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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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lassen und wahr machen, wenn man heimlich im Geiste etwas hinzufügt."
"Wenn jemand über einen Mord befragt wird, den er an einem Pater ver¬
übt hat, so darf er antworten: er habe den Pater nicht getödtet, indem er
an einen andern dieses Namens denkt, oder wenn er an den wirklichen Pater
denkt, so kann er sagen: ich habe ihn nicht umgebracht, mit dem heimlichen
Zusatz: vor seiner Geburt nämlich," "Eine solche Schlauheit ist von großem
Nutzen, sowohl um Vieles zu verbergen, was verschwiegen bleiben muß und
doch nicht ohne Lüge und Meineid verborgen bleiben könnte, falls es nicht
auf diese Art anginge. Rechtmäßiger Weise aber kann man sich einer solchen
List bedienen, so oft es gilt, seinen Körper, sein Leben, seine Ehre zu erhalten,
sein Vermögen zu schützen oder -- irgend eine Tugend zu üben."

Filliuccius setzt gleich den Grund hinzu: "Weil der Endzweck die
Güte der Handlung bestimmt." Aber er erläutert die Sache auch noch auf
ungemein erbauliche Art: "Welche Vorsicht muß man bei Zweideutigkeiten
anwenden? Antwort: Damit sie recht gebraucht werden, kann man Leuten
von Verstand und Scharfsinn zwei Wege vorschlagen. Der erste ist folgender:
Wenn man die Absicht hat, deutliche Worte zu gebrauchen, so muß man zu
größerer Sicherheit eine reZtrietiv mevwlis leise einschieben. Wenn also je¬
mand schwören will, er habe eine That nicht begangen, so würde der Eid¬
lauten: Ich schwöre, daß ich -- nun folgt die Restriction -- heute das oder
Jenes nicht begangen habe." Der zweite Weg ist, daß ich mich nachstehender
Formel bediene: Ich schwöre -- jetzt stillschweigend die Restriction eingescho¬
ben -- daß ich sage, dieß oder das nicht gethan zu haben."

Da indeß Leute von Verstand und Scharfsinn nicht sehr häufig sind, hat
der mitleidige Jesuit auch für die gewöhnlichen Menschenkinder gesorgt.
"Für die, welche nicht verständig und scharfsinnig genug sind, um sich gleich
mit einer solchen Zweideutigkeit helfen zu können, genügt es, wenn sie die
Absicht haben, zu bejahen oder zu verneinen (daß sie etwas verbrochen haben)
in einem Sinne, der in der That wahr sein kann; nur bedarf es hierzu, daß
sie im Allgemeinen wenigstens wissen, daß ihre Bejahung oder Verneinung
in irgend einem Sinne wahr sein kann."

Wir halten uns nicht mit sittlicher Entrüstung über solche moralische
Taschenspielerei auf, sondern gehen nach dieser Einleitung auf das über, was
die Ueberschrift sagt, zu der Stellung, welche die Gesellschaft Jesu mit solchen
Grundsätzen zu den zehn Geboten einnimmt. Wir folgen dabei immer aus¬
zugsweise dem in Ellendorfs Schrift aufgespeicherten massenhaften Material
und glauben, daß es genügen wird, einen Theil der dort citirten Väter des
Jesuiten-Evangeliums über die ersten sieben Gebote zu hören.

Schon das ist charakteristisch, daß die Doctoren des Ordens behaupten,
man könne die Gebote Gottes auch ohne Liebe erfüllen. Busenbaum


lassen und wahr machen, wenn man heimlich im Geiste etwas hinzufügt."
»Wenn jemand über einen Mord befragt wird, den er an einem Pater ver¬
übt hat, so darf er antworten: er habe den Pater nicht getödtet, indem er
an einen andern dieses Namens denkt, oder wenn er an den wirklichen Pater
denkt, so kann er sagen: ich habe ihn nicht umgebracht, mit dem heimlichen
Zusatz: vor seiner Geburt nämlich," „Eine solche Schlauheit ist von großem
Nutzen, sowohl um Vieles zu verbergen, was verschwiegen bleiben muß und
doch nicht ohne Lüge und Meineid verborgen bleiben könnte, falls es nicht
auf diese Art anginge. Rechtmäßiger Weise aber kann man sich einer solchen
List bedienen, so oft es gilt, seinen Körper, sein Leben, seine Ehre zu erhalten,
sein Vermögen zu schützen oder — irgend eine Tugend zu üben."

Filliuccius setzt gleich den Grund hinzu: „Weil der Endzweck die
Güte der Handlung bestimmt." Aber er erläutert die Sache auch noch auf
ungemein erbauliche Art: „Welche Vorsicht muß man bei Zweideutigkeiten
anwenden? Antwort: Damit sie recht gebraucht werden, kann man Leuten
von Verstand und Scharfsinn zwei Wege vorschlagen. Der erste ist folgender:
Wenn man die Absicht hat, deutliche Worte zu gebrauchen, so muß man zu
größerer Sicherheit eine reZtrietiv mevwlis leise einschieben. Wenn also je¬
mand schwören will, er habe eine That nicht begangen, so würde der Eid¬
lauten: Ich schwöre, daß ich — nun folgt die Restriction — heute das oder
Jenes nicht begangen habe." Der zweite Weg ist, daß ich mich nachstehender
Formel bediene: Ich schwöre — jetzt stillschweigend die Restriction eingescho¬
ben — daß ich sage, dieß oder das nicht gethan zu haben."

Da indeß Leute von Verstand und Scharfsinn nicht sehr häufig sind, hat
der mitleidige Jesuit auch für die gewöhnlichen Menschenkinder gesorgt.
„Für die, welche nicht verständig und scharfsinnig genug sind, um sich gleich
mit einer solchen Zweideutigkeit helfen zu können, genügt es, wenn sie die
Absicht haben, zu bejahen oder zu verneinen (daß sie etwas verbrochen haben)
in einem Sinne, der in der That wahr sein kann; nur bedarf es hierzu, daß
sie im Allgemeinen wenigstens wissen, daß ihre Bejahung oder Verneinung
in irgend einem Sinne wahr sein kann."

Wir halten uns nicht mit sittlicher Entrüstung über solche moralische
Taschenspielerei auf, sondern gehen nach dieser Einleitung auf das über, was
die Ueberschrift sagt, zu der Stellung, welche die Gesellschaft Jesu mit solchen
Grundsätzen zu den zehn Geboten einnimmt. Wir folgen dabei immer aus¬
zugsweise dem in Ellendorfs Schrift aufgespeicherten massenhaften Material
und glauben, daß es genügen wird, einen Theil der dort citirten Väter des
Jesuiten-Evangeliums über die ersten sieben Gebote zu hören.

Schon das ist charakteristisch, daß die Doctoren des Ordens behaupten,
man könne die Gebote Gottes auch ohne Liebe erfüllen. Busenbaum


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[0189] lassen und wahr machen, wenn man heimlich im Geiste etwas hinzufügt." »Wenn jemand über einen Mord befragt wird, den er an einem Pater ver¬ übt hat, so darf er antworten: er habe den Pater nicht getödtet, indem er an einen andern dieses Namens denkt, oder wenn er an den wirklichen Pater denkt, so kann er sagen: ich habe ihn nicht umgebracht, mit dem heimlichen Zusatz: vor seiner Geburt nämlich," „Eine solche Schlauheit ist von großem Nutzen, sowohl um Vieles zu verbergen, was verschwiegen bleiben muß und doch nicht ohne Lüge und Meineid verborgen bleiben könnte, falls es nicht auf diese Art anginge. Rechtmäßiger Weise aber kann man sich einer solchen List bedienen, so oft es gilt, seinen Körper, sein Leben, seine Ehre zu erhalten, sein Vermögen zu schützen oder — irgend eine Tugend zu üben." Filliuccius setzt gleich den Grund hinzu: „Weil der Endzweck die Güte der Handlung bestimmt." Aber er erläutert die Sache auch noch auf ungemein erbauliche Art: „Welche Vorsicht muß man bei Zweideutigkeiten anwenden? Antwort: Damit sie recht gebraucht werden, kann man Leuten von Verstand und Scharfsinn zwei Wege vorschlagen. Der erste ist folgender: Wenn man die Absicht hat, deutliche Worte zu gebrauchen, so muß man zu größerer Sicherheit eine reZtrietiv mevwlis leise einschieben. Wenn also je¬ mand schwören will, er habe eine That nicht begangen, so würde der Eid¬ lauten: Ich schwöre, daß ich — nun folgt die Restriction — heute das oder Jenes nicht begangen habe." Der zweite Weg ist, daß ich mich nachstehender Formel bediene: Ich schwöre — jetzt stillschweigend die Restriction eingescho¬ ben — daß ich sage, dieß oder das nicht gethan zu haben." Da indeß Leute von Verstand und Scharfsinn nicht sehr häufig sind, hat der mitleidige Jesuit auch für die gewöhnlichen Menschenkinder gesorgt. „Für die, welche nicht verständig und scharfsinnig genug sind, um sich gleich mit einer solchen Zweideutigkeit helfen zu können, genügt es, wenn sie die Absicht haben, zu bejahen oder zu verneinen (daß sie etwas verbrochen haben) in einem Sinne, der in der That wahr sein kann; nur bedarf es hierzu, daß sie im Allgemeinen wenigstens wissen, daß ihre Bejahung oder Verneinung in irgend einem Sinne wahr sein kann." Wir halten uns nicht mit sittlicher Entrüstung über solche moralische Taschenspielerei auf, sondern gehen nach dieser Einleitung auf das über, was die Ueberschrift sagt, zu der Stellung, welche die Gesellschaft Jesu mit solchen Grundsätzen zu den zehn Geboten einnimmt. Wir folgen dabei immer aus¬ zugsweise dem in Ellendorfs Schrift aufgespeicherten massenhaften Material und glauben, daß es genügen wird, einen Theil der dort citirten Väter des Jesuiten-Evangeliums über die ersten sieben Gebote zu hören. Schon das ist charakteristisch, daß die Doctoren des Ordens behaupten, man könne die Gebote Gottes auch ohne Liebe erfüllen. Busenbaum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/189>, abgerufen am 24.08.2024.