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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Stattliche alterthümliche Dörfer ziehen sich am Flußrande hin oder klettern
an den Hügelwänden empor, und nachdem wir Ferte Sous Jouarre, die Wiege
der Cord6s, verlassen, sehen wir alle günstig gelegenen Höhen sich vom Fuß
bis zum Gipfel mit Rebenpflanzungen bedecken. Aber erst, nachdem wir das
Prächtige gothische Schloß von Boursault, welches die reiche "Veuve Clicquot"
in ihren alten Tagen erbaut hat, und dessen zahlreiche Thürme und Thürm¬
chen inmitten schattiger Bäume die höchste Bergkuppe im Umkreis von Epernay
krönen, hinter uns haben, befinden wir uns in dem eigentlichen Zauberkreise
von Weinbergen, in welchem der Champagner, einst der "Wein der Fürsten",
jetzt richtiger der "Wein der feinen Welt" genannt, seine Quelle hat.

Zu Epernay, dem Hauptquartier der altberühmten Firmen Most und
Chandon und Perrier-Iouet sowie verschiedener neuer Champagnerhäuser,
z. B. Roussillon, und wo mehrere andere mit Einschluß des jenseits des
Meeres noch unter seinem ursprünglichen Namen Heidsieck bekannten Geschäfts
Piper und Comp. ihre Keller haben, sah man bis Anfang November vorigen
Jahres noch allenthalben Spuren der deutschen Besatzung. Schwarz und weiß
gestreifte Schilderhäuser traf man nicht nur vor den öffentlichen Gebäuden,
sondern auch an mehreren abgelegenen Orten an, vorzüglich vor einem der
hübschen Schlößchen der Firma Most und Chandon in dem überzierlich ge¬
bauten Faubourg de la Folie vor einem Flügel der Magazine derselben
Firma, wo die Deutschen ein Hospital errichtet hatten, vor der Feldpost und
vor einigen Reihen hölzerner Hütten dicht daneben. stämmige, untersetzte
Preußen und Bayern bezogen die Wache am Bahnhofe und am Stadthause,
ritten oder marschirten durch die Straßen und handelten auf dem Markte um
Essiggurken und Grünkram. Sie standen als harmlose Leute mit den Ein¬
wohnern, namentlich mit der niedern Klasse, allem Anscheine nach auf ganz
gutem Fuße, schienen sich aber sehr zu langweilen.

Die Rebgelände, welche die edelsten Weinsorten liefern, befinden sich in
der Nachbarschaft von Epernay und Reims. Die Reben von Chalons sind
als zu wenig und zu untergeordneten Wein gebend, gar nicht in Rechnung zu
bringen. Die Weinberge von Epernay sind als die Flußberge, die von Reims
als die Weingärten des Gebirgs von Reims bekannt. In directem Gegensatz
gegen die Theorie, daß in den nördlichen Theilen von Frankreich die Südseite
zum Reifwerden der Traube wesentlich ist, liegen diese Weinpflanzungen fast
ausnahmslos auf der Nord- oder Nordost-Seite. Ihr Boden, welcher leicht,
trocken und kreidehaltig ist, wird verächtlich als "ekainpsgoe pouillsuse",
Lause- oder Bettelchampagne bezeichnet. Aber er eignet sich im höchsten
Grade für den Bau der Rebe, da er dem Regen leichten Zugang zu den
Wurzeln und ebenso leichten Wiederabzug gestattet.

Auf dem sogenannten Berge von Reims baut man zwei berühmte (nicht


Stattliche alterthümliche Dörfer ziehen sich am Flußrande hin oder klettern
an den Hügelwänden empor, und nachdem wir Ferte Sous Jouarre, die Wiege
der Cord6s, verlassen, sehen wir alle günstig gelegenen Höhen sich vom Fuß
bis zum Gipfel mit Rebenpflanzungen bedecken. Aber erst, nachdem wir das
Prächtige gothische Schloß von Boursault, welches die reiche „Veuve Clicquot"
in ihren alten Tagen erbaut hat, und dessen zahlreiche Thürme und Thürm¬
chen inmitten schattiger Bäume die höchste Bergkuppe im Umkreis von Epernay
krönen, hinter uns haben, befinden wir uns in dem eigentlichen Zauberkreise
von Weinbergen, in welchem der Champagner, einst der „Wein der Fürsten",
jetzt richtiger der „Wein der feinen Welt" genannt, seine Quelle hat.

Zu Epernay, dem Hauptquartier der altberühmten Firmen Most und
Chandon und Perrier-Iouet sowie verschiedener neuer Champagnerhäuser,
z. B. Roussillon, und wo mehrere andere mit Einschluß des jenseits des
Meeres noch unter seinem ursprünglichen Namen Heidsieck bekannten Geschäfts
Piper und Comp. ihre Keller haben, sah man bis Anfang November vorigen
Jahres noch allenthalben Spuren der deutschen Besatzung. Schwarz und weiß
gestreifte Schilderhäuser traf man nicht nur vor den öffentlichen Gebäuden,
sondern auch an mehreren abgelegenen Orten an, vorzüglich vor einem der
hübschen Schlößchen der Firma Most und Chandon in dem überzierlich ge¬
bauten Faubourg de la Folie vor einem Flügel der Magazine derselben
Firma, wo die Deutschen ein Hospital errichtet hatten, vor der Feldpost und
vor einigen Reihen hölzerner Hütten dicht daneben. stämmige, untersetzte
Preußen und Bayern bezogen die Wache am Bahnhofe und am Stadthause,
ritten oder marschirten durch die Straßen und handelten auf dem Markte um
Essiggurken und Grünkram. Sie standen als harmlose Leute mit den Ein¬
wohnern, namentlich mit der niedern Klasse, allem Anscheine nach auf ganz
gutem Fuße, schienen sich aber sehr zu langweilen.

Die Rebgelände, welche die edelsten Weinsorten liefern, befinden sich in
der Nachbarschaft von Epernay und Reims. Die Reben von Chalons sind
als zu wenig und zu untergeordneten Wein gebend, gar nicht in Rechnung zu
bringen. Die Weinberge von Epernay sind als die Flußberge, die von Reims
als die Weingärten des Gebirgs von Reims bekannt. In directem Gegensatz
gegen die Theorie, daß in den nördlichen Theilen von Frankreich die Südseite
zum Reifwerden der Traube wesentlich ist, liegen diese Weinpflanzungen fast
ausnahmslos auf der Nord- oder Nordost-Seite. Ihr Boden, welcher leicht,
trocken und kreidehaltig ist, wird verächtlich als „ekainpsgoe pouillsuse",
Lause- oder Bettelchampagne bezeichnet. Aber er eignet sich im höchsten
Grade für den Bau der Rebe, da er dem Regen leichten Zugang zu den
Wurzeln und ebenso leichten Wiederabzug gestattet.

Auf dem sogenannten Berge von Reims baut man zwei berühmte (nicht


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[0263] Stattliche alterthümliche Dörfer ziehen sich am Flußrande hin oder klettern an den Hügelwänden empor, und nachdem wir Ferte Sous Jouarre, die Wiege der Cord6s, verlassen, sehen wir alle günstig gelegenen Höhen sich vom Fuß bis zum Gipfel mit Rebenpflanzungen bedecken. Aber erst, nachdem wir das Prächtige gothische Schloß von Boursault, welches die reiche „Veuve Clicquot" in ihren alten Tagen erbaut hat, und dessen zahlreiche Thürme und Thürm¬ chen inmitten schattiger Bäume die höchste Bergkuppe im Umkreis von Epernay krönen, hinter uns haben, befinden wir uns in dem eigentlichen Zauberkreise von Weinbergen, in welchem der Champagner, einst der „Wein der Fürsten", jetzt richtiger der „Wein der feinen Welt" genannt, seine Quelle hat. Zu Epernay, dem Hauptquartier der altberühmten Firmen Most und Chandon und Perrier-Iouet sowie verschiedener neuer Champagnerhäuser, z. B. Roussillon, und wo mehrere andere mit Einschluß des jenseits des Meeres noch unter seinem ursprünglichen Namen Heidsieck bekannten Geschäfts Piper und Comp. ihre Keller haben, sah man bis Anfang November vorigen Jahres noch allenthalben Spuren der deutschen Besatzung. Schwarz und weiß gestreifte Schilderhäuser traf man nicht nur vor den öffentlichen Gebäuden, sondern auch an mehreren abgelegenen Orten an, vorzüglich vor einem der hübschen Schlößchen der Firma Most und Chandon in dem überzierlich ge¬ bauten Faubourg de la Folie vor einem Flügel der Magazine derselben Firma, wo die Deutschen ein Hospital errichtet hatten, vor der Feldpost und vor einigen Reihen hölzerner Hütten dicht daneben. stämmige, untersetzte Preußen und Bayern bezogen die Wache am Bahnhofe und am Stadthause, ritten oder marschirten durch die Straßen und handelten auf dem Markte um Essiggurken und Grünkram. Sie standen als harmlose Leute mit den Ein¬ wohnern, namentlich mit der niedern Klasse, allem Anscheine nach auf ganz gutem Fuße, schienen sich aber sehr zu langweilen. Die Rebgelände, welche die edelsten Weinsorten liefern, befinden sich in der Nachbarschaft von Epernay und Reims. Die Reben von Chalons sind als zu wenig und zu untergeordneten Wein gebend, gar nicht in Rechnung zu bringen. Die Weinberge von Epernay sind als die Flußberge, die von Reims als die Weingärten des Gebirgs von Reims bekannt. In directem Gegensatz gegen die Theorie, daß in den nördlichen Theilen von Frankreich die Südseite zum Reifwerden der Traube wesentlich ist, liegen diese Weinpflanzungen fast ausnahmslos auf der Nord- oder Nordost-Seite. Ihr Boden, welcher leicht, trocken und kreidehaltig ist, wird verächtlich als „ekainpsgoe pouillsuse", Lause- oder Bettelchampagne bezeichnet. Aber er eignet sich im höchsten Grade für den Bau der Rebe, da er dem Regen leichten Zugang zu den Wurzeln und ebenso leichten Wiederabzug gestattet. Auf dem sogenannten Berge von Reims baut man zwei berühmte (nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/263>, abgerufen am 02.10.2024.