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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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der unerschöpflich reichen Thätigkeit des Dichters ergötzen. Endlich werden
die sinnigen Freunde der Poesie und zugleich der menschlichen Persönlichkeit
des Poeten, die man von der Zunft der eigentlichen literarischen Fachleute,
Forscher und Kenner wohl unterscheiden muß und die auch in unsern Tagen
noch nicht ganz ausgestorben sind, an so manchem sich erfreuen, wozu ihnen
warme und lebhaft gefärbte Züge der Gestalt Rückert's entgegentreten, so an
vielen seiner Briefe, die doch ein bisher ungehobener Schatz heißen durften,
so vor allem an der frei entworfenen und zart ausgeführten Portraitskizze,
die Dr. Fr. Schubart in Erfurt von seinem gleichaltrigen, ihm aber lange voraus¬
gegangenen Freunde der Jugend und des Greisenalters gezeichnet hat.

C. Schubart, ein Thüringer, Philologe und Pädagoge seinem Berufe
nach, gehört auch zu jener Schar schönbegabter poetischer Talente, von denen
das übersättigte deutsche Publikum keine Notiz genommen hat. Sein großer
Freund mochte ihn dafür trösten, der von seiner Anlage und Kunst, nament¬
lich von dem Wohllaut und der Sangbarkeit seiner Lyrik sehr hoch dachte.
Eine charakteristische Aeußerung der Art, die wir aus eigener Erinnerung be¬
bestätigen können, theilt Beyer 1, 84 mit. Es war ein gemeinschaftlicher
Freund aus Erfurt in Neuseß mit der doch nicht selten gehörten Bitte erschie¬
nen um neue möglichst compositionsfähige oder singbare Lieder des Dichters.
Dieser antwortete: "Sie haben nicht nöthig zu mir zu kommen, gehen Sie
zu unserm Freunde Schubart, der macht die Gedichte so schön als ich."

Das Freundschaftsband zwischen beiden schlang sich schon 1810 in Jena,
wo der einige Monate jüngere Schubart zufällig in demselben Hause wohnte,
mit dem zum Behufe seiner Habilitation als Privatdocent der Philologie da¬
hin gekommenen Rückert. Die Jenenser Episode dauerte nur bis in den April
1812, wo dieser des Privatdocirens satt, sich zunächst wieder nach seiner
freundlichen Heimath wandte. Damit erreichte der persönliche Verkehr mit
Schubart zunächst seinen Abschluß, nicht aber die innigste Gemeinschaft idealer,
namentlich poetischer Interessen, die sie in Jena mit einander gepflogen. Eine
Anzahl an Inhalt und Ausbeute gleich bedeutender Briefe Rückert's aus den
nächsten Jahren giebt darüber Aufschluß. Doch endlich trat ein Verstummen
ein. Es erklärt sich ebenso sehr aus dem Naturell Rückert's, dem jede Art
von Mittheilung außerhalb der poetischen Kunstform an sich wenig homogen
war und darunter am wenigsten das Briefschreiben, wie aus dem bunten
Wechsel der äußeren Lebensverhältnisse beider, wodurch Schubart -- da wir
die Rückert's im allgemeinen als bekannt voraussetzen dürfen -- nach Berlin
und zwar in eine sehr anstrengende Lehrthätigkeit versetzt wurde.

Erst das Jahr 1841 brachte beide schon auf der Höhe des Lebens ange¬
langte Freunde wieder in persönlichen Verkehr. Als Rückert nach Berlin im
Herbste des genannten Jahres übersiedelte, fand er dort Schubart schon seit


der unerschöpflich reichen Thätigkeit des Dichters ergötzen. Endlich werden
die sinnigen Freunde der Poesie und zugleich der menschlichen Persönlichkeit
des Poeten, die man von der Zunft der eigentlichen literarischen Fachleute,
Forscher und Kenner wohl unterscheiden muß und die auch in unsern Tagen
noch nicht ganz ausgestorben sind, an so manchem sich erfreuen, wozu ihnen
warme und lebhaft gefärbte Züge der Gestalt Rückert's entgegentreten, so an
vielen seiner Briefe, die doch ein bisher ungehobener Schatz heißen durften,
so vor allem an der frei entworfenen und zart ausgeführten Portraitskizze,
die Dr. Fr. Schubart in Erfurt von seinem gleichaltrigen, ihm aber lange voraus¬
gegangenen Freunde der Jugend und des Greisenalters gezeichnet hat.

C. Schubart, ein Thüringer, Philologe und Pädagoge seinem Berufe
nach, gehört auch zu jener Schar schönbegabter poetischer Talente, von denen
das übersättigte deutsche Publikum keine Notiz genommen hat. Sein großer
Freund mochte ihn dafür trösten, der von seiner Anlage und Kunst, nament¬
lich von dem Wohllaut und der Sangbarkeit seiner Lyrik sehr hoch dachte.
Eine charakteristische Aeußerung der Art, die wir aus eigener Erinnerung be¬
bestätigen können, theilt Beyer 1, 84 mit. Es war ein gemeinschaftlicher
Freund aus Erfurt in Neuseß mit der doch nicht selten gehörten Bitte erschie¬
nen um neue möglichst compositionsfähige oder singbare Lieder des Dichters.
Dieser antwortete: „Sie haben nicht nöthig zu mir zu kommen, gehen Sie
zu unserm Freunde Schubart, der macht die Gedichte so schön als ich."

Das Freundschaftsband zwischen beiden schlang sich schon 1810 in Jena,
wo der einige Monate jüngere Schubart zufällig in demselben Hause wohnte,
mit dem zum Behufe seiner Habilitation als Privatdocent der Philologie da¬
hin gekommenen Rückert. Die Jenenser Episode dauerte nur bis in den April
1812, wo dieser des Privatdocirens satt, sich zunächst wieder nach seiner
freundlichen Heimath wandte. Damit erreichte der persönliche Verkehr mit
Schubart zunächst seinen Abschluß, nicht aber die innigste Gemeinschaft idealer,
namentlich poetischer Interessen, die sie in Jena mit einander gepflogen. Eine
Anzahl an Inhalt und Ausbeute gleich bedeutender Briefe Rückert's aus den
nächsten Jahren giebt darüber Aufschluß. Doch endlich trat ein Verstummen
ein. Es erklärt sich ebenso sehr aus dem Naturell Rückert's, dem jede Art
von Mittheilung außerhalb der poetischen Kunstform an sich wenig homogen
war und darunter am wenigsten das Briefschreiben, wie aus dem bunten
Wechsel der äußeren Lebensverhältnisse beider, wodurch Schubart — da wir
die Rückert's im allgemeinen als bekannt voraussetzen dürfen — nach Berlin
und zwar in eine sehr anstrengende Lehrthätigkeit versetzt wurde.

Erst das Jahr 1841 brachte beide schon auf der Höhe des Lebens ange¬
langte Freunde wieder in persönlichen Verkehr. Als Rückert nach Berlin im
Herbste des genannten Jahres übersiedelte, fand er dort Schubart schon seit


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[0251] der unerschöpflich reichen Thätigkeit des Dichters ergötzen. Endlich werden die sinnigen Freunde der Poesie und zugleich der menschlichen Persönlichkeit des Poeten, die man von der Zunft der eigentlichen literarischen Fachleute, Forscher und Kenner wohl unterscheiden muß und die auch in unsern Tagen noch nicht ganz ausgestorben sind, an so manchem sich erfreuen, wozu ihnen warme und lebhaft gefärbte Züge der Gestalt Rückert's entgegentreten, so an vielen seiner Briefe, die doch ein bisher ungehobener Schatz heißen durften, so vor allem an der frei entworfenen und zart ausgeführten Portraitskizze, die Dr. Fr. Schubart in Erfurt von seinem gleichaltrigen, ihm aber lange voraus¬ gegangenen Freunde der Jugend und des Greisenalters gezeichnet hat. C. Schubart, ein Thüringer, Philologe und Pädagoge seinem Berufe nach, gehört auch zu jener Schar schönbegabter poetischer Talente, von denen das übersättigte deutsche Publikum keine Notiz genommen hat. Sein großer Freund mochte ihn dafür trösten, der von seiner Anlage und Kunst, nament¬ lich von dem Wohllaut und der Sangbarkeit seiner Lyrik sehr hoch dachte. Eine charakteristische Aeußerung der Art, die wir aus eigener Erinnerung be¬ bestätigen können, theilt Beyer 1, 84 mit. Es war ein gemeinschaftlicher Freund aus Erfurt in Neuseß mit der doch nicht selten gehörten Bitte erschie¬ nen um neue möglichst compositionsfähige oder singbare Lieder des Dichters. Dieser antwortete: „Sie haben nicht nöthig zu mir zu kommen, gehen Sie zu unserm Freunde Schubart, der macht die Gedichte so schön als ich." Das Freundschaftsband zwischen beiden schlang sich schon 1810 in Jena, wo der einige Monate jüngere Schubart zufällig in demselben Hause wohnte, mit dem zum Behufe seiner Habilitation als Privatdocent der Philologie da¬ hin gekommenen Rückert. Die Jenenser Episode dauerte nur bis in den April 1812, wo dieser des Privatdocirens satt, sich zunächst wieder nach seiner freundlichen Heimath wandte. Damit erreichte der persönliche Verkehr mit Schubart zunächst seinen Abschluß, nicht aber die innigste Gemeinschaft idealer, namentlich poetischer Interessen, die sie in Jena mit einander gepflogen. Eine Anzahl an Inhalt und Ausbeute gleich bedeutender Briefe Rückert's aus den nächsten Jahren giebt darüber Aufschluß. Doch endlich trat ein Verstummen ein. Es erklärt sich ebenso sehr aus dem Naturell Rückert's, dem jede Art von Mittheilung außerhalb der poetischen Kunstform an sich wenig homogen war und darunter am wenigsten das Briefschreiben, wie aus dem bunten Wechsel der äußeren Lebensverhältnisse beider, wodurch Schubart — da wir die Rückert's im allgemeinen als bekannt voraussetzen dürfen — nach Berlin und zwar in eine sehr anstrengende Lehrthätigkeit versetzt wurde. Erst das Jahr 1841 brachte beide schon auf der Höhe des Lebens ange¬ langte Freunde wieder in persönlichen Verkehr. Als Rückert nach Berlin im Herbste des genannten Jahres übersiedelte, fand er dort Schubart schon seit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/251>, abgerufen am 24.08.2024.