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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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der Ehegatten eingeführt, ohne daß man im Volke eine Ahnung von dem
wichtigen Eingreifen dieses Instituts in das Wesen des ehelichen Güterrechts
gehabt hätte. Der Staatsrath mußte vor den Folgen dieser Unkenntnis
z. B. vor der mit der Ehe eintretenden Gemeinschaftlichkeit der Schulden, förm¬
lich warnen und die Abschließung von Ehestistungen vor der Ehe anempfehlen.
Es kam dahin, daß bezüglich der nicht durch die Staatszeitung promulgirten
fremden Gesetze ein derxzüoimn juris eingeführt werden mußte,
dessen Umfang durch ein ferneres Gesetz noch genauer bestimmt werden sollte.
Freilich ist weder dieses Gesetz eeschienen, noch der feierlich verheißene Unter¬
richt des Volks in den Gesetzen ertheilt worden, sodaß man von dem eigen"
thümlichen KeuoKeium wahrscheinlich den unbeschränktesten Gebrauch hat
machen müssen.

Nichtsdestoweniger verlangte man von den Procuratorem, daß sie ohne
Weiteres fertige Redner sein sollten, und ein Gesetz vom 11. November 1811
fulminirt, fast mit Nennung der Namen, gegen einige Procuratorem, die
nicht einmal eine Defension abzulesen, geschweige denn eine solche mündlich
zu halten wüßten, und gegen einen Procurator, der neulich die größte Un-
kunde.in der Vertheidigung der Angeklagten an den Tag gelegt habe, und
sucht gegen diese Uebelstände Abhülfe dadurch, daß es das Vertheidigen ex
corong, gestattet und dazu auffordert. --

Es sind jetzt nur noch wenige Gesetze aus anderen Zweigen der Staats¬
verwaltung hier anzuführen. Es erschien eine Medizinalordnung, ausgear¬
beitet durch den als herzoglichen Leibarzt aus Staßfurth nach Cöthen berufenen,
rühmlichst bekannten Medizinalrath Brunn (jetzt von Brunn), das einzige
Werk jener Zeit, welches wegen seiner wirklichen Bortrefflichkeit den ganzen
gesetzgeberischen Schwindel überlebt und bis in die neueste Zeit zum Wohl des
Landes und als Vorbild für gleiche Gesetze in andern Ländern fortbestanden
hat, und bald nachher, als Arbeiten der neu eingesetzten Direction des
Medizinalwesens, ein zwingendes Kuhpocken-Jmpfungsgesetz sowie
eine Medizin alt are im Gefolge hatte.

Ferner wurde, dem napoleonischen Polizei-Centralisationssystem ent¬
sprechend, eine Landespolizei-Inspection (unter dem bisherigen Polizei-
commissarius d'Aster) eingesetzt. Endlich -- und dabei ist es wiederum schwer,
der Ironie zu entsagen -- durfte es nicht an einem Ackerbau- und Jn-
dustrie-eonssil, verbunden mit einem eonssil as eommeres, fehlen,
einer Behörde, welche in 4 Sectionen (Section der Gelehrten, Section der
Oekonomen, Section des Handelstandes, Section der Künstler und Hand¬
werker) mit einem Generalsecretär und vier Specialsecretärs, der Regierung
mit nützlichen Erfindungen und Rathschlägen an die Hand gehen und Acker¬
bau und Gewerbefleiß im Lande überwachen, sowie "die Censur der mit dem


der Ehegatten eingeführt, ohne daß man im Volke eine Ahnung von dem
wichtigen Eingreifen dieses Instituts in das Wesen des ehelichen Güterrechts
gehabt hätte. Der Staatsrath mußte vor den Folgen dieser Unkenntnis
z. B. vor der mit der Ehe eintretenden Gemeinschaftlichkeit der Schulden, förm¬
lich warnen und die Abschließung von Ehestistungen vor der Ehe anempfehlen.
Es kam dahin, daß bezüglich der nicht durch die Staatszeitung promulgirten
fremden Gesetze ein derxzüoimn juris eingeführt werden mußte,
dessen Umfang durch ein ferneres Gesetz noch genauer bestimmt werden sollte.
Freilich ist weder dieses Gesetz eeschienen, noch der feierlich verheißene Unter¬
richt des Volks in den Gesetzen ertheilt worden, sodaß man von dem eigen»
thümlichen KeuoKeium wahrscheinlich den unbeschränktesten Gebrauch hat
machen müssen.

Nichtsdestoweniger verlangte man von den Procuratorem, daß sie ohne
Weiteres fertige Redner sein sollten, und ein Gesetz vom 11. November 1811
fulminirt, fast mit Nennung der Namen, gegen einige Procuratorem, die
nicht einmal eine Defension abzulesen, geschweige denn eine solche mündlich
zu halten wüßten, und gegen einen Procurator, der neulich die größte Un-
kunde.in der Vertheidigung der Angeklagten an den Tag gelegt habe, und
sucht gegen diese Uebelstände Abhülfe dadurch, daß es das Vertheidigen ex
corong, gestattet und dazu auffordert. —

Es sind jetzt nur noch wenige Gesetze aus anderen Zweigen der Staats¬
verwaltung hier anzuführen. Es erschien eine Medizinalordnung, ausgear¬
beitet durch den als herzoglichen Leibarzt aus Staßfurth nach Cöthen berufenen,
rühmlichst bekannten Medizinalrath Brunn (jetzt von Brunn), das einzige
Werk jener Zeit, welches wegen seiner wirklichen Bortrefflichkeit den ganzen
gesetzgeberischen Schwindel überlebt und bis in die neueste Zeit zum Wohl des
Landes und als Vorbild für gleiche Gesetze in andern Ländern fortbestanden
hat, und bald nachher, als Arbeiten der neu eingesetzten Direction des
Medizinalwesens, ein zwingendes Kuhpocken-Jmpfungsgesetz sowie
eine Medizin alt are im Gefolge hatte.

Ferner wurde, dem napoleonischen Polizei-Centralisationssystem ent¬
sprechend, eine Landespolizei-Inspection (unter dem bisherigen Polizei-
commissarius d'Aster) eingesetzt. Endlich — und dabei ist es wiederum schwer,
der Ironie zu entsagen — durfte es nicht an einem Ackerbau- und Jn-
dustrie-eonssil, verbunden mit einem eonssil as eommeres, fehlen,
einer Behörde, welche in 4 Sectionen (Section der Gelehrten, Section der
Oekonomen, Section des Handelstandes, Section der Künstler und Hand¬
werker) mit einem Generalsecretär und vier Specialsecretärs, der Regierung
mit nützlichen Erfindungen und Rathschlägen an die Hand gehen und Acker¬
bau und Gewerbefleiß im Lande überwachen, sowie „die Censur der mit dem


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[0355] der Ehegatten eingeführt, ohne daß man im Volke eine Ahnung von dem wichtigen Eingreifen dieses Instituts in das Wesen des ehelichen Güterrechts gehabt hätte. Der Staatsrath mußte vor den Folgen dieser Unkenntnis z. B. vor der mit der Ehe eintretenden Gemeinschaftlichkeit der Schulden, förm¬ lich warnen und die Abschließung von Ehestistungen vor der Ehe anempfehlen. Es kam dahin, daß bezüglich der nicht durch die Staatszeitung promulgirten fremden Gesetze ein derxzüoimn juris eingeführt werden mußte, dessen Umfang durch ein ferneres Gesetz noch genauer bestimmt werden sollte. Freilich ist weder dieses Gesetz eeschienen, noch der feierlich verheißene Unter¬ richt des Volks in den Gesetzen ertheilt worden, sodaß man von dem eigen» thümlichen KeuoKeium wahrscheinlich den unbeschränktesten Gebrauch hat machen müssen. Nichtsdestoweniger verlangte man von den Procuratorem, daß sie ohne Weiteres fertige Redner sein sollten, und ein Gesetz vom 11. November 1811 fulminirt, fast mit Nennung der Namen, gegen einige Procuratorem, die nicht einmal eine Defension abzulesen, geschweige denn eine solche mündlich zu halten wüßten, und gegen einen Procurator, der neulich die größte Un- kunde.in der Vertheidigung der Angeklagten an den Tag gelegt habe, und sucht gegen diese Uebelstände Abhülfe dadurch, daß es das Vertheidigen ex corong, gestattet und dazu auffordert. — Es sind jetzt nur noch wenige Gesetze aus anderen Zweigen der Staats¬ verwaltung hier anzuführen. Es erschien eine Medizinalordnung, ausgear¬ beitet durch den als herzoglichen Leibarzt aus Staßfurth nach Cöthen berufenen, rühmlichst bekannten Medizinalrath Brunn (jetzt von Brunn), das einzige Werk jener Zeit, welches wegen seiner wirklichen Bortrefflichkeit den ganzen gesetzgeberischen Schwindel überlebt und bis in die neueste Zeit zum Wohl des Landes und als Vorbild für gleiche Gesetze in andern Ländern fortbestanden hat, und bald nachher, als Arbeiten der neu eingesetzten Direction des Medizinalwesens, ein zwingendes Kuhpocken-Jmpfungsgesetz sowie eine Medizin alt are im Gefolge hatte. Ferner wurde, dem napoleonischen Polizei-Centralisationssystem ent¬ sprechend, eine Landespolizei-Inspection (unter dem bisherigen Polizei- commissarius d'Aster) eingesetzt. Endlich — und dabei ist es wiederum schwer, der Ironie zu entsagen — durfte es nicht an einem Ackerbau- und Jn- dustrie-eonssil, verbunden mit einem eonssil as eommeres, fehlen, einer Behörde, welche in 4 Sectionen (Section der Gelehrten, Section der Oekonomen, Section des Handelstandes, Section der Künstler und Hand¬ werker) mit einem Generalsecretär und vier Specialsecretärs, der Regierung mit nützlichen Erfindungen und Rathschlägen an die Hand gehen und Acker¬ bau und Gewerbefleiß im Lande überwachen, sowie „die Censur der mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/355>, abgerufen am 24.08.2024.