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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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ropas und der Vereinigten Staaten sich über irgend einen Vertragsbruch,
über ihnen seindliche Verordnungen und dergl. zu beschweren, so wurde stets
die Minderjährigkeit des Regenten vorgeschoben; man vertröstete sie mit der
definitiven Ordnung mancher Angelegenheiten, bis zu dessen factischer Thron¬
besteigung. Alles blieb in der Schwebe. Aber fast noch wichtiger als die
Abwickelung schwebender Angelegenheiten' erscheint die Audienzfrage, die
jetzt in den Vordergrund tritt und zu einer Krisis führt. Bis zu diesem
Augenblicke nämlich, obgleich Freundschafts- und Handelsverträge mit den
hervorragendsten Nationen von China abgeschlossen wurden, und fünf oder
sechs Gesandte, darunter ein deutscher, in Peking residiren, ist bisher von
letzteren noch nichts geschehen, um die Prätension des Sohnes des Himmels
zu brechen: daß er der Alleinherrscher der ganzen Welt sei und alle Völker
ihm von rechtswegen Unterthan wären. Noch immer ist dieß der Ta-Hwang-ki
in den Augen seiner Unterthanen, trotz aller üblen Lagen, in welche
das Blumenreich der Mitte schon gerieth, trotz der Niederlagen, welche die
Himmlischen erlitten, trotz der gewaltigen Aufstände der Taipings, trotz der
Revolution der Panthays, trotz der Losreißung von Jünnan und Ostturkestan,
trotz der Abtretung der Amurländer an Rußland. So lange aber noch diese
Ueberzeugung in 300 Millionen Unterthanen feststeht, welche die Fremden
eben als "Barbaren" und Untergebene ihres Kaisers ansehen, kann an eine
gedeihliche Durchführung der Freundschafts- und Handelsverträge nicht gedacht
werden.

Der Kaiser von China ist eben Viceregent Gottes, er ist der directe
Sohn des Himmels, ohne diese Basis sinkt er in den Augen seiner Unter¬
thanen; er kann sich daher nicht mit fremden Herrschern, indem er ihre Ge¬
sandten empfängt, gleich stellen. Auch er hat sein von possumus. Giebt
er seine Prätension'auf, dann läuft er Gefahr, seine ganze kaiserliche Macht¬
stellung einzubüßen. Aehnliche Prätensionen haben wir beim Sultan, beim
Mikado kennen gelernt; sie sind gefallen und auch die chinesischen werden
fallen, darüber kann ja kein Zweifel herrschen. Selbst noch während seiner
Minderjährigkeit, als er noch nicht officieller Himmelssohn geworden war,
empfing der junge Kaiser seine Minister und die höchsten Staatswürdenträger
in einer Weise, welche seine absolute Suprematie über alle anderen irdischen
Wesen klar stellen sollte. Die Ceremonie des "Kotau" mußte täglich vor ihm
wiederholt werden. Sie besteht darin, daß die ihm Nahenden dreimal vor
ihm niederknieen und neunmal mit der Stirn an die Erde schlagen. Für den
Chinesen ist es ganz undenkbar, daß irgend ein menschliches Wesen und sei
es unser Gesandter in Peking, vor dem Ta-Hwang-ki erscheinen könnte,
ohne diese erniedrigende Ceremonie. Aber wir finden es ebenso natürlich, daß
unsere Gesandten, die unsere Souveräne repräsentiren, sich diese Ceremonie ver-


Grenzbotm 1873. I. 3

ropas und der Vereinigten Staaten sich über irgend einen Vertragsbruch,
über ihnen seindliche Verordnungen und dergl. zu beschweren, so wurde stets
die Minderjährigkeit des Regenten vorgeschoben; man vertröstete sie mit der
definitiven Ordnung mancher Angelegenheiten, bis zu dessen factischer Thron¬
besteigung. Alles blieb in der Schwebe. Aber fast noch wichtiger als die
Abwickelung schwebender Angelegenheiten' erscheint die Audienzfrage, die
jetzt in den Vordergrund tritt und zu einer Krisis führt. Bis zu diesem
Augenblicke nämlich, obgleich Freundschafts- und Handelsverträge mit den
hervorragendsten Nationen von China abgeschlossen wurden, und fünf oder
sechs Gesandte, darunter ein deutscher, in Peking residiren, ist bisher von
letzteren noch nichts geschehen, um die Prätension des Sohnes des Himmels
zu brechen: daß er der Alleinherrscher der ganzen Welt sei und alle Völker
ihm von rechtswegen Unterthan wären. Noch immer ist dieß der Ta-Hwang-ki
in den Augen seiner Unterthanen, trotz aller üblen Lagen, in welche
das Blumenreich der Mitte schon gerieth, trotz der Niederlagen, welche die
Himmlischen erlitten, trotz der gewaltigen Aufstände der Taipings, trotz der
Revolution der Panthays, trotz der Losreißung von Jünnan und Ostturkestan,
trotz der Abtretung der Amurländer an Rußland. So lange aber noch diese
Ueberzeugung in 300 Millionen Unterthanen feststeht, welche die Fremden
eben als „Barbaren" und Untergebene ihres Kaisers ansehen, kann an eine
gedeihliche Durchführung der Freundschafts- und Handelsverträge nicht gedacht
werden.

Der Kaiser von China ist eben Viceregent Gottes, er ist der directe
Sohn des Himmels, ohne diese Basis sinkt er in den Augen seiner Unter¬
thanen; er kann sich daher nicht mit fremden Herrschern, indem er ihre Ge¬
sandten empfängt, gleich stellen. Auch er hat sein von possumus. Giebt
er seine Prätension'auf, dann läuft er Gefahr, seine ganze kaiserliche Macht¬
stellung einzubüßen. Aehnliche Prätensionen haben wir beim Sultan, beim
Mikado kennen gelernt; sie sind gefallen und auch die chinesischen werden
fallen, darüber kann ja kein Zweifel herrschen. Selbst noch während seiner
Minderjährigkeit, als er noch nicht officieller Himmelssohn geworden war,
empfing der junge Kaiser seine Minister und die höchsten Staatswürdenträger
in einer Weise, welche seine absolute Suprematie über alle anderen irdischen
Wesen klar stellen sollte. Die Ceremonie des „Kotau" mußte täglich vor ihm
wiederholt werden. Sie besteht darin, daß die ihm Nahenden dreimal vor
ihm niederknieen und neunmal mit der Stirn an die Erde schlagen. Für den
Chinesen ist es ganz undenkbar, daß irgend ein menschliches Wesen und sei
es unser Gesandter in Peking, vor dem Ta-Hwang-ki erscheinen könnte,
ohne diese erniedrigende Ceremonie. Aber wir finden es ebenso natürlich, daß
unsere Gesandten, die unsere Souveräne repräsentiren, sich diese Ceremonie ver-


Grenzbotm 1873. I. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/25>, abgerufen am 02.10.2024.