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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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sagen und auf völlige Gleichstellung dringen. Da liegt der Conflict und er
muß jetzt zum Austrag gelangen.

Auf keine Weise kann von den Mächten zugegeben werden, daß der
Kaiser von China ihnen gegenüber seine unberechtigten Prätensionen von Welt¬
herrschaft aufrecht erhalte. Allerdings ist in keinem der mit China abge¬
schlossenen Verträge von einer Audienz beim Kaiser die Rede; beim Abschlüsse
derselben war man zunächst froh, die Eröffnung der Handelshafen zu er¬
langen, dachte man nicht an Etikettenfragen; aber nun, seit die Beziehungen
zu China enger und enger werden, muß auch diese Sache zur Entscheidung
kommen.

So weit wir auch in der Geschichte der europäisch-chinesischen Beziehungen
zurückschauen können, wir finden stets dasselbe Hinhalten, dieselbe Gering¬
schätzung und Treulosigkeit gegenüber den Fremden. Die Langmuth der
letzteren, die nicht gleich sich entschließen, wegen einiger niedergemetzelten
Missionäre oder einiger ausgeplünderten Kaufleute den Krieg zu erklären, hat
in den letzten Jahren wieder den Uebermuth der Chinesen aufgestachelt. Mit
diesen Erfahrungen vor Augen, glauben letztere, daß nun endlich die von
ihrem Staatsweisen Tseng-krvo-fan vorhergesagte Periode anbreche, in der
China gewaltig über die zertretenen Fremdlinge herrschen werde. Allerlei
äußere Umstände trugen dazu bei, sie in dieser Ansicht zu bestärken. Frank¬
reich hatte Genugthuung für die scheußlichen, an seinen Unterthanen verübten
Metzeleien in Tientsing zu fordern --> da kamen 1870 die deutschen Siege,
Frankreich war niedergeworfen, es konnte keine chinesische Politik treiben und
in Peking verlachte man die Forderungen. Daß Asien Europa wie Amerika
überlegen sei, war eine Ansicht, die auch noch durch den Ausfall der erbärmlich
geführten amerikanischen Expedition nach Korea bei den Chinesen befestigt
wurde. Die Amerikaner zerstörten einige kleine Forts -- dann zogen sie ab.
Sie hätten lieber gar nichts thun sollen, als halbe Arbeit.

Unterdessen rüstet China; Tientsing und die Takuforts werden befestigt;
Europa liefert Torpedos und Gußstahlkanonen. Dabei drängt die Audienz¬
frage mehr und mehr auf Entscheidung. Im Mai 1872 ist Herr Geoffroy
der französische Gesandte für Peking in China angekommen; er führt ein
Schreiben des Präsidenten Thiers bei sich, das Genugthuung für die Metzeleien
in Tientsing verlangen soll. Aber dieses Schreiben hat Herr Geoffroy noch
in der Tasche, er hat noch keine Audienz erlangt, er wird auch nicht auf die
Kniee fallen. Die Abwickelung dieser brennenden Angelegenheit in der nächsten
Zeit steht zu erwarten; bei der Entscheidung wird aber nicht nur Frankreich
betheiligt sein, sondern auch Deutschland, England und die Vereinigten
Staaten, deren Interesse in China solidarisch sind.


Richard Andres.


sagen und auf völlige Gleichstellung dringen. Da liegt der Conflict und er
muß jetzt zum Austrag gelangen.

Auf keine Weise kann von den Mächten zugegeben werden, daß der
Kaiser von China ihnen gegenüber seine unberechtigten Prätensionen von Welt¬
herrschaft aufrecht erhalte. Allerdings ist in keinem der mit China abge¬
schlossenen Verträge von einer Audienz beim Kaiser die Rede; beim Abschlüsse
derselben war man zunächst froh, die Eröffnung der Handelshafen zu er¬
langen, dachte man nicht an Etikettenfragen; aber nun, seit die Beziehungen
zu China enger und enger werden, muß auch diese Sache zur Entscheidung
kommen.

So weit wir auch in der Geschichte der europäisch-chinesischen Beziehungen
zurückschauen können, wir finden stets dasselbe Hinhalten, dieselbe Gering¬
schätzung und Treulosigkeit gegenüber den Fremden. Die Langmuth der
letzteren, die nicht gleich sich entschließen, wegen einiger niedergemetzelten
Missionäre oder einiger ausgeplünderten Kaufleute den Krieg zu erklären, hat
in den letzten Jahren wieder den Uebermuth der Chinesen aufgestachelt. Mit
diesen Erfahrungen vor Augen, glauben letztere, daß nun endlich die von
ihrem Staatsweisen Tseng-krvo-fan vorhergesagte Periode anbreche, in der
China gewaltig über die zertretenen Fremdlinge herrschen werde. Allerlei
äußere Umstände trugen dazu bei, sie in dieser Ansicht zu bestärken. Frank¬
reich hatte Genugthuung für die scheußlichen, an seinen Unterthanen verübten
Metzeleien in Tientsing zu fordern —> da kamen 1870 die deutschen Siege,
Frankreich war niedergeworfen, es konnte keine chinesische Politik treiben und
in Peking verlachte man die Forderungen. Daß Asien Europa wie Amerika
überlegen sei, war eine Ansicht, die auch noch durch den Ausfall der erbärmlich
geführten amerikanischen Expedition nach Korea bei den Chinesen befestigt
wurde. Die Amerikaner zerstörten einige kleine Forts — dann zogen sie ab.
Sie hätten lieber gar nichts thun sollen, als halbe Arbeit.

Unterdessen rüstet China; Tientsing und die Takuforts werden befestigt;
Europa liefert Torpedos und Gußstahlkanonen. Dabei drängt die Audienz¬
frage mehr und mehr auf Entscheidung. Im Mai 1872 ist Herr Geoffroy
der französische Gesandte für Peking in China angekommen; er führt ein
Schreiben des Präsidenten Thiers bei sich, das Genugthuung für die Metzeleien
in Tientsing verlangen soll. Aber dieses Schreiben hat Herr Geoffroy noch
in der Tasche, er hat noch keine Audienz erlangt, er wird auch nicht auf die
Kniee fallen. Die Abwickelung dieser brennenden Angelegenheit in der nächsten
Zeit steht zu erwarten; bei der Entscheidung wird aber nicht nur Frankreich
betheiligt sein, sondern auch Deutschland, England und die Vereinigten
Staaten, deren Interesse in China solidarisch sind.


Richard Andres.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/26>, abgerufen am 02.10.2024.