Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.Soll der deutsche Reichstag, sollen die Regierungen den deutschen Gewerkver¬ Bei Gründung der deutschen Gewerkvereine beriefen sich die Gründer Gewerkverein sollte angeblich nur eine deutsche Uebersetzung der englischen Wir müssen, um uns, wenigstens in flüchtigen Umrissen, einen vollstän¬ Soll der deutsche Reichstag, sollen die Regierungen den deutschen Gewerkver¬ Bei Gründung der deutschen Gewerkvereine beriefen sich die Gründer Gewerkverein sollte angeblich nur eine deutsche Uebersetzung der englischen Wir müssen, um uns, wenigstens in flüchtigen Umrissen, einen vollstän¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129365"/> <p xml:id="ID_1227" prev="#ID_1226"> Soll der deutsche Reichstag, sollen die Regierungen den deutschen Gewerkver¬<lb/> einen die staatliche Anerkennung gewähren? Ist diese nothwendig oder auch<lb/> nur unbedenklich? An welche Bedingungen sollte der Staat seine Anerken¬<lb/> nung knüpfen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1228"> Bei Gründung der deutschen Gewerkvereine beriefen sich die Gründer<lb/> nachdrücklich auf das Vorbild der englischen Iliuons. Der deutsche</p><lb/> <p xml:id="ID_1229"> Gewerkverein sollte angeblich nur eine deutsche Uebersetzung der englischen<lb/> Stammform sein, so zwar, daß selbst die staatliche Anerkennung der deut¬<lb/> schen Nachbildung wiederum hauptsächlich unter Berufung auf die Weis¬<lb/> heit der englischen Gesetzgeber gefordert wurde. In beiden Beziehungen hat<lb/> auch diejenige „Wissenschaft", welche in Deutschland durch die Herren Bren¬<lb/> tano und Schmoller vertreten wird, unbedenklich die 1?i-aäe Ilnions und<lb/> die englische Gesetzgebung als das treue Ab- und Vorbild der Gewerkvereine<lb/> und der künftigen deutschen Reichsgesetzgebung auf diesem Gebiete gepriesen.<lb/> Es ist ein Hauptverdienst der Bamberger'schen Schrift, daß sie in eingehenden<lb/> Abhandlungen (Kapitel 2 bis 7) den mächtigen Unterschied aufzeigt zwischen<lb/> der Gestaltung der englischen und deutschen Gewerkvereine und der englischen<lb/> Gesetzgebung im Vergleich zu den legislatorischen Experimenten, welche von<lb/> den Freunden der deutschen Gewerkvereine uns zur Nacheiferung angeblich<lb/> englischer Gesetze empfohlen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1230" next="#ID_1231"> Wir müssen, um uns, wenigstens in flüchtigen Umrissen, einen vollstän¬<lb/> digen Ueberblick über die Sachlage zu verschaffen, die Hauptresultate der Dar¬<lb/> stellung Bambergers kurz anführen. Die Hauptquelle seiner Schilderungen<lb/> und Folgerungen ist dieselbe wie diejenige seiner Gegner und darum schon<lb/> ganz unverdächtig, noch mehr aber durch ihren streng amtlichen Charakter<lb/> und ihren überraschend reichen Inhalt: es sind nämlich die Acten der eng¬<lb/> lischen Parlamentscommission über die?raäö Ilmous, die im Jahr 1867 ein¬<lb/> gesetzt wurde und ihre Arbeiten bis 1870 fortgeführt hat. Und was ist das<lb/> Ergebniß dieser Acten? Der Nachweis, daß die englichen Iraäs Hlnions<lb/> keineswegs jene „wunderbare Organisation" und Centralisation besitzen, welche<lb/> wan ihnen in Deutschland andichtete, um durch Berufspolitiker. Redner und<lb/> Schriftsteller eine auf eine Spannweite von vierzig Millionen berechnete Arbei¬<lb/> terassociation ins Leben zu rufen. Denn selbst im Schooße desselben Gewerbes<lb/> sinden sich in England an einem und demselben Orte Verbindungen, die als<lb/> ?iAä<z Ilnions in sich geeinigt, aber untereinander völlig unabhängig sind;<lb/> Meist gruppiren sie sich nach Provinzen und Berufen. Einzelne Berufszweige<lb/> allerdings sind auch durch das ganze vereinigte Königreich bis nach Canada<lb/> und Australien vereinigt. Aber auch dann zerfällt der Verein in Ortsvereine,<lb/> die an sich ganz selbständig, nur bei außergewöhnlichen Anstrengungen, Rath¬<lb/> schlüssen und Geldleistungen mit der Gesammtheit in Beziehungen treten. Und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0373]
Soll der deutsche Reichstag, sollen die Regierungen den deutschen Gewerkver¬
einen die staatliche Anerkennung gewähren? Ist diese nothwendig oder auch
nur unbedenklich? An welche Bedingungen sollte der Staat seine Anerken¬
nung knüpfen?
Bei Gründung der deutschen Gewerkvereine beriefen sich die Gründer
nachdrücklich auf das Vorbild der englischen Iliuons. Der deutsche
Gewerkverein sollte angeblich nur eine deutsche Uebersetzung der englischen
Stammform sein, so zwar, daß selbst die staatliche Anerkennung der deut¬
schen Nachbildung wiederum hauptsächlich unter Berufung auf die Weis¬
heit der englischen Gesetzgeber gefordert wurde. In beiden Beziehungen hat
auch diejenige „Wissenschaft", welche in Deutschland durch die Herren Bren¬
tano und Schmoller vertreten wird, unbedenklich die 1?i-aäe Ilnions und
die englische Gesetzgebung als das treue Ab- und Vorbild der Gewerkvereine
und der künftigen deutschen Reichsgesetzgebung auf diesem Gebiete gepriesen.
Es ist ein Hauptverdienst der Bamberger'schen Schrift, daß sie in eingehenden
Abhandlungen (Kapitel 2 bis 7) den mächtigen Unterschied aufzeigt zwischen
der Gestaltung der englischen und deutschen Gewerkvereine und der englischen
Gesetzgebung im Vergleich zu den legislatorischen Experimenten, welche von
den Freunden der deutschen Gewerkvereine uns zur Nacheiferung angeblich
englischer Gesetze empfohlen werden.
Wir müssen, um uns, wenigstens in flüchtigen Umrissen, einen vollstän¬
digen Ueberblick über die Sachlage zu verschaffen, die Hauptresultate der Dar¬
stellung Bambergers kurz anführen. Die Hauptquelle seiner Schilderungen
und Folgerungen ist dieselbe wie diejenige seiner Gegner und darum schon
ganz unverdächtig, noch mehr aber durch ihren streng amtlichen Charakter
und ihren überraschend reichen Inhalt: es sind nämlich die Acten der eng¬
lischen Parlamentscommission über die?raäö Ilmous, die im Jahr 1867 ein¬
gesetzt wurde und ihre Arbeiten bis 1870 fortgeführt hat. Und was ist das
Ergebniß dieser Acten? Der Nachweis, daß die englichen Iraäs Hlnions
keineswegs jene „wunderbare Organisation" und Centralisation besitzen, welche
wan ihnen in Deutschland andichtete, um durch Berufspolitiker. Redner und
Schriftsteller eine auf eine Spannweite von vierzig Millionen berechnete Arbei¬
terassociation ins Leben zu rufen. Denn selbst im Schooße desselben Gewerbes
sinden sich in England an einem und demselben Orte Verbindungen, die als
?iAä<z Ilnions in sich geeinigt, aber untereinander völlig unabhängig sind;
Meist gruppiren sie sich nach Provinzen und Berufen. Einzelne Berufszweige
allerdings sind auch durch das ganze vereinigte Königreich bis nach Canada
und Australien vereinigt. Aber auch dann zerfällt der Verein in Ortsvereine,
die an sich ganz selbständig, nur bei außergewöhnlichen Anstrengungen, Rath¬
schlüssen und Geldleistungen mit der Gesammtheit in Beziehungen treten. Und
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