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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Verhältniß regiert heutzutage -- und zwar großentheils in Folge der Häu¬
figkeit und Frivolität, mit welcher plötzlich vertragswidrige Strikes angesagt
und ausgeführt werden -- das allgemeine Mißtrauen, der Krieg Aller gegen
Alle. Wenige Arbeitgeber sind beim Anbruch eines Arbeitstages völlig sicher,
daß ihre Arbeiter bis zum Abend ihre Pflicht thun werden. Wenige Arbeiter¬
klassen umgekehrt sind davor geschützt, daß sie nicht wider ihren Willen in
einen angezettelten Strike ihrer Berufsgenossen hineingezogen werden. Der
sog. "moralische" Einfluß der sinkenden College" ist in den meisten Fällen
ein bestimmender, und wenn der nicht Ausschlag gibt, so setzt die Contremine
der Principale alle Mitglieder der Strikeverbindung. die trotz des Strikes der
Uebrigen noch fortarbeiten wollten, an die Luft. Und wie kein Arbeitgeber
seiner Leute auch nur auf eines Tages Spanne sicher ist, so muß sich jeder
Kunde, der mit dem Arbeitgeber Lieferungsgeschäfte geschlossen hat. tagtäglich
auf die ihrem processualen Charakter nach dilatorische, ihrer Wirkung nach
jedoch durchaus peremtorische -- telegraphisch vermittelte Einrede gefaßt machen,
von welcher das biedere cxn-Ms juris sich freilich noch nichts träumen ließ:
"Meine Leute sinken -- abwarten!" Und da fragt sich: braucht sich der Kunde
die Verzögerung gefallen zu lassen? -- Ist ein ungesetzlicher Strike ein Fall
der doree ing-lsurk für den Fabrikanten, den Industriellen? Wir überlassen
die Entscheidung der Frage unserem höchsten deutschen Gerichtshof. Er wird
sie bald genug einmal zu fällen haben. Die Gelegenheit ist günstig. Uns
genügt es, diese Frage, die, wenn sie verneint wird, jeden Industriellen infolge
eines plötzlichen Strikes dem Bankerutt preisgeben kann, hier neben den an¬
dern peinlichen Folgen ungesetzlicher Strikes nur anzuregen. Sind diese schlim¬
men Folgen bei uns überhaupt noch einer Steigerung fähig? Gewiß, wir
haben eine unerklommene Stufe noch vor uns. Das ganze -- im Vergleich
zu dem Bestand der städtischen und industriellen Arbeiter, fast unbemessene
Contingent der ländlichen Arbeiter ist von dem Strikewesen bis heute glück¬
licherweise noch fast vollständig unberührt geblieben. Aber in dem Momente,
wo hier der Ansteckungsstoff Nahrung fände, würden die schweren wirthschaft¬
lichen und socialen Mißstände, welche plötzliche Strikes schon heute im Gefolge
haben, in's Ungeheure gesteigert. In einer Stunde der Unbotmäßigkeit und
Meisterlofigkeit gegen den Gutsherrn könnte die mühsame Errungenschaft von
Monaten zu Grunde gehen. Blitz und Regen, Hagel und Sturm könnten in
dieser einen Stunde eine ganze Ernte vernichten, wenn die sinkenden Knechte
sie einzubringen sich weigern, --

Gegen diese Gefahren, gegen den Mißbrauch einer Freiheit, an deren Be¬
seitigung kein Vernünftiger denken sollte, bedürfen wir des Schutzes, und sind
wir doch bis heute so gut wie nicht geschützt. Gerade im Interesse der ge-


Verhältniß regiert heutzutage — und zwar großentheils in Folge der Häu¬
figkeit und Frivolität, mit welcher plötzlich vertragswidrige Strikes angesagt
und ausgeführt werden — das allgemeine Mißtrauen, der Krieg Aller gegen
Alle. Wenige Arbeitgeber sind beim Anbruch eines Arbeitstages völlig sicher,
daß ihre Arbeiter bis zum Abend ihre Pflicht thun werden. Wenige Arbeiter¬
klassen umgekehrt sind davor geschützt, daß sie nicht wider ihren Willen in
einen angezettelten Strike ihrer Berufsgenossen hineingezogen werden. Der
sog. „moralische" Einfluß der sinkenden College» ist in den meisten Fällen
ein bestimmender, und wenn der nicht Ausschlag gibt, so setzt die Contremine
der Principale alle Mitglieder der Strikeverbindung. die trotz des Strikes der
Uebrigen noch fortarbeiten wollten, an die Luft. Und wie kein Arbeitgeber
seiner Leute auch nur auf eines Tages Spanne sicher ist, so muß sich jeder
Kunde, der mit dem Arbeitgeber Lieferungsgeschäfte geschlossen hat. tagtäglich
auf die ihrem processualen Charakter nach dilatorische, ihrer Wirkung nach
jedoch durchaus peremtorische — telegraphisch vermittelte Einrede gefaßt machen,
von welcher das biedere cxn-Ms juris sich freilich noch nichts träumen ließ:
„Meine Leute sinken — abwarten!" Und da fragt sich: braucht sich der Kunde
die Verzögerung gefallen zu lassen? — Ist ein ungesetzlicher Strike ein Fall
der doree ing-lsurk für den Fabrikanten, den Industriellen? Wir überlassen
die Entscheidung der Frage unserem höchsten deutschen Gerichtshof. Er wird
sie bald genug einmal zu fällen haben. Die Gelegenheit ist günstig. Uns
genügt es, diese Frage, die, wenn sie verneint wird, jeden Industriellen infolge
eines plötzlichen Strikes dem Bankerutt preisgeben kann, hier neben den an¬
dern peinlichen Folgen ungesetzlicher Strikes nur anzuregen. Sind diese schlim¬
men Folgen bei uns überhaupt noch einer Steigerung fähig? Gewiß, wir
haben eine unerklommene Stufe noch vor uns. Das ganze — im Vergleich
zu dem Bestand der städtischen und industriellen Arbeiter, fast unbemessene
Contingent der ländlichen Arbeiter ist von dem Strikewesen bis heute glück¬
licherweise noch fast vollständig unberührt geblieben. Aber in dem Momente,
wo hier der Ansteckungsstoff Nahrung fände, würden die schweren wirthschaft¬
lichen und socialen Mißstände, welche plötzliche Strikes schon heute im Gefolge
haben, in's Ungeheure gesteigert. In einer Stunde der Unbotmäßigkeit und
Meisterlofigkeit gegen den Gutsherrn könnte die mühsame Errungenschaft von
Monaten zu Grunde gehen. Blitz und Regen, Hagel und Sturm könnten in
dieser einen Stunde eine ganze Ernte vernichten, wenn die sinkenden Knechte
sie einzubringen sich weigern, —

Gegen diese Gefahren, gegen den Mißbrauch einer Freiheit, an deren Be¬
seitigung kein Vernünftiger denken sollte, bedürfen wir des Schutzes, und sind
wir doch bis heute so gut wie nicht geschützt. Gerade im Interesse der ge-


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[0230] Verhältniß regiert heutzutage — und zwar großentheils in Folge der Häu¬ figkeit und Frivolität, mit welcher plötzlich vertragswidrige Strikes angesagt und ausgeführt werden — das allgemeine Mißtrauen, der Krieg Aller gegen Alle. Wenige Arbeitgeber sind beim Anbruch eines Arbeitstages völlig sicher, daß ihre Arbeiter bis zum Abend ihre Pflicht thun werden. Wenige Arbeiter¬ klassen umgekehrt sind davor geschützt, daß sie nicht wider ihren Willen in einen angezettelten Strike ihrer Berufsgenossen hineingezogen werden. Der sog. „moralische" Einfluß der sinkenden College» ist in den meisten Fällen ein bestimmender, und wenn der nicht Ausschlag gibt, so setzt die Contremine der Principale alle Mitglieder der Strikeverbindung. die trotz des Strikes der Uebrigen noch fortarbeiten wollten, an die Luft. Und wie kein Arbeitgeber seiner Leute auch nur auf eines Tages Spanne sicher ist, so muß sich jeder Kunde, der mit dem Arbeitgeber Lieferungsgeschäfte geschlossen hat. tagtäglich auf die ihrem processualen Charakter nach dilatorische, ihrer Wirkung nach jedoch durchaus peremtorische — telegraphisch vermittelte Einrede gefaßt machen, von welcher das biedere cxn-Ms juris sich freilich noch nichts träumen ließ: „Meine Leute sinken — abwarten!" Und da fragt sich: braucht sich der Kunde die Verzögerung gefallen zu lassen? — Ist ein ungesetzlicher Strike ein Fall der doree ing-lsurk für den Fabrikanten, den Industriellen? Wir überlassen die Entscheidung der Frage unserem höchsten deutschen Gerichtshof. Er wird sie bald genug einmal zu fällen haben. Die Gelegenheit ist günstig. Uns genügt es, diese Frage, die, wenn sie verneint wird, jeden Industriellen infolge eines plötzlichen Strikes dem Bankerutt preisgeben kann, hier neben den an¬ dern peinlichen Folgen ungesetzlicher Strikes nur anzuregen. Sind diese schlim¬ men Folgen bei uns überhaupt noch einer Steigerung fähig? Gewiß, wir haben eine unerklommene Stufe noch vor uns. Das ganze — im Vergleich zu dem Bestand der städtischen und industriellen Arbeiter, fast unbemessene Contingent der ländlichen Arbeiter ist von dem Strikewesen bis heute glück¬ licherweise noch fast vollständig unberührt geblieben. Aber in dem Momente, wo hier der Ansteckungsstoff Nahrung fände, würden die schweren wirthschaft¬ lichen und socialen Mißstände, welche plötzliche Strikes schon heute im Gefolge haben, in's Ungeheure gesteigert. In einer Stunde der Unbotmäßigkeit und Meisterlofigkeit gegen den Gutsherrn könnte die mühsame Errungenschaft von Monaten zu Grunde gehen. Blitz und Regen, Hagel und Sturm könnten in dieser einen Stunde eine ganze Ernte vernichten, wenn die sinkenden Knechte sie einzubringen sich weigern, — Gegen diese Gefahren, gegen den Mißbrauch einer Freiheit, an deren Be¬ seitigung kein Vernünftiger denken sollte, bedürfen wir des Schutzes, und sind wir doch bis heute so gut wie nicht geschützt. Gerade im Interesse der ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/230>, abgerufen am 28.09.2024.