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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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"Vermuthlich beehrten Sie die Deutschen auch mit ein paar Champagner-
Requisitionen?" sagte ich.

"Nur ein Mal", erwiderte mein Führer. "Den ersten Tag, nachdem sie
eingerückt, forderten sie zehntausend Flaschen, und Officiere wie Soldaten
thaten sich eine Güte. Am Abend jedoch gab es eine Prügelei zwischen den
Preußen und den Bayern, und von da an belästigte man uns nicht weiter
mit solchen Zumuthungen."

Mit langstieligen Leuchtern versehen, steigen wir eine schlüpfrige Treppe
nach der obern Reihe der Keller hinab. Die langen Galerien sind zum Thei^
mit Gas erleuchtet, während andere ihr Licht nur von trübe brennenden
Talgkerzen erhalten. Wir treffen hier und da eine Gruppe von Arbeitern, die
mit der Verwandlung von rohem Wein in Champagner beschäftigt ist. Zuletzt
steigen wir auf einer zweiten Treppe in die untern Gewölbe. Hier treffen
wir in geräumigen hohen Gängen, die sorgfältig, so daß sie wie gemauert
aussehen, in die Kreide der Gegend gehauen sind, Tausende und aber Tau¬
sende von Fässern mit Wein auf jeder von beiden Seiten. Zuweilen wird
die Reihe von einer riesigen Bütte unterbrochen. Weiterhin gehen wir an
Schichten von Flaschen vorüber, die uns bis über den Kopf reichen und kaum
genug Raum zum Durchgehen zwischen sich lassen. Der Fußboden ist mit
Wein getränkt und mit Scherben von augenscheinlich erst in den letzten Tagen
zerplatzten Flaschen bedeckt. Denn das zersprungene Glas wird alle Wochen
mehrmals weggefegt. Der Wein dagegen findet seinen Weg in schmale Mul¬
den oder Rinnen, die ihn nach einem Becken leiten, in welchem er gesammelt
wird, um im Preise von 7 Francs für 200 Litres zur Fabrikation von Wein¬
essig verkauft zu werden.

Von den kopfabwärts gelagerten Flaschen unterliegen 400,000 täglicher
regelmäßiger Schüttelung, die von 12 bis 13 Arbeitern besorgt wird. Es
wird einen Begriff von der riesigen Ausdehnung dieser Keller und der in
ihnen aufgestapelten Weinvorräthe geben, wenn wir uns vergegenwärtigen,
daß es zwei lange Galerien, jede von 6S0 Fuß Ausdehnung giebt, in welchen
nicht weniger als 600,000 Flaschen Wein lagern, und welche von zweiund¬
dreißig Quergalerien durchschnitten werden, die eine Länge von ungefähr 4000
Fuß haben und 1,280,000 Flaschen Wein enthalten. Dazu kommen aber
noch acht andere Galerien, jede von 600 Fuß Länge und im Verhältniß ge-
füllt, und eine beträchtliche Anzahl kleinerer Keller, welche die allerältesten ein¬
schließen, die den Namen "Sibirien" führen, da sie eine außerordentlich kalte
Temperatur haben. Dieselben sind sehr niedrig und vielfach gewunden, wie



') Hiervon ist fast jedes Wort erlogen, und namentlich ist Fürst Bismarck wahrend des
ganzen letzten Krieges nicht eine Stunde in Epernay gewesen.

„Vermuthlich beehrten Sie die Deutschen auch mit ein paar Champagner-
Requisitionen?" sagte ich.

„Nur ein Mal", erwiderte mein Führer. „Den ersten Tag, nachdem sie
eingerückt, forderten sie zehntausend Flaschen, und Officiere wie Soldaten
thaten sich eine Güte. Am Abend jedoch gab es eine Prügelei zwischen den
Preußen und den Bayern, und von da an belästigte man uns nicht weiter
mit solchen Zumuthungen."

Mit langstieligen Leuchtern versehen, steigen wir eine schlüpfrige Treppe
nach der obern Reihe der Keller hinab. Die langen Galerien sind zum Thei^
mit Gas erleuchtet, während andere ihr Licht nur von trübe brennenden
Talgkerzen erhalten. Wir treffen hier und da eine Gruppe von Arbeitern, die
mit der Verwandlung von rohem Wein in Champagner beschäftigt ist. Zuletzt
steigen wir auf einer zweiten Treppe in die untern Gewölbe. Hier treffen
wir in geräumigen hohen Gängen, die sorgfältig, so daß sie wie gemauert
aussehen, in die Kreide der Gegend gehauen sind, Tausende und aber Tau¬
sende von Fässern mit Wein auf jeder von beiden Seiten. Zuweilen wird
die Reihe von einer riesigen Bütte unterbrochen. Weiterhin gehen wir an
Schichten von Flaschen vorüber, die uns bis über den Kopf reichen und kaum
genug Raum zum Durchgehen zwischen sich lassen. Der Fußboden ist mit
Wein getränkt und mit Scherben von augenscheinlich erst in den letzten Tagen
zerplatzten Flaschen bedeckt. Denn das zersprungene Glas wird alle Wochen
mehrmals weggefegt. Der Wein dagegen findet seinen Weg in schmale Mul¬
den oder Rinnen, die ihn nach einem Becken leiten, in welchem er gesammelt
wird, um im Preise von 7 Francs für 200 Litres zur Fabrikation von Wein¬
essig verkauft zu werden.

Von den kopfabwärts gelagerten Flaschen unterliegen 400,000 täglicher
regelmäßiger Schüttelung, die von 12 bis 13 Arbeitern besorgt wird. Es
wird einen Begriff von der riesigen Ausdehnung dieser Keller und der in
ihnen aufgestapelten Weinvorräthe geben, wenn wir uns vergegenwärtigen,
daß es zwei lange Galerien, jede von 6S0 Fuß Ausdehnung giebt, in welchen
nicht weniger als 600,000 Flaschen Wein lagern, und welche von zweiund¬
dreißig Quergalerien durchschnitten werden, die eine Länge von ungefähr 4000
Fuß haben und 1,280,000 Flaschen Wein enthalten. Dazu kommen aber
noch acht andere Galerien, jede von 600 Fuß Länge und im Verhältniß ge-
füllt, und eine beträchtliche Anzahl kleinerer Keller, welche die allerältesten ein¬
schließen, die den Namen „Sibirien" führen, da sie eine außerordentlich kalte
Temperatur haben. Dieselben sind sehr niedrig und vielfach gewunden, wie



') Hiervon ist fast jedes Wort erlogen, und namentlich ist Fürst Bismarck wahrend des
ganzen letzten Krieges nicht eine Stunde in Epernay gewesen.
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[0308] „Vermuthlich beehrten Sie die Deutschen auch mit ein paar Champagner- Requisitionen?" sagte ich. „Nur ein Mal", erwiderte mein Führer. „Den ersten Tag, nachdem sie eingerückt, forderten sie zehntausend Flaschen, und Officiere wie Soldaten thaten sich eine Güte. Am Abend jedoch gab es eine Prügelei zwischen den Preußen und den Bayern, und von da an belästigte man uns nicht weiter mit solchen Zumuthungen." Mit langstieligen Leuchtern versehen, steigen wir eine schlüpfrige Treppe nach der obern Reihe der Keller hinab. Die langen Galerien sind zum Thei^ mit Gas erleuchtet, während andere ihr Licht nur von trübe brennenden Talgkerzen erhalten. Wir treffen hier und da eine Gruppe von Arbeitern, die mit der Verwandlung von rohem Wein in Champagner beschäftigt ist. Zuletzt steigen wir auf einer zweiten Treppe in die untern Gewölbe. Hier treffen wir in geräumigen hohen Gängen, die sorgfältig, so daß sie wie gemauert aussehen, in die Kreide der Gegend gehauen sind, Tausende und aber Tau¬ sende von Fässern mit Wein auf jeder von beiden Seiten. Zuweilen wird die Reihe von einer riesigen Bütte unterbrochen. Weiterhin gehen wir an Schichten von Flaschen vorüber, die uns bis über den Kopf reichen und kaum genug Raum zum Durchgehen zwischen sich lassen. Der Fußboden ist mit Wein getränkt und mit Scherben von augenscheinlich erst in den letzten Tagen zerplatzten Flaschen bedeckt. Denn das zersprungene Glas wird alle Wochen mehrmals weggefegt. Der Wein dagegen findet seinen Weg in schmale Mul¬ den oder Rinnen, die ihn nach einem Becken leiten, in welchem er gesammelt wird, um im Preise von 7 Francs für 200 Litres zur Fabrikation von Wein¬ essig verkauft zu werden. Von den kopfabwärts gelagerten Flaschen unterliegen 400,000 täglicher regelmäßiger Schüttelung, die von 12 bis 13 Arbeitern besorgt wird. Es wird einen Begriff von der riesigen Ausdehnung dieser Keller und der in ihnen aufgestapelten Weinvorräthe geben, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß es zwei lange Galerien, jede von 6S0 Fuß Ausdehnung giebt, in welchen nicht weniger als 600,000 Flaschen Wein lagern, und welche von zweiund¬ dreißig Quergalerien durchschnitten werden, die eine Länge von ungefähr 4000 Fuß haben und 1,280,000 Flaschen Wein enthalten. Dazu kommen aber noch acht andere Galerien, jede von 600 Fuß Länge und im Verhältniß ge- füllt, und eine beträchtliche Anzahl kleinerer Keller, welche die allerältesten ein¬ schließen, die den Namen „Sibirien" führen, da sie eine außerordentlich kalte Temperatur haben. Dieselben sind sehr niedrig und vielfach gewunden, wie ') Hiervon ist fast jedes Wort erlogen, und namentlich ist Fürst Bismarck wahrend des ganzen letzten Krieges nicht eine Stunde in Epernay gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/308>, abgerufen am 24.08.2024.