organen mit dem
harten Namen „Ukas" bezeichnet zu werden. —

Die numerische Entwickelung dieser Gewerkvereine ist nur
im Jahr 1869 eine günstige zu nennen gewesen. In diesem Jahr ist ihre
Mitgliederzahl auf etwa 30.000 gestiegen, die sich auf 267 Ortsvereine in
145 Ortschaften vertheilte, und worunter als intelligenteste und zahlreichste
Gewerkengruppe die der Maschinen- und Metallarbeiter zu nennen ist. Seit
1869 aber ist die Mitgliederzahl auf ungefähr 10,000 gesunken, hat also um
zwei Drittheile der früheren Zahl abgenommen. Als Quellen dieser Schätzung
dienen der vorliegenden Darstellung lediglich solche des Verbandes selbst, näm¬
lich gewisse Geständnisse in den gedruckten Verhandlungen „des ersten ordent¬
lichen Verbandtags" (August 1871) und in dem Verbandsorgan „Der Ge¬
werkverein" von or. Hirsch. Diese kolossale Mitgliederabnahme soll — wenn
man dem Verbandsorgan Glauben schenken will — nur in dem Kriege von
1870/71 ihren Grund haben. Aber wir sind zu diesem Glauben in keiner
Weise gezwungen, da erstens seit dem „ersten ordentlichen Verbandstag"
Herr Hirsch jeder scharfen, statistischen Formulirung seines Mitgliederbe¬
standes verschlossen ausweicht und nur in diplomatischen Ausdrücken von


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[0376] rath" ob, der in Berlin seinen Sitz hat, thatsächlich aber liegt sie in den Händen des „Verb and sanwaltes und Generalsecretairs" Dr. Max Hirsch in Berlin. Vierteljährlich ist von jedem Ortsverein ein Silbergroschen pro Kopf der Mit¬ glieder an den Centralrath abzuführen. Diese Centralisation des Kassen¬ wesens und der Leitung, namentlich die Figur des Verbandsanwalts, haben in England kein Seitenstück. Sie sind ein Beweis dafür, daß in Deutschland das Gebilde der Gewerkvereine von oben nach unten, vom Centrum in die Provinzen künstlich verbreitet worden ist, statt aus eigenem Bedürfniß der Arbeiterkreise von unten nach oben zu wachsen wie in England, und aus örtlichen Anfängen zu der Gesammtverbindung der ?raäe Huions, die theilweise über das vereinigte Königreich bis in die fernsten Colonien Großbritanniens reichen. Daher sitzen auch im deutschen Centralrath Politiker von Fach, Rhetoren, Gelehrte, zu denen auch der Verbandsanwalt gehört, keineswegs Arbeiter, wie in England in allen Aemtern der Iraäs Uniong. Und daher ist auch die Würde des Verbandsanwalts, die ursprünglich offenbar mechanisch der Stellung Schulze's im Genossenschaftsverbande nachgebildet wurde, seither dem Verbände ganz unentbehrlich geworden. Denn Herr Max Hirsch führt die Centralcorrespondenz, redigirt das Centralorgan, erstattet dem eigent¬ lich jährlich zusammentretender Verbandstag (der aber erst einmal im Jahr 1871 getagt hat) den Jahresbericht, bereist die bestehenden Ortsvereine, bildet neue, und ertheilt vor Allem die Befehle zur Einleitung und Unterstützung von Strikes. Bei andern socialen Parteien pflegt diese Art von Befehlen von der „Volkszeitung" und andern Herrn Hirsch befreundeten Organen mit dem harten Namen „Ukas" bezeichnet zu werden. — Die numerische Entwickelung dieser Gewerkvereine ist nur im Jahr 1869 eine günstige zu nennen gewesen. In diesem Jahr ist ihre Mitgliederzahl auf etwa 30.000 gestiegen, die sich auf 267 Ortsvereine in 145 Ortschaften vertheilte, und worunter als intelligenteste und zahlreichste Gewerkengruppe die der Maschinen- und Metallarbeiter zu nennen ist. Seit 1869 aber ist die Mitgliederzahl auf ungefähr 10,000 gesunken, hat also um zwei Drittheile der früheren Zahl abgenommen. Als Quellen dieser Schätzung dienen der vorliegenden Darstellung lediglich solche des Verbandes selbst, näm¬ lich gewisse Geständnisse in den gedruckten Verhandlungen „des ersten ordent¬ lichen Verbandtags" (August 1871) und in dem Verbandsorgan „Der Ge¬ werkverein" von or. Hirsch. Diese kolossale Mitgliederabnahme soll — wenn man dem Verbandsorgan Glauben schenken will — nur in dem Kriege von 1870/71 ihren Grund haben. Aber wir sind zu diesem Glauben in keiner Weise gezwungen, da erstens seit dem „ersten ordentlichen Verbandstag" Herr Hirsch jeder scharfen, statistischen Formulirung seines Mitgliederbe¬ standes verschlossen ausweicht und nur in diplomatischen Ausdrücken von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/376>, abgerufen am 26.08.2024.