Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Zucker in jedem Quart Wein enthalten. Da die Trauben in dieser nörd¬
lichen Breite jedoch nur selten den verlangten Grad von Geist und Süßig¬
keit erreichen, so muß der Ausfall auf künstlichem Wege beschafft werden.
Vermittelst eines Instrumentes, Glykometer genannt, wird die Quantität
von Zuckerstoff in jeder Weinsorte leicht bestimmt, und die, welche zu
viel oder zu wenig davon hat, wird dann mit einer andern verschnitten, die
entweder an Mangel oder an Ueberfluß daran leidet. Geschieht es einmal,
daß alle Weine eines Jahrgangs der natürlichen Süße ermangeln, so wird
crystallisirter Zucker zugesetzt, und da Zucker in einer oder der andern Form
stets die Ursache nicht blos des kohlensauren Gases, sondern auch der alkoho¬
lischen Eigenschaften guten Champagners ist, so ist es wesentlich, daß die
Menge des Zuckerstoffes sorgfältig abgemessen wird, weil der Champagner,
wenn davon zu wenig zugesetzt worden, fast gar nicht schäumt, wenn zu viel
hineingethan worden, zuviel Gas entwickelt, welches dann leicht die Flaschen
zersprengt. Mängel von weniger materiellen Eigenschaften, Feinheit, Wohl¬
geschmack und Blume, können nicht auf mechanischem Wege festgestellt, sondern
müssen einzig durch die Zunge und den Geruchssinn entdeckt werden. Wir
brauchen nicht hervorzuheben, wie fein diese Organe bei dem erfahrenen Zu¬
bereiter des vio xreMrö sein müssen, der dann zu seiner gehörigen Zeit aus
der Fabrik in Gestalt des Seeth hervorgehen wird, jener heiter stimmenden
Essenz, welche den gedrücktesten Geist seiner Last entledigt, die ärgerlichste
Laune sänftigt und die schweigsamste Zunge zum Plaudern nöthigt.

Der Wein der verschiedenen Weinberge wird aus seinen Fässern in ge¬
waltige Bütten entleert, (die zu der Fabrik Most und Chandon gehörigen
halten jede nahezu 6200 Gallonen) wo er gründlich gemischt wird, indem man
ihn vermittelst langer Stangen, an denen Querbretter befestigt sind, fortwäh¬
rend durcheinanderrührt. Nach Beendigung dieser Operation wird der Wein,
der jetzt die Farbe und den Geschmack eines herben Rheinweins mit einem
mehr oder minder hervortretenden bittern Beigeschmack hat, auf kleinere Fässer
gefüllt, in denen er verbleibt, bis er auf die Flasche kommt. In einigen der
größeren Etablissements wird der Wein direct von den Bütten durch Röhren
in große Behälter geleitet und durch Syphons auf die Flaschen gebracht. Das
geht so rasch vor sich, daß bei Most und Chandon im Laufe eines einzigen
Tages die ungeheure Summe von 80,000 Flaschen gefüllt, gestöpselt und auf
die Regale gelegt wurden. Die Korke werden nur durch eine "Agraffe", d. h.
durch ein schmales Eisenbart fest gemacht, dessen Enden sich unter dem vor¬
tretenden Rande der Flaschenmündung ineinanderhaken.

Die Operation, durch welche der Wein auf die Flasche kommt, dauert
ohne Unterbrechung bis Ende Juli fort. Die Flaschen werden, sobald sie
gefüllt sind, in die Keller geschafft, wo gewöhnlich eine Temperatur von 35


Zucker in jedem Quart Wein enthalten. Da die Trauben in dieser nörd¬
lichen Breite jedoch nur selten den verlangten Grad von Geist und Süßig¬
keit erreichen, so muß der Ausfall auf künstlichem Wege beschafft werden.
Vermittelst eines Instrumentes, Glykometer genannt, wird die Quantität
von Zuckerstoff in jeder Weinsorte leicht bestimmt, und die, welche zu
viel oder zu wenig davon hat, wird dann mit einer andern verschnitten, die
entweder an Mangel oder an Ueberfluß daran leidet. Geschieht es einmal,
daß alle Weine eines Jahrgangs der natürlichen Süße ermangeln, so wird
crystallisirter Zucker zugesetzt, und da Zucker in einer oder der andern Form
stets die Ursache nicht blos des kohlensauren Gases, sondern auch der alkoho¬
lischen Eigenschaften guten Champagners ist, so ist es wesentlich, daß die
Menge des Zuckerstoffes sorgfältig abgemessen wird, weil der Champagner,
wenn davon zu wenig zugesetzt worden, fast gar nicht schäumt, wenn zu viel
hineingethan worden, zuviel Gas entwickelt, welches dann leicht die Flaschen
zersprengt. Mängel von weniger materiellen Eigenschaften, Feinheit, Wohl¬
geschmack und Blume, können nicht auf mechanischem Wege festgestellt, sondern
müssen einzig durch die Zunge und den Geruchssinn entdeckt werden. Wir
brauchen nicht hervorzuheben, wie fein diese Organe bei dem erfahrenen Zu¬
bereiter des vio xreMrö sein müssen, der dann zu seiner gehörigen Zeit aus
der Fabrik in Gestalt des Seeth hervorgehen wird, jener heiter stimmenden
Essenz, welche den gedrücktesten Geist seiner Last entledigt, die ärgerlichste
Laune sänftigt und die schweigsamste Zunge zum Plaudern nöthigt.

Der Wein der verschiedenen Weinberge wird aus seinen Fässern in ge¬
waltige Bütten entleert, (die zu der Fabrik Most und Chandon gehörigen
halten jede nahezu 6200 Gallonen) wo er gründlich gemischt wird, indem man
ihn vermittelst langer Stangen, an denen Querbretter befestigt sind, fortwäh¬
rend durcheinanderrührt. Nach Beendigung dieser Operation wird der Wein,
der jetzt die Farbe und den Geschmack eines herben Rheinweins mit einem
mehr oder minder hervortretenden bittern Beigeschmack hat, auf kleinere Fässer
gefüllt, in denen er verbleibt, bis er auf die Flasche kommt. In einigen der
größeren Etablissements wird der Wein direct von den Bütten durch Röhren
in große Behälter geleitet und durch Syphons auf die Flaschen gebracht. Das
geht so rasch vor sich, daß bei Most und Chandon im Laufe eines einzigen
Tages die ungeheure Summe von 80,000 Flaschen gefüllt, gestöpselt und auf
die Regale gelegt wurden. Die Korke werden nur durch eine „Agraffe", d. h.
durch ein schmales Eisenbart fest gemacht, dessen Enden sich unter dem vor¬
tretenden Rande der Flaschenmündung ineinanderhaken.

Die Operation, durch welche der Wein auf die Flasche kommt, dauert
ohne Unterbrechung bis Ende Juli fort. Die Flaschen werden, sobald sie
gefüllt sind, in die Keller geschafft, wo gewöhnlich eine Temperatur von 35


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129293"/>
            <p xml:id="ID_949" prev="#ID_948"> Zucker in jedem Quart Wein enthalten. Da die Trauben in dieser nörd¬<lb/>
lichen Breite jedoch nur selten den verlangten Grad von Geist und Süßig¬<lb/>
keit erreichen, so muß der Ausfall auf künstlichem Wege beschafft werden.<lb/>
Vermittelst eines Instrumentes, Glykometer genannt, wird die Quantität<lb/>
von Zuckerstoff in jeder Weinsorte leicht bestimmt, und die, welche zu<lb/>
viel oder zu wenig davon hat, wird dann mit einer andern verschnitten, die<lb/>
entweder an Mangel oder an Ueberfluß daran leidet. Geschieht es einmal,<lb/>
daß alle Weine eines Jahrgangs der natürlichen Süße ermangeln, so wird<lb/>
crystallisirter Zucker zugesetzt, und da Zucker in einer oder der andern Form<lb/>
stets die Ursache nicht blos des kohlensauren Gases, sondern auch der alkoho¬<lb/>
lischen Eigenschaften guten Champagners ist, so ist es wesentlich, daß die<lb/>
Menge des Zuckerstoffes sorgfältig abgemessen wird, weil der Champagner,<lb/>
wenn davon zu wenig zugesetzt worden, fast gar nicht schäumt, wenn zu viel<lb/>
hineingethan worden, zuviel Gas entwickelt, welches dann leicht die Flaschen<lb/>
zersprengt. Mängel von weniger materiellen Eigenschaften, Feinheit, Wohl¬<lb/>
geschmack und Blume, können nicht auf mechanischem Wege festgestellt, sondern<lb/>
müssen einzig durch die Zunge und den Geruchssinn entdeckt werden. Wir<lb/>
brauchen nicht hervorzuheben, wie fein diese Organe bei dem erfahrenen Zu¬<lb/>
bereiter des vio xreMrö sein müssen, der dann zu seiner gehörigen Zeit aus<lb/>
der Fabrik in Gestalt des Seeth hervorgehen wird, jener heiter stimmenden<lb/>
Essenz, welche den gedrücktesten Geist seiner Last entledigt, die ärgerlichste<lb/>
Laune sänftigt und die schweigsamste Zunge zum Plaudern nöthigt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_950"> Der Wein der verschiedenen Weinberge wird aus seinen Fässern in ge¬<lb/>
waltige Bütten entleert, (die zu der Fabrik Most und Chandon gehörigen<lb/>
halten jede nahezu 6200 Gallonen) wo er gründlich gemischt wird, indem man<lb/>
ihn vermittelst langer Stangen, an denen Querbretter befestigt sind, fortwäh¬<lb/>
rend durcheinanderrührt. Nach Beendigung dieser Operation wird der Wein,<lb/>
der jetzt die Farbe und den Geschmack eines herben Rheinweins mit einem<lb/>
mehr oder minder hervortretenden bittern Beigeschmack hat, auf kleinere Fässer<lb/>
gefüllt, in denen er verbleibt, bis er auf die Flasche kommt. In einigen der<lb/>
größeren Etablissements wird der Wein direct von den Bütten durch Röhren<lb/>
in große Behälter geleitet und durch Syphons auf die Flaschen gebracht. Das<lb/>
geht so rasch vor sich, daß bei Most und Chandon im Laufe eines einzigen<lb/>
Tages die ungeheure Summe von 80,000 Flaschen gefüllt, gestöpselt und auf<lb/>
die Regale gelegt wurden. Die Korke werden nur durch eine &#x201E;Agraffe", d. h.<lb/>
durch ein schmales Eisenbart fest gemacht, dessen Enden sich unter dem vor¬<lb/>
tretenden Rande der Flaschenmündung ineinanderhaken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_951" next="#ID_952"> Die Operation, durch welche der Wein auf die Flasche kommt, dauert<lb/>
ohne Unterbrechung bis Ende Juli fort. Die Flaschen werden, sobald sie<lb/>
gefüllt sind, in die Keller geschafft, wo gewöhnlich eine Temperatur von 35</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Zucker in jedem Quart Wein enthalten. Da die Trauben in dieser nörd¬ lichen Breite jedoch nur selten den verlangten Grad von Geist und Süßig¬ keit erreichen, so muß der Ausfall auf künstlichem Wege beschafft werden. Vermittelst eines Instrumentes, Glykometer genannt, wird die Quantität von Zuckerstoff in jeder Weinsorte leicht bestimmt, und die, welche zu viel oder zu wenig davon hat, wird dann mit einer andern verschnitten, die entweder an Mangel oder an Ueberfluß daran leidet. Geschieht es einmal, daß alle Weine eines Jahrgangs der natürlichen Süße ermangeln, so wird crystallisirter Zucker zugesetzt, und da Zucker in einer oder der andern Form stets die Ursache nicht blos des kohlensauren Gases, sondern auch der alkoho¬ lischen Eigenschaften guten Champagners ist, so ist es wesentlich, daß die Menge des Zuckerstoffes sorgfältig abgemessen wird, weil der Champagner, wenn davon zu wenig zugesetzt worden, fast gar nicht schäumt, wenn zu viel hineingethan worden, zuviel Gas entwickelt, welches dann leicht die Flaschen zersprengt. Mängel von weniger materiellen Eigenschaften, Feinheit, Wohl¬ geschmack und Blume, können nicht auf mechanischem Wege festgestellt, sondern müssen einzig durch die Zunge und den Geruchssinn entdeckt werden. Wir brauchen nicht hervorzuheben, wie fein diese Organe bei dem erfahrenen Zu¬ bereiter des vio xreMrö sein müssen, der dann zu seiner gehörigen Zeit aus der Fabrik in Gestalt des Seeth hervorgehen wird, jener heiter stimmenden Essenz, welche den gedrücktesten Geist seiner Last entledigt, die ärgerlichste Laune sänftigt und die schweigsamste Zunge zum Plaudern nöthigt. Der Wein der verschiedenen Weinberge wird aus seinen Fässern in ge¬ waltige Bütten entleert, (die zu der Fabrik Most und Chandon gehörigen halten jede nahezu 6200 Gallonen) wo er gründlich gemischt wird, indem man ihn vermittelst langer Stangen, an denen Querbretter befestigt sind, fortwäh¬ rend durcheinanderrührt. Nach Beendigung dieser Operation wird der Wein, der jetzt die Farbe und den Geschmack eines herben Rheinweins mit einem mehr oder minder hervortretenden bittern Beigeschmack hat, auf kleinere Fässer gefüllt, in denen er verbleibt, bis er auf die Flasche kommt. In einigen der größeren Etablissements wird der Wein direct von den Bütten durch Röhren in große Behälter geleitet und durch Syphons auf die Flaschen gebracht. Das geht so rasch vor sich, daß bei Most und Chandon im Laufe eines einzigen Tages die ungeheure Summe von 80,000 Flaschen gefüllt, gestöpselt und auf die Regale gelegt wurden. Die Korke werden nur durch eine „Agraffe", d. h. durch ein schmales Eisenbart fest gemacht, dessen Enden sich unter dem vor¬ tretenden Rande der Flaschenmündung ineinanderhaken. Die Operation, durch welche der Wein auf die Flasche kommt, dauert ohne Unterbrechung bis Ende Juli fort. Die Flaschen werden, sobald sie gefüllt sind, in die Keller geschafft, wo gewöhnlich eine Temperatur von 35

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/301>, abgerufen am 24.08.2024.