Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

manches andere schwankendere Herz in nahestehenden Kreisen auf der neuen
Bahn sich nachgezogen haben.

Im Ausschuß des Nationalvereins ist Bennigsen der Vorsitz wohl nie¬
mals auch nur in eifersüchtigen Gedanken streitig gemacht worden, und in
den großen öffentlichen Vereinsversammlungen galt er den Leitern als der
letzte höchste Trumpf, den man ausspielte, wenn eine Abstimmung ungünstig
auszuschlagen drohte. Er war freilich keineswegs an sich der beredteste unter
den Wortführern des Vereins; Metz. Schulze-Delitzsch, Riesser, Adolf Seeger,
später auch Miquöl vermochten glänzender zu reden und feuriger hinzureißen.
Aber wenn in dem für gewöhnlich so kalt und ruhig thronenden Präsidenten
gewissermaßen die verkörperte Idee des Vereins auf die Rednerbühne herab-
stieg, so waren zahlreiche ehrliche Gegner der von ihm bestrittenen Meinung
im voraus bereit, noch einmal zu prüfen, und das Ergebniß dieser abermaligen
Ueberlegung konnte nicht leicht zweifelhaft bleiben, wenn ihr eine so impo-
nirende Vereinigung von Denkkraft und hoher Gesinnung, von Entschieden¬
heit und Mäßigung, eine so mächtig zusammenfassende, nicht spaltende und
trennende BeHandlungsweise zu Hilfe kam.

Das blieben indessen Ausnahmsfälle. Die regelmäßige Thätigkeit und
Sorge des Nationalvereins-Präsidenten war darauf gerichtet, die häusig aus¬
einanderstrebenden Geister im leitenden Ausschuß selbst, zusammenzuhalten.
Die demokratische Form der Bewegung, sowie daß ihr dem zufolge die vor¬
nehmen Gesinnungsgenossen in Nord und Süd ziemlich alle fernblieben, mußte
ihn selbst unter diesen Umständen weiter nach links ziehen, als ihm an sich
muthmaßlich lieb war. Je länger Preußen säumte, auf das halblaute Aner¬
bieten des Nationalvereins einzugehen, desto mehr verschleierte der Verein die
"preußische Spitze", in seinem Programm und kehrte er die Freiheitsforde¬
rungen heraus. Die Menschlichkeit einer solchen Entwicklung kann nur
ein voreingenommener Kritiker leugnen. Wenn der Verein sich nicht
einfach wieder zerstreuen, wenn er fortfahren wollte, leitende Politiker und be¬
wegliche Volksmassen aus allen Theilen Deutschlands einander nahe zu erhalten,
damit der wirklichen nationalen Einigung vorgearbeitet werde, so durfte er
sich neben den bleibenden, aber für den Augenblick unerfüllbaren Aufgaben
der Einheit auch um die in zweiter Linie stehenden, aber praktisch lösbaren
Tages-Fragen des innern Freiheitskampfes kümmern. Bis zum Ausbruch
der schleswigholsteinischen Erhebung wider Dänemark war hieraus weder dem
Nationalverein noch seinem Präsidenten ein erheblicher Vorwurf zu machen.

Im schleswigholsteinischen Jahre dagegen. 1863 bis 1864. muß eine ge¬
wisse Ermattung beider angenommen werden. Bennigsen hatte im Herbst
1863 in Frankfurt der Vorversammlung beigewohnt, aus welcher der Pro¬
testantenverein hervorging, und dann eine beträchtliche, auf weitreichenden


manches andere schwankendere Herz in nahestehenden Kreisen auf der neuen
Bahn sich nachgezogen haben.

Im Ausschuß des Nationalvereins ist Bennigsen der Vorsitz wohl nie¬
mals auch nur in eifersüchtigen Gedanken streitig gemacht worden, und in
den großen öffentlichen Vereinsversammlungen galt er den Leitern als der
letzte höchste Trumpf, den man ausspielte, wenn eine Abstimmung ungünstig
auszuschlagen drohte. Er war freilich keineswegs an sich der beredteste unter
den Wortführern des Vereins; Metz. Schulze-Delitzsch, Riesser, Adolf Seeger,
später auch Miquöl vermochten glänzender zu reden und feuriger hinzureißen.
Aber wenn in dem für gewöhnlich so kalt und ruhig thronenden Präsidenten
gewissermaßen die verkörperte Idee des Vereins auf die Rednerbühne herab-
stieg, so waren zahlreiche ehrliche Gegner der von ihm bestrittenen Meinung
im voraus bereit, noch einmal zu prüfen, und das Ergebniß dieser abermaligen
Ueberlegung konnte nicht leicht zweifelhaft bleiben, wenn ihr eine so impo-
nirende Vereinigung von Denkkraft und hoher Gesinnung, von Entschieden¬
heit und Mäßigung, eine so mächtig zusammenfassende, nicht spaltende und
trennende BeHandlungsweise zu Hilfe kam.

Das blieben indessen Ausnahmsfälle. Die regelmäßige Thätigkeit und
Sorge des Nationalvereins-Präsidenten war darauf gerichtet, die häusig aus¬
einanderstrebenden Geister im leitenden Ausschuß selbst, zusammenzuhalten.
Die demokratische Form der Bewegung, sowie daß ihr dem zufolge die vor¬
nehmen Gesinnungsgenossen in Nord und Süd ziemlich alle fernblieben, mußte
ihn selbst unter diesen Umständen weiter nach links ziehen, als ihm an sich
muthmaßlich lieb war. Je länger Preußen säumte, auf das halblaute Aner¬
bieten des Nationalvereins einzugehen, desto mehr verschleierte der Verein die
„preußische Spitze", in seinem Programm und kehrte er die Freiheitsforde¬
rungen heraus. Die Menschlichkeit einer solchen Entwicklung kann nur
ein voreingenommener Kritiker leugnen. Wenn der Verein sich nicht
einfach wieder zerstreuen, wenn er fortfahren wollte, leitende Politiker und be¬
wegliche Volksmassen aus allen Theilen Deutschlands einander nahe zu erhalten,
damit der wirklichen nationalen Einigung vorgearbeitet werde, so durfte er
sich neben den bleibenden, aber für den Augenblick unerfüllbaren Aufgaben
der Einheit auch um die in zweiter Linie stehenden, aber praktisch lösbaren
Tages-Fragen des innern Freiheitskampfes kümmern. Bis zum Ausbruch
der schleswigholsteinischen Erhebung wider Dänemark war hieraus weder dem
Nationalverein noch seinem Präsidenten ein erheblicher Vorwurf zu machen.

Im schleswigholsteinischen Jahre dagegen. 1863 bis 1864. muß eine ge¬
wisse Ermattung beider angenommen werden. Bennigsen hatte im Herbst
1863 in Frankfurt der Vorversammlung beigewohnt, aus welcher der Pro¬
testantenverein hervorging, und dann eine beträchtliche, auf weitreichenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129011"/>
            <p xml:id="ID_35" prev="#ID_34"> manches andere schwankendere Herz in nahestehenden Kreisen auf der neuen<lb/>
Bahn sich nachgezogen haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_36"> Im Ausschuß des Nationalvereins ist Bennigsen der Vorsitz wohl nie¬<lb/>
mals auch nur in eifersüchtigen Gedanken streitig gemacht worden, und in<lb/>
den großen öffentlichen Vereinsversammlungen galt er den Leitern als der<lb/>
letzte höchste Trumpf, den man ausspielte, wenn eine Abstimmung ungünstig<lb/>
auszuschlagen drohte. Er war freilich keineswegs an sich der beredteste unter<lb/>
den Wortführern des Vereins; Metz. Schulze-Delitzsch, Riesser, Adolf Seeger,<lb/>
später auch Miquöl vermochten glänzender zu reden und feuriger hinzureißen.<lb/>
Aber wenn in dem für gewöhnlich so kalt und ruhig thronenden Präsidenten<lb/>
gewissermaßen die verkörperte Idee des Vereins auf die Rednerbühne herab-<lb/>
stieg, so waren zahlreiche ehrliche Gegner der von ihm bestrittenen Meinung<lb/>
im voraus bereit, noch einmal zu prüfen, und das Ergebniß dieser abermaligen<lb/>
Ueberlegung konnte nicht leicht zweifelhaft bleiben, wenn ihr eine so impo-<lb/>
nirende Vereinigung von Denkkraft und hoher Gesinnung, von Entschieden¬<lb/>
heit und Mäßigung, eine so mächtig zusammenfassende, nicht spaltende und<lb/>
trennende BeHandlungsweise zu Hilfe kam.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_37"> Das blieben indessen Ausnahmsfälle. Die regelmäßige Thätigkeit und<lb/>
Sorge des Nationalvereins-Präsidenten war darauf gerichtet, die häusig aus¬<lb/>
einanderstrebenden Geister im leitenden Ausschuß selbst, zusammenzuhalten.<lb/>
Die demokratische Form der Bewegung, sowie daß ihr dem zufolge die vor¬<lb/>
nehmen Gesinnungsgenossen in Nord und Süd ziemlich alle fernblieben, mußte<lb/>
ihn selbst unter diesen Umständen weiter nach links ziehen, als ihm an sich<lb/>
muthmaßlich lieb war. Je länger Preußen säumte, auf das halblaute Aner¬<lb/>
bieten des Nationalvereins einzugehen, desto mehr verschleierte der Verein die<lb/>
&#x201E;preußische Spitze", in seinem Programm und kehrte er die Freiheitsforde¬<lb/>
rungen heraus. Die Menschlichkeit einer solchen Entwicklung kann nur<lb/>
ein voreingenommener Kritiker leugnen. Wenn der Verein sich nicht<lb/>
einfach wieder zerstreuen, wenn er fortfahren wollte, leitende Politiker und be¬<lb/>
wegliche Volksmassen aus allen Theilen Deutschlands einander nahe zu erhalten,<lb/>
damit der wirklichen nationalen Einigung vorgearbeitet werde, so durfte er<lb/>
sich neben den bleibenden, aber für den Augenblick unerfüllbaren Aufgaben<lb/>
der Einheit auch um die in zweiter Linie stehenden, aber praktisch lösbaren<lb/>
Tages-Fragen des innern Freiheitskampfes kümmern. Bis zum Ausbruch<lb/>
der schleswigholsteinischen Erhebung wider Dänemark war hieraus weder dem<lb/>
Nationalverein noch seinem Präsidenten ein erheblicher Vorwurf zu machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_38" next="#ID_39"> Im schleswigholsteinischen Jahre dagegen. 1863 bis 1864. muß eine ge¬<lb/>
wisse Ermattung beider angenommen werden. Bennigsen hatte im Herbst<lb/>
1863 in Frankfurt der Vorversammlung beigewohnt, aus welcher der Pro¬<lb/>
testantenverein hervorging, und dann eine beträchtliche, auf weitreichenden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] manches andere schwankendere Herz in nahestehenden Kreisen auf der neuen Bahn sich nachgezogen haben. Im Ausschuß des Nationalvereins ist Bennigsen der Vorsitz wohl nie¬ mals auch nur in eifersüchtigen Gedanken streitig gemacht worden, und in den großen öffentlichen Vereinsversammlungen galt er den Leitern als der letzte höchste Trumpf, den man ausspielte, wenn eine Abstimmung ungünstig auszuschlagen drohte. Er war freilich keineswegs an sich der beredteste unter den Wortführern des Vereins; Metz. Schulze-Delitzsch, Riesser, Adolf Seeger, später auch Miquöl vermochten glänzender zu reden und feuriger hinzureißen. Aber wenn in dem für gewöhnlich so kalt und ruhig thronenden Präsidenten gewissermaßen die verkörperte Idee des Vereins auf die Rednerbühne herab- stieg, so waren zahlreiche ehrliche Gegner der von ihm bestrittenen Meinung im voraus bereit, noch einmal zu prüfen, und das Ergebniß dieser abermaligen Ueberlegung konnte nicht leicht zweifelhaft bleiben, wenn ihr eine so impo- nirende Vereinigung von Denkkraft und hoher Gesinnung, von Entschieden¬ heit und Mäßigung, eine so mächtig zusammenfassende, nicht spaltende und trennende BeHandlungsweise zu Hilfe kam. Das blieben indessen Ausnahmsfälle. Die regelmäßige Thätigkeit und Sorge des Nationalvereins-Präsidenten war darauf gerichtet, die häusig aus¬ einanderstrebenden Geister im leitenden Ausschuß selbst, zusammenzuhalten. Die demokratische Form der Bewegung, sowie daß ihr dem zufolge die vor¬ nehmen Gesinnungsgenossen in Nord und Süd ziemlich alle fernblieben, mußte ihn selbst unter diesen Umständen weiter nach links ziehen, als ihm an sich muthmaßlich lieb war. Je länger Preußen säumte, auf das halblaute Aner¬ bieten des Nationalvereins einzugehen, desto mehr verschleierte der Verein die „preußische Spitze", in seinem Programm und kehrte er die Freiheitsforde¬ rungen heraus. Die Menschlichkeit einer solchen Entwicklung kann nur ein voreingenommener Kritiker leugnen. Wenn der Verein sich nicht einfach wieder zerstreuen, wenn er fortfahren wollte, leitende Politiker und be¬ wegliche Volksmassen aus allen Theilen Deutschlands einander nahe zu erhalten, damit der wirklichen nationalen Einigung vorgearbeitet werde, so durfte er sich neben den bleibenden, aber für den Augenblick unerfüllbaren Aufgaben der Einheit auch um die in zweiter Linie stehenden, aber praktisch lösbaren Tages-Fragen des innern Freiheitskampfes kümmern. Bis zum Ausbruch der schleswigholsteinischen Erhebung wider Dänemark war hieraus weder dem Nationalverein noch seinem Präsidenten ein erheblicher Vorwurf zu machen. Im schleswigholsteinischen Jahre dagegen. 1863 bis 1864. muß eine ge¬ wisse Ermattung beider angenommen werden. Bennigsen hatte im Herbst 1863 in Frankfurt der Vorversammlung beigewohnt, aus welcher der Pro¬ testantenverein hervorging, und dann eine beträchtliche, auf weitreichenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/19>, abgerufen am 24.08.2024.