Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

überall ist die Leitung der Ortsvereine wie der Gesammtheit (Generalrats)
aus Berufsgenossen, Arbeitern gebildet. Die Zahl der sämmtlichen Mitglie-
der der Iraüe Unious ist zweifellos bedeutend, doch ist schon die Angabe von
einer halben Million, geschweige denn von 850,000 (Ludlow, Jones, Eberty)
nur so zu verstehen, daß darin alle Arten von englischen Arbeitergesellschaftcn
inbegriffen sind. Durch die Erklärungen der leitenden Persönlichkeiten der
'I'iÄäö Unions selbst vor der Parlamentscommission ist ferner festgestellt, daß
die Zwecke dieser Verbindungen zwar nominell doppelte sind: die Leitung und
Unterstützung von Strikes und gegenseitige Versicherung gegen Invalidität.
Manche setzen sich auch schiedsrichterliche Leistungen zum Zweck. Aber darüber
sind alle ihre eigenen Autoritäten einig, daß die Organisation von
Strikes unbedingt im Bordergrund aller Vereinsthätigkeit steht. Wenn
man dann fragt, ob diese Vereine mehr Segen oder mehr Unheil gestiftet
haben, so ist nach den Zeugnissen ihrer eigenen gemäßigten Anhänger festge¬
stellt, daß größeres Unheil Seiten der 1'rü,als Uniovs nur verhütet worden
ist durch diejenige Gegenmaßregel der Arbeitgeber gegen gemeinsame Strikes,
welche auch in Deutschland allmählig Nachahmung findet, den Lockout, die
Aussperrung der Strikevereinsgenossen -- also durch eine Maßregel, die sich am
wenigsten die ^rg,ac Huions zum'Verdienst anrechnen können. Ferner erklärt
eine der den Huions befreundetsten Autoritäten, der Grafschaftsrichter Rupert
Kettle, der höchst verdienstliche und bedeutende Versuche auf dem Gebiete der
Schiedsämter gemacht hat, daß er als eines der drei Hauptmotive aller Zer¬
würfnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern bezeichnen müsse: "verletztes Selbst¬
gefühl", welches bekanntlich durch Strikeverbindungen durchaus nicht abge¬
schwächt zu werden pflegt. Endlich ist auch die Commission des englischen
Parlaments in ihrer Mehrheit, und zwar mit 8 gegen 3 Stimmen, zu dem
Resultate gelangt, daß die englischen Gewerkvereine ein keineswegs beson¬
ders empfehlenswertes Institut seien. Diese Majorität bestand nicht aus
lauter "Bourgeois", sondern umfaßte sehr arbeiterfreundliche Elemente und mit
ihr stimmt jene Autorität durchaus überein, welche uns die Apostel der Ge¬
werkvereine stets als leuchtendes Exempel vorführen. Eben jener Rupert
Kettle sagt in seiner Schrift stnlces ana aiditrations: daß die Organisation
der englischen Gewerkvereine, soweit sie bis jetzt gediehen, ganz und gar
unfähig sei, gerade die Bewegung, welche sie in der Welt der Arbeit hervor¬
gerufen, auch nur annähernd zu überschauen; demnach unfähig, in fruchtbarer
und vernünftiger Weise das eigene Interesse zu vertreten. Ja, Kettle bricht
auf Seite 15 seiner angeführten Schrift in die bewegliche Klage aus: "Nicht
Organisation, sondern vielmehr Abwesenheit von Organisation kommt zum
Vorschein, sowie die Sache ernstlich auf die Probe gestellt wird, Mangel an
Kenntniß der Thatsachen, Mangel an Einsicht, Mangel an Zusammenhang."


überall ist die Leitung der Ortsvereine wie der Gesammtheit (Generalrats)
aus Berufsgenossen, Arbeitern gebildet. Die Zahl der sämmtlichen Mitglie-
der der Iraüe Unious ist zweifellos bedeutend, doch ist schon die Angabe von
einer halben Million, geschweige denn von 850,000 (Ludlow, Jones, Eberty)
nur so zu verstehen, daß darin alle Arten von englischen Arbeitergesellschaftcn
inbegriffen sind. Durch die Erklärungen der leitenden Persönlichkeiten der
'I'iÄäö Unions selbst vor der Parlamentscommission ist ferner festgestellt, daß
die Zwecke dieser Verbindungen zwar nominell doppelte sind: die Leitung und
Unterstützung von Strikes und gegenseitige Versicherung gegen Invalidität.
Manche setzen sich auch schiedsrichterliche Leistungen zum Zweck. Aber darüber
sind alle ihre eigenen Autoritäten einig, daß die Organisation von
Strikes unbedingt im Bordergrund aller Vereinsthätigkeit steht. Wenn
man dann fragt, ob diese Vereine mehr Segen oder mehr Unheil gestiftet
haben, so ist nach den Zeugnissen ihrer eigenen gemäßigten Anhänger festge¬
stellt, daß größeres Unheil Seiten der 1'rü,als Uniovs nur verhütet worden
ist durch diejenige Gegenmaßregel der Arbeitgeber gegen gemeinsame Strikes,
welche auch in Deutschland allmählig Nachahmung findet, den Lockout, die
Aussperrung der Strikevereinsgenossen — also durch eine Maßregel, die sich am
wenigsten die ^rg,ac Huions zum'Verdienst anrechnen können. Ferner erklärt
eine der den Huions befreundetsten Autoritäten, der Grafschaftsrichter Rupert
Kettle, der höchst verdienstliche und bedeutende Versuche auf dem Gebiete der
Schiedsämter gemacht hat, daß er als eines der drei Hauptmotive aller Zer¬
würfnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern bezeichnen müsse: „verletztes Selbst¬
gefühl", welches bekanntlich durch Strikeverbindungen durchaus nicht abge¬
schwächt zu werden pflegt. Endlich ist auch die Commission des englischen
Parlaments in ihrer Mehrheit, und zwar mit 8 gegen 3 Stimmen, zu dem
Resultate gelangt, daß die englischen Gewerkvereine ein keineswegs beson¬
ders empfehlenswertes Institut seien. Diese Majorität bestand nicht aus
lauter „Bourgeois", sondern umfaßte sehr arbeiterfreundliche Elemente und mit
ihr stimmt jene Autorität durchaus überein, welche uns die Apostel der Ge¬
werkvereine stets als leuchtendes Exempel vorführen. Eben jener Rupert
Kettle sagt in seiner Schrift stnlces ana aiditrations: daß die Organisation
der englischen Gewerkvereine, soweit sie bis jetzt gediehen, ganz und gar
unfähig sei, gerade die Bewegung, welche sie in der Welt der Arbeit hervor¬
gerufen, auch nur annähernd zu überschauen; demnach unfähig, in fruchtbarer
und vernünftiger Weise das eigene Interesse zu vertreten. Ja, Kettle bricht
auf Seite 15 seiner angeführten Schrift in die bewegliche Klage aus: „Nicht
Organisation, sondern vielmehr Abwesenheit von Organisation kommt zum
Vorschein, sowie die Sache ernstlich auf die Probe gestellt wird, Mangel an
Kenntniß der Thatsachen, Mangel an Einsicht, Mangel an Zusammenhang."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129366"/>
          <p xml:id="ID_1231" prev="#ID_1230"> überall ist die Leitung der Ortsvereine wie der Gesammtheit (Generalrats)<lb/>
aus Berufsgenossen, Arbeitern gebildet. Die Zahl der sämmtlichen Mitglie-<lb/>
der der Iraüe Unious ist zweifellos bedeutend, doch ist schon die Angabe von<lb/>
einer halben Million, geschweige denn von 850,000 (Ludlow, Jones, Eberty)<lb/>
nur so zu verstehen, daß darin alle Arten von englischen Arbeitergesellschaftcn<lb/>
inbegriffen sind. Durch die Erklärungen der leitenden Persönlichkeiten der<lb/>
'I'iÄäö Unions selbst vor der Parlamentscommission ist ferner festgestellt, daß<lb/>
die Zwecke dieser Verbindungen zwar nominell doppelte sind: die Leitung und<lb/>
Unterstützung von Strikes und gegenseitige Versicherung gegen Invalidität.<lb/>
Manche setzen sich auch schiedsrichterliche Leistungen zum Zweck. Aber darüber<lb/>
sind alle ihre eigenen Autoritäten einig, daß die Organisation von<lb/>
Strikes unbedingt im Bordergrund aller Vereinsthätigkeit steht. Wenn<lb/>
man dann fragt, ob diese Vereine mehr Segen oder mehr Unheil gestiftet<lb/>
haben, so ist nach den Zeugnissen ihrer eigenen gemäßigten Anhänger festge¬<lb/>
stellt, daß größeres Unheil Seiten der 1'rü,als Uniovs nur verhütet worden<lb/>
ist durch diejenige Gegenmaßregel der Arbeitgeber gegen gemeinsame Strikes,<lb/>
welche auch in Deutschland allmählig Nachahmung findet, den Lockout, die<lb/>
Aussperrung der Strikevereinsgenossen &#x2014; also durch eine Maßregel, die sich am<lb/>
wenigsten die ^rg,ac Huions zum'Verdienst anrechnen können. Ferner erklärt<lb/>
eine der den Huions befreundetsten Autoritäten, der Grafschaftsrichter Rupert<lb/>
Kettle, der höchst verdienstliche und bedeutende Versuche auf dem Gebiete der<lb/>
Schiedsämter gemacht hat, daß er als eines der drei Hauptmotive aller Zer¬<lb/>
würfnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern bezeichnen müsse: &#x201E;verletztes Selbst¬<lb/>
gefühl", welches bekanntlich durch Strikeverbindungen durchaus nicht abge¬<lb/>
schwächt zu werden pflegt. Endlich ist auch die Commission des englischen<lb/>
Parlaments in ihrer Mehrheit, und zwar mit 8 gegen 3 Stimmen, zu dem<lb/>
Resultate gelangt, daß die englischen Gewerkvereine ein keineswegs beson¬<lb/>
ders empfehlenswertes Institut seien. Diese Majorität bestand nicht aus<lb/>
lauter &#x201E;Bourgeois", sondern umfaßte sehr arbeiterfreundliche Elemente und mit<lb/>
ihr stimmt jene Autorität durchaus überein, welche uns die Apostel der Ge¬<lb/>
werkvereine stets als leuchtendes Exempel vorführen. Eben jener Rupert<lb/>
Kettle sagt in seiner Schrift stnlces ana aiditrations: daß die Organisation<lb/>
der englischen Gewerkvereine, soweit sie bis jetzt gediehen, ganz und gar<lb/>
unfähig sei, gerade die Bewegung, welche sie in der Welt der Arbeit hervor¬<lb/>
gerufen, auch nur annähernd zu überschauen; demnach unfähig, in fruchtbarer<lb/>
und vernünftiger Weise das eigene Interesse zu vertreten. Ja, Kettle bricht<lb/>
auf Seite 15 seiner angeführten Schrift in die bewegliche Klage aus: &#x201E;Nicht<lb/>
Organisation, sondern vielmehr Abwesenheit von Organisation kommt zum<lb/>
Vorschein, sowie die Sache ernstlich auf die Probe gestellt wird, Mangel an<lb/>
Kenntniß der Thatsachen, Mangel an Einsicht, Mangel an Zusammenhang."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] überall ist die Leitung der Ortsvereine wie der Gesammtheit (Generalrats) aus Berufsgenossen, Arbeitern gebildet. Die Zahl der sämmtlichen Mitglie- der der Iraüe Unious ist zweifellos bedeutend, doch ist schon die Angabe von einer halben Million, geschweige denn von 850,000 (Ludlow, Jones, Eberty) nur so zu verstehen, daß darin alle Arten von englischen Arbeitergesellschaftcn inbegriffen sind. Durch die Erklärungen der leitenden Persönlichkeiten der 'I'iÄäö Unions selbst vor der Parlamentscommission ist ferner festgestellt, daß die Zwecke dieser Verbindungen zwar nominell doppelte sind: die Leitung und Unterstützung von Strikes und gegenseitige Versicherung gegen Invalidität. Manche setzen sich auch schiedsrichterliche Leistungen zum Zweck. Aber darüber sind alle ihre eigenen Autoritäten einig, daß die Organisation von Strikes unbedingt im Bordergrund aller Vereinsthätigkeit steht. Wenn man dann fragt, ob diese Vereine mehr Segen oder mehr Unheil gestiftet haben, so ist nach den Zeugnissen ihrer eigenen gemäßigten Anhänger festge¬ stellt, daß größeres Unheil Seiten der 1'rü,als Uniovs nur verhütet worden ist durch diejenige Gegenmaßregel der Arbeitgeber gegen gemeinsame Strikes, welche auch in Deutschland allmählig Nachahmung findet, den Lockout, die Aussperrung der Strikevereinsgenossen — also durch eine Maßregel, die sich am wenigsten die ^rg,ac Huions zum'Verdienst anrechnen können. Ferner erklärt eine der den Huions befreundetsten Autoritäten, der Grafschaftsrichter Rupert Kettle, der höchst verdienstliche und bedeutende Versuche auf dem Gebiete der Schiedsämter gemacht hat, daß er als eines der drei Hauptmotive aller Zer¬ würfnisse zwischen Arbeitern und Arbeitgebern bezeichnen müsse: „verletztes Selbst¬ gefühl", welches bekanntlich durch Strikeverbindungen durchaus nicht abge¬ schwächt zu werden pflegt. Endlich ist auch die Commission des englischen Parlaments in ihrer Mehrheit, und zwar mit 8 gegen 3 Stimmen, zu dem Resultate gelangt, daß die englischen Gewerkvereine ein keineswegs beson¬ ders empfehlenswertes Institut seien. Diese Majorität bestand nicht aus lauter „Bourgeois", sondern umfaßte sehr arbeiterfreundliche Elemente und mit ihr stimmt jene Autorität durchaus überein, welche uns die Apostel der Ge¬ werkvereine stets als leuchtendes Exempel vorführen. Eben jener Rupert Kettle sagt in seiner Schrift stnlces ana aiditrations: daß die Organisation der englischen Gewerkvereine, soweit sie bis jetzt gediehen, ganz und gar unfähig sei, gerade die Bewegung, welche sie in der Welt der Arbeit hervor¬ gerufen, auch nur annähernd zu überschauen; demnach unfähig, in fruchtbarer und vernünftiger Weise das eigene Interesse zu vertreten. Ja, Kettle bricht auf Seite 15 seiner angeführten Schrift in die bewegliche Klage aus: „Nicht Organisation, sondern vielmehr Abwesenheit von Organisation kommt zum Vorschein, sowie die Sache ernstlich auf die Probe gestellt wird, Mangel an Kenntniß der Thatsachen, Mangel an Einsicht, Mangel an Zusammenhang."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/374>, abgerufen am 23.07.2024.