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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Wache halten, während ihr Herr mit seiner Maitresse oder einer andern sün¬
digt, können nicht absolvirt werden, wenn sie in die Sünde ihrer Herren ein¬
stimmen, wohl aber, wenn sie jene Dienste wegen des ihnen daraus erwachsen¬
den zeitlichen Gewinnes verrichten.

Zu den Zeiten der Jesuiten war die Verleihung von Kirchenämtern für
Geld (Simonie) sehr gewöhnlich. Weil hierdurch viel Sünde begangen wurde,
fühlten die frommen Väter Mitleid mit ihren geistlichen Brüdern und den
Patronatsherren und sannen sich ein Mittel aus, solchen Sünden ihr Gift
zu benehmen. Das gelang dem Doctor Valencia, jenem vierten von Es-
cobars apokalyptischen Wunderthieren, über die Maßen gut. "Auf zweierlei
Weise", so belehrt er uns, "kann jemand zeitliches Gut für geistliches geben:
einmal, wenn er es als den Preis für das Geistliche darbietet, dieses also
höher achtet als jenes, was durchaus keine Simonie ist; dann, wenn er es
giebt, um den Collator der Pfründe zu bewegen, daß er seinem Willen zur
Verleihung derselben bestimme, und in diesem Falle findet auch dann keine
Simonie statt, wenn der Collator das Geld als Hauptwerk ansieht und es
geradezu erwartet."

Hurtado erdreistet sich, zu behaupten: "Ein Sohn kann sich, ohne eine
Todsünde zu begehen, über den Tod seines Vaters freuen, weil er dessen Güter
erbt, ein Pfründebesitzer über den Tod dessen, dem er ein Jahrgehalt zahlen
muß. Dasselbe gilt von dem einfachen Verlangen, mit dem die Genannten
aus besagten Gründen dem Betreffenden den Tod wünschen, wenn es nur
nicht aus Haß oder einem andere Todsünde einschließenden Motiv geschieht."*)

Und nun die restrietio mslitiüis, die Lehre von der Vermeidung der
Sünde durch den geistigen Vorbehalt oder durch zweideutige Wortstellung und
Geltendmachung desjenigen Sinnes, der dem sich solcher Zweideutigkeit Be¬
dienenden Vortheil bringt. San chez trägt diese Lehre folgendermaßen vor:
"So oft Worte ihrer Bedeutung nach zweideutig sind und verschieden aufge¬
faßt werden können, ist es keine Lüge, sie in dem Sinne auszusprechen, wel¬
chen der Redende hineinlegen will, obwohl die, welche sie hören, und an die
sie gerichtet sind, sie in einem andern Sinn nehmen." Findet man keine
zweideutigen Worte, so helfen Reservationen und Rcstrictionen über die Schwie¬
rigkeit hinweg. "Man kann", so fährt jener voetor Zravis fort, "ohne eine
Lüge zu begehen, Worte gebrauchen, die ihrer Bedeutung nach gar nicht dop¬
pelsinnig sind und den erwünschten Sinn, den man hineinlegen will, weder
an sich noch aus zufälligen Umständen zulassen, sondern ihn nur dann zu-



*) Georg Gobat sagt sogar: "Ein Sohn darf sich über die von ihm in der Trunkenheit
verübte Ermordung seines Vaters freuen wegen der ungeheuren Reichthümer, die er in Folge
dessen erbt."

Wache halten, während ihr Herr mit seiner Maitresse oder einer andern sün¬
digt, können nicht absolvirt werden, wenn sie in die Sünde ihrer Herren ein¬
stimmen, wohl aber, wenn sie jene Dienste wegen des ihnen daraus erwachsen¬
den zeitlichen Gewinnes verrichten.

Zu den Zeiten der Jesuiten war die Verleihung von Kirchenämtern für
Geld (Simonie) sehr gewöhnlich. Weil hierdurch viel Sünde begangen wurde,
fühlten die frommen Väter Mitleid mit ihren geistlichen Brüdern und den
Patronatsherren und sannen sich ein Mittel aus, solchen Sünden ihr Gift
zu benehmen. Das gelang dem Doctor Valencia, jenem vierten von Es-
cobars apokalyptischen Wunderthieren, über die Maßen gut. „Auf zweierlei
Weise", so belehrt er uns, „kann jemand zeitliches Gut für geistliches geben:
einmal, wenn er es als den Preis für das Geistliche darbietet, dieses also
höher achtet als jenes, was durchaus keine Simonie ist; dann, wenn er es
giebt, um den Collator der Pfründe zu bewegen, daß er seinem Willen zur
Verleihung derselben bestimme, und in diesem Falle findet auch dann keine
Simonie statt, wenn der Collator das Geld als Hauptwerk ansieht und es
geradezu erwartet."

Hurtado erdreistet sich, zu behaupten: „Ein Sohn kann sich, ohne eine
Todsünde zu begehen, über den Tod seines Vaters freuen, weil er dessen Güter
erbt, ein Pfründebesitzer über den Tod dessen, dem er ein Jahrgehalt zahlen
muß. Dasselbe gilt von dem einfachen Verlangen, mit dem die Genannten
aus besagten Gründen dem Betreffenden den Tod wünschen, wenn es nur
nicht aus Haß oder einem andere Todsünde einschließenden Motiv geschieht."*)

Und nun die restrietio mslitiüis, die Lehre von der Vermeidung der
Sünde durch den geistigen Vorbehalt oder durch zweideutige Wortstellung und
Geltendmachung desjenigen Sinnes, der dem sich solcher Zweideutigkeit Be¬
dienenden Vortheil bringt. San chez trägt diese Lehre folgendermaßen vor:
„So oft Worte ihrer Bedeutung nach zweideutig sind und verschieden aufge¬
faßt werden können, ist es keine Lüge, sie in dem Sinne auszusprechen, wel¬
chen der Redende hineinlegen will, obwohl die, welche sie hören, und an die
sie gerichtet sind, sie in einem andern Sinn nehmen." Findet man keine
zweideutigen Worte, so helfen Reservationen und Rcstrictionen über die Schwie¬
rigkeit hinweg. „Man kann", so fährt jener voetor Zravis fort, „ohne eine
Lüge zu begehen, Worte gebrauchen, die ihrer Bedeutung nach gar nicht dop¬
pelsinnig sind und den erwünschten Sinn, den man hineinlegen will, weder
an sich noch aus zufälligen Umständen zulassen, sondern ihn nur dann zu-



*) Georg Gobat sagt sogar: „Ein Sohn darf sich über die von ihm in der Trunkenheit
verübte Ermordung seines Vaters freuen wegen der ungeheuren Reichthümer, die er in Folge
dessen erbt."
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[0188] Wache halten, während ihr Herr mit seiner Maitresse oder einer andern sün¬ digt, können nicht absolvirt werden, wenn sie in die Sünde ihrer Herren ein¬ stimmen, wohl aber, wenn sie jene Dienste wegen des ihnen daraus erwachsen¬ den zeitlichen Gewinnes verrichten. Zu den Zeiten der Jesuiten war die Verleihung von Kirchenämtern für Geld (Simonie) sehr gewöhnlich. Weil hierdurch viel Sünde begangen wurde, fühlten die frommen Väter Mitleid mit ihren geistlichen Brüdern und den Patronatsherren und sannen sich ein Mittel aus, solchen Sünden ihr Gift zu benehmen. Das gelang dem Doctor Valencia, jenem vierten von Es- cobars apokalyptischen Wunderthieren, über die Maßen gut. „Auf zweierlei Weise", so belehrt er uns, „kann jemand zeitliches Gut für geistliches geben: einmal, wenn er es als den Preis für das Geistliche darbietet, dieses also höher achtet als jenes, was durchaus keine Simonie ist; dann, wenn er es giebt, um den Collator der Pfründe zu bewegen, daß er seinem Willen zur Verleihung derselben bestimme, und in diesem Falle findet auch dann keine Simonie statt, wenn der Collator das Geld als Hauptwerk ansieht und es geradezu erwartet." Hurtado erdreistet sich, zu behaupten: „Ein Sohn kann sich, ohne eine Todsünde zu begehen, über den Tod seines Vaters freuen, weil er dessen Güter erbt, ein Pfründebesitzer über den Tod dessen, dem er ein Jahrgehalt zahlen muß. Dasselbe gilt von dem einfachen Verlangen, mit dem die Genannten aus besagten Gründen dem Betreffenden den Tod wünschen, wenn es nur nicht aus Haß oder einem andere Todsünde einschließenden Motiv geschieht."*) Und nun die restrietio mslitiüis, die Lehre von der Vermeidung der Sünde durch den geistigen Vorbehalt oder durch zweideutige Wortstellung und Geltendmachung desjenigen Sinnes, der dem sich solcher Zweideutigkeit Be¬ dienenden Vortheil bringt. San chez trägt diese Lehre folgendermaßen vor: „So oft Worte ihrer Bedeutung nach zweideutig sind und verschieden aufge¬ faßt werden können, ist es keine Lüge, sie in dem Sinne auszusprechen, wel¬ chen der Redende hineinlegen will, obwohl die, welche sie hören, und an die sie gerichtet sind, sie in einem andern Sinn nehmen." Findet man keine zweideutigen Worte, so helfen Reservationen und Rcstrictionen über die Schwie¬ rigkeit hinweg. „Man kann", so fährt jener voetor Zravis fort, „ohne eine Lüge zu begehen, Worte gebrauchen, die ihrer Bedeutung nach gar nicht dop¬ pelsinnig sind und den erwünschten Sinn, den man hineinlegen will, weder an sich noch aus zufälligen Umständen zulassen, sondern ihn nur dann zu- *) Georg Gobat sagt sogar: „Ein Sohn darf sich über die von ihm in der Trunkenheit verübte Ermordung seines Vaters freuen wegen der ungeheuren Reichthümer, die er in Folge dessen erbt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/188>, abgerufen am 24.08.2024.