Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schlichen Coalitionsfreiheit ebensowohl als im Interesse der Gesellschaft,
liegt eine zeitige Vorkehr gegen den Mißbrauch dieser Freiheit.

In dem Obigen schon ist klar bezeichnet, welche Fälle wir in dem Begriff
des Mißbrauchs der Coalitionsfreiheit und der ungesetzlichen Strikes zusam¬
menfassen: nämlich die Verabredung und Ausführung einer Arbeitseinstellung,
welche die gesetzlichen oder vertragsmäßigen Kündigungsfristen mißachtet. Am
häufigsten wird diese ungesetzliche Handlung begangen Seiten der Rädelsfüh¬
rer in der Rolle der Anstifter -- auch wenn sie selbst nicht striken -- Seiten
der Sinkenden in der Rolle der Theilnehmer, Seiten der Strikekassenbeisteuern-
den in d.er Rolle der Gehülfen. Aber keine dieser Handlungen ist bis jetzt
mit Strafe bedroht, wie sich aus einem Blick in die einschlagenden Gesetze
ergibt.

Denn die deutsche Gewerbeordnung bedroht im § 153 nur diejenigen mit
Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten, welche Andere "durch Anwendung
körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Ver¬
rufserklärung bestimmen oder zu bestimmen versuchen, an solchen Verabredungen
(und Vereinigungen behufs Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen
insbes. mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, § 152)
Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten oder Andere durch gleiche Mittel
hindern oder zu hindern versuchen, von solchen Verabredungen zurückzutreten."
Es ist also, wie man sieht, die Verabredung und Vereinigung zu einer unge¬
setzlichen, kündigungslosen Arbeitseinstellung nicht mit Strafe bedroht. Der
weitere Schutz aber, den die deutsche Gewerbeordnung im § 110 durch Auf¬
stellung der bekannten vierzehntägiger beiderseitigen Kündigungsfrist gegen
Plötzliche Strikes bietet, ist ein blos scheinbarer. Diese Bestimmung bildet
selbstverständlich nur die Hülfe des bürgerlichen Richters, nicht die des Straf¬
richters. Und auch diese Hülfe bietet sie practisch nur dem Arbeiter, nicht
dem Arbeitgeber. Der Arbeiter wird, bei kündigungsloser ungesetzlicher Ent¬
lassung auf Grund dieser Bestimmung meist mit Erfolg seinen Lohn auf die
nächsten vierzehn Tage einklagen. Der Arbeitgeber dagegen hat, wenn ihn
der Arbeiter plötzlich verläßt, doch zunächst nur eine Klage auf Erfüllung des
Arbeitsvertrages und nur subsidiär auf Schadenersatz. Wie aber soll der Ar¬
beitgeber im Fall eines Strikes ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, sein
Recht auf Leistung der bedungenen Arbeit innerhalb der nächsten 14
Tage, vor dem Richter erstreiten? Wenn die Klage auch sofort eingereicht
wird, so sind die betreffenden 14 Tage ganz unzweifelhaft abgelaufen, ehe
das richterliche Erkenntniß rechtskräftig und damit vollstreckbar wird. Und
vollstreckbar ist es dann nicht mehr, wegen Ablaufs der betreffenden Zeit.
Versucht aber nun der Arbeitgeber die ihm subsidiär zuerkannte Entschädigung
im Executionswege einzubringen, so tritt ihm, wenn der Arbeiter inzwischen


schlichen Coalitionsfreiheit ebensowohl als im Interesse der Gesellschaft,
liegt eine zeitige Vorkehr gegen den Mißbrauch dieser Freiheit.

In dem Obigen schon ist klar bezeichnet, welche Fälle wir in dem Begriff
des Mißbrauchs der Coalitionsfreiheit und der ungesetzlichen Strikes zusam¬
menfassen: nämlich die Verabredung und Ausführung einer Arbeitseinstellung,
welche die gesetzlichen oder vertragsmäßigen Kündigungsfristen mißachtet. Am
häufigsten wird diese ungesetzliche Handlung begangen Seiten der Rädelsfüh¬
rer in der Rolle der Anstifter — auch wenn sie selbst nicht striken — Seiten
der Sinkenden in der Rolle der Theilnehmer, Seiten der Strikekassenbeisteuern-
den in d.er Rolle der Gehülfen. Aber keine dieser Handlungen ist bis jetzt
mit Strafe bedroht, wie sich aus einem Blick in die einschlagenden Gesetze
ergibt.

Denn die deutsche Gewerbeordnung bedroht im § 153 nur diejenigen mit
Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten, welche Andere „durch Anwendung
körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Ver¬
rufserklärung bestimmen oder zu bestimmen versuchen, an solchen Verabredungen
(und Vereinigungen behufs Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen
insbes. mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, § 152)
Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten oder Andere durch gleiche Mittel
hindern oder zu hindern versuchen, von solchen Verabredungen zurückzutreten."
Es ist also, wie man sieht, die Verabredung und Vereinigung zu einer unge¬
setzlichen, kündigungslosen Arbeitseinstellung nicht mit Strafe bedroht. Der
weitere Schutz aber, den die deutsche Gewerbeordnung im § 110 durch Auf¬
stellung der bekannten vierzehntägiger beiderseitigen Kündigungsfrist gegen
Plötzliche Strikes bietet, ist ein blos scheinbarer. Diese Bestimmung bildet
selbstverständlich nur die Hülfe des bürgerlichen Richters, nicht die des Straf¬
richters. Und auch diese Hülfe bietet sie practisch nur dem Arbeiter, nicht
dem Arbeitgeber. Der Arbeiter wird, bei kündigungsloser ungesetzlicher Ent¬
lassung auf Grund dieser Bestimmung meist mit Erfolg seinen Lohn auf die
nächsten vierzehn Tage einklagen. Der Arbeitgeber dagegen hat, wenn ihn
der Arbeiter plötzlich verläßt, doch zunächst nur eine Klage auf Erfüllung des
Arbeitsvertrages und nur subsidiär auf Schadenersatz. Wie aber soll der Ar¬
beitgeber im Fall eines Strikes ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, sein
Recht auf Leistung der bedungenen Arbeit innerhalb der nächsten 14
Tage, vor dem Richter erstreiten? Wenn die Klage auch sofort eingereicht
wird, so sind die betreffenden 14 Tage ganz unzweifelhaft abgelaufen, ehe
das richterliche Erkenntniß rechtskräftig und damit vollstreckbar wird. Und
vollstreckbar ist es dann nicht mehr, wegen Ablaufs der betreffenden Zeit.
Versucht aber nun der Arbeitgeber die ihm subsidiär zuerkannte Entschädigung
im Executionswege einzubringen, so tritt ihm, wenn der Arbeiter inzwischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129223"/>
          <p xml:id="ID_740" prev="#ID_739"> schlichen Coalitionsfreiheit ebensowohl als im Interesse der Gesellschaft,<lb/>
liegt eine zeitige Vorkehr gegen den Mißbrauch dieser Freiheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_741"> In dem Obigen schon ist klar bezeichnet, welche Fälle wir in dem Begriff<lb/>
des Mißbrauchs der Coalitionsfreiheit und der ungesetzlichen Strikes zusam¬<lb/>
menfassen: nämlich die Verabredung und Ausführung einer Arbeitseinstellung,<lb/>
welche die gesetzlichen oder vertragsmäßigen Kündigungsfristen mißachtet. Am<lb/>
häufigsten wird diese ungesetzliche Handlung begangen Seiten der Rädelsfüh¬<lb/>
rer in der Rolle der Anstifter &#x2014; auch wenn sie selbst nicht striken &#x2014; Seiten<lb/>
der Sinkenden in der Rolle der Theilnehmer, Seiten der Strikekassenbeisteuern-<lb/>
den in d.er Rolle der Gehülfen. Aber keine dieser Handlungen ist bis jetzt<lb/>
mit Strafe bedroht, wie sich aus einem Blick in die einschlagenden Gesetze<lb/>
ergibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_742" next="#ID_743"> Denn die deutsche Gewerbeordnung bedroht im § 153 nur diejenigen mit<lb/>
Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten, welche Andere &#x201E;durch Anwendung<lb/>
körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Ver¬<lb/>
rufserklärung bestimmen oder zu bestimmen versuchen, an solchen Verabredungen<lb/>
(und Vereinigungen behufs Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen<lb/>
insbes. mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, § 152)<lb/>
Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten oder Andere durch gleiche Mittel<lb/>
hindern oder zu hindern versuchen, von solchen Verabredungen zurückzutreten."<lb/>
Es ist also, wie man sieht, die Verabredung und Vereinigung zu einer unge¬<lb/>
setzlichen, kündigungslosen Arbeitseinstellung nicht mit Strafe bedroht. Der<lb/>
weitere Schutz aber, den die deutsche Gewerbeordnung im § 110 durch Auf¬<lb/>
stellung der bekannten vierzehntägiger beiderseitigen Kündigungsfrist gegen<lb/>
Plötzliche Strikes bietet, ist ein blos scheinbarer. Diese Bestimmung bildet<lb/>
selbstverständlich nur die Hülfe des bürgerlichen Richters, nicht die des Straf¬<lb/>
richters. Und auch diese Hülfe bietet sie practisch nur dem Arbeiter, nicht<lb/>
dem Arbeitgeber. Der Arbeiter wird, bei kündigungsloser ungesetzlicher Ent¬<lb/>
lassung auf Grund dieser Bestimmung meist mit Erfolg seinen Lohn auf die<lb/>
nächsten vierzehn Tage einklagen. Der Arbeitgeber dagegen hat, wenn ihn<lb/>
der Arbeiter plötzlich verläßt, doch zunächst nur eine Klage auf Erfüllung des<lb/>
Arbeitsvertrages und nur subsidiär auf Schadenersatz. Wie aber soll der Ar¬<lb/>
beitgeber im Fall eines Strikes ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, sein<lb/>
Recht auf Leistung der bedungenen Arbeit innerhalb der nächsten 14<lb/>
Tage, vor dem Richter erstreiten? Wenn die Klage auch sofort eingereicht<lb/>
wird, so sind die betreffenden 14 Tage ganz unzweifelhaft abgelaufen, ehe<lb/>
das richterliche Erkenntniß rechtskräftig und damit vollstreckbar wird. Und<lb/>
vollstreckbar ist es dann nicht mehr, wegen Ablaufs der betreffenden Zeit.<lb/>
Versucht aber nun der Arbeitgeber die ihm subsidiär zuerkannte Entschädigung<lb/>
im Executionswege einzubringen, so tritt ihm, wenn der Arbeiter inzwischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] schlichen Coalitionsfreiheit ebensowohl als im Interesse der Gesellschaft, liegt eine zeitige Vorkehr gegen den Mißbrauch dieser Freiheit. In dem Obigen schon ist klar bezeichnet, welche Fälle wir in dem Begriff des Mißbrauchs der Coalitionsfreiheit und der ungesetzlichen Strikes zusam¬ menfassen: nämlich die Verabredung und Ausführung einer Arbeitseinstellung, welche die gesetzlichen oder vertragsmäßigen Kündigungsfristen mißachtet. Am häufigsten wird diese ungesetzliche Handlung begangen Seiten der Rädelsfüh¬ rer in der Rolle der Anstifter — auch wenn sie selbst nicht striken — Seiten der Sinkenden in der Rolle der Theilnehmer, Seiten der Strikekassenbeisteuern- den in d.er Rolle der Gehülfen. Aber keine dieser Handlungen ist bis jetzt mit Strafe bedroht, wie sich aus einem Blick in die einschlagenden Gesetze ergibt. Denn die deutsche Gewerbeordnung bedroht im § 153 nur diejenigen mit Gefängnißstrafe bis zu drei Monaten, welche Andere „durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Ver¬ rufserklärung bestimmen oder zu bestimmen versuchen, an solchen Verabredungen (und Vereinigungen behufs Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen insbes. mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, § 152) Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten oder Andere durch gleiche Mittel hindern oder zu hindern versuchen, von solchen Verabredungen zurückzutreten." Es ist also, wie man sieht, die Verabredung und Vereinigung zu einer unge¬ setzlichen, kündigungslosen Arbeitseinstellung nicht mit Strafe bedroht. Der weitere Schutz aber, den die deutsche Gewerbeordnung im § 110 durch Auf¬ stellung der bekannten vierzehntägiger beiderseitigen Kündigungsfrist gegen Plötzliche Strikes bietet, ist ein blos scheinbarer. Diese Bestimmung bildet selbstverständlich nur die Hülfe des bürgerlichen Richters, nicht die des Straf¬ richters. Und auch diese Hülfe bietet sie practisch nur dem Arbeiter, nicht dem Arbeitgeber. Der Arbeiter wird, bei kündigungsloser ungesetzlicher Ent¬ lassung auf Grund dieser Bestimmung meist mit Erfolg seinen Lohn auf die nächsten vierzehn Tage einklagen. Der Arbeitgeber dagegen hat, wenn ihn der Arbeiter plötzlich verläßt, doch zunächst nur eine Klage auf Erfüllung des Arbeitsvertrages und nur subsidiär auf Schadenersatz. Wie aber soll der Ar¬ beitgeber im Fall eines Strikes ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, sein Recht auf Leistung der bedungenen Arbeit innerhalb der nächsten 14 Tage, vor dem Richter erstreiten? Wenn die Klage auch sofort eingereicht wird, so sind die betreffenden 14 Tage ganz unzweifelhaft abgelaufen, ehe das richterliche Erkenntniß rechtskräftig und damit vollstreckbar wird. Und vollstreckbar ist es dann nicht mehr, wegen Ablaufs der betreffenden Zeit. Versucht aber nun der Arbeitgeber die ihm subsidiär zuerkannte Entschädigung im Executionswege einzubringen, so tritt ihm, wenn der Arbeiter inzwischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/231>, abgerufen am 26.06.2024.