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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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heit und Straflosigkeit. Endlich stiegen Stolz und Hochmuth ihm zu Kopfe
und verführten ihn zu offenbaren Gewaltthaten. Seine Leutseligkeit gegen
die Schmeichler und unteren Classen wurde aufgewogen durch die Anmaßung
und Härte gegen Jeden, der ihm nicht zu gefallen strebte, so daß auf die son¬
stigen Beweise von Geringschätzung nicht selten auch noch Stockschläge und
Messerstiche folgten, die er durch seine Schergen austheilen ließ. Unter andern
sprach man von dem auf seinen Befehl geschehenen Morde des Girolamo
Leggio, Stadthauptmanns von Sciacca, eines sehr wackern Cavaliers mit
freundlichem Benehmen. Die Regierung jedoch schloß zu der Unthat die
Augen und gestattete überhaupt Perollo's Ruchlosigkeiten freien Spielraum.

Zu jener Zeit besaß die Stadt Sciacca unter den sicilianischen Muni-
cipien eine Wichtigkeit, die ihr später abhanden kam. Sie war nämlich an
jener Küste der Insel, inmitten der umliegenden Baronien die einzige könig¬
liche Stadt (d. h. eine solche, die unmittelbar von dem Könige und der Re¬
gierung abhing), daher auch der Mittelpunkt und gewöhnliche Zusammen¬
kunftsort ihrer Lehrs-Nachbarn. Man zählte gegen vierzig Adelsfamilien,
welche häufig dorthin kamen oder ab und zu daselbst ihren Wohnsitz hatten.
Die übermäßige Prunksucht, der maßlose Hochmuth, die unumschränkte Ober¬
gewalt Perollo's erweckten rings umher Uebelwollen und Neid. In demselben
Maße als er die unteren Volksklassen auf jede Weise an sich zog, haßte ihn
die Aristokratie; sie suchte ihm daher einen Gegner und Nebenbuhler, der ihm
die Spitze bieten konnte. Dieser fand sich in dem Erbfeinde seines Hauses,
in dem jungen Grafen von Luna, der sich in seinem Benehmen und seiner
Lebensweise als das gerade Gegentheil Giacomo's zeigte, da er dem Aufenthalt
in Sciacca sein ungefähr zehn Miglien entferntes einsames Bergschloß zu
Caltabellota vorzog und sonst auch der Stadt nur flüchtige und unbemerkte
Besuche abstattete. Düster, verschlossen, ein Feind von Geräusch und Gepränge,
verbarg er gleichwohl unter dem Schleier scheinbarer Sorglosigkeit und Gleich-
giltigkeit heftige Leidenschaften. Die unzufriedene Aristokratie von Sciacca
ermangelte nicht, sich im Schlosse des Grafen von Caltabellota einzufinden so
oft er in die Stadt kam. Man erinnerte ihn dann an die Pflichten seiner
Blutrache, an die unumschränkte Willkür, mit der Perollo in der Gegend
schaltete. Alles dies hörte der düstere Sigismund mit an und dachte darüber
nach. Wenn er dann zuweilen mit wenigen Begleitern Giacomo und dessen
gewöhnlichem, zahlreichem Gefolge auf der Straße begegnete, sah man ihn
hastig'umkehren, als könne er den Anblick und Hochmuth desselben nicht er¬
tragen. Giacomo, der wol merkte, was vorging, ließ dem jungen Grafen
heimlich sagen, "er sei sehr gern bereit ihm jederzeit zu dienen, doch bedauere
er, ihn von seinen Gegnern und Feinden beeinflußt zu sehen."

So waren einige Jahre vergangen, als man eines Tages am Gestade


heit und Straflosigkeit. Endlich stiegen Stolz und Hochmuth ihm zu Kopfe
und verführten ihn zu offenbaren Gewaltthaten. Seine Leutseligkeit gegen
die Schmeichler und unteren Classen wurde aufgewogen durch die Anmaßung
und Härte gegen Jeden, der ihm nicht zu gefallen strebte, so daß auf die son¬
stigen Beweise von Geringschätzung nicht selten auch noch Stockschläge und
Messerstiche folgten, die er durch seine Schergen austheilen ließ. Unter andern
sprach man von dem auf seinen Befehl geschehenen Morde des Girolamo
Leggio, Stadthauptmanns von Sciacca, eines sehr wackern Cavaliers mit
freundlichem Benehmen. Die Regierung jedoch schloß zu der Unthat die
Augen und gestattete überhaupt Perollo's Ruchlosigkeiten freien Spielraum.

Zu jener Zeit besaß die Stadt Sciacca unter den sicilianischen Muni-
cipien eine Wichtigkeit, die ihr später abhanden kam. Sie war nämlich an
jener Küste der Insel, inmitten der umliegenden Baronien die einzige könig¬
liche Stadt (d. h. eine solche, die unmittelbar von dem Könige und der Re¬
gierung abhing), daher auch der Mittelpunkt und gewöhnliche Zusammen¬
kunftsort ihrer Lehrs-Nachbarn. Man zählte gegen vierzig Adelsfamilien,
welche häufig dorthin kamen oder ab und zu daselbst ihren Wohnsitz hatten.
Die übermäßige Prunksucht, der maßlose Hochmuth, die unumschränkte Ober¬
gewalt Perollo's erweckten rings umher Uebelwollen und Neid. In demselben
Maße als er die unteren Volksklassen auf jede Weise an sich zog, haßte ihn
die Aristokratie; sie suchte ihm daher einen Gegner und Nebenbuhler, der ihm
die Spitze bieten konnte. Dieser fand sich in dem Erbfeinde seines Hauses,
in dem jungen Grafen von Luna, der sich in seinem Benehmen und seiner
Lebensweise als das gerade Gegentheil Giacomo's zeigte, da er dem Aufenthalt
in Sciacca sein ungefähr zehn Miglien entferntes einsames Bergschloß zu
Caltabellota vorzog und sonst auch der Stadt nur flüchtige und unbemerkte
Besuche abstattete. Düster, verschlossen, ein Feind von Geräusch und Gepränge,
verbarg er gleichwohl unter dem Schleier scheinbarer Sorglosigkeit und Gleich-
giltigkeit heftige Leidenschaften. Die unzufriedene Aristokratie von Sciacca
ermangelte nicht, sich im Schlosse des Grafen von Caltabellota einzufinden so
oft er in die Stadt kam. Man erinnerte ihn dann an die Pflichten seiner
Blutrache, an die unumschränkte Willkür, mit der Perollo in der Gegend
schaltete. Alles dies hörte der düstere Sigismund mit an und dachte darüber
nach. Wenn er dann zuweilen mit wenigen Begleitern Giacomo und dessen
gewöhnlichem, zahlreichem Gefolge auf der Straße begegnete, sah man ihn
hastig'umkehren, als könne er den Anblick und Hochmuth desselben nicht er¬
tragen. Giacomo, der wol merkte, was vorging, ließ dem jungen Grafen
heimlich sagen, „er sei sehr gern bereit ihm jederzeit zu dienen, doch bedauere
er, ihn von seinen Gegnern und Feinden beeinflußt zu sehen."

So waren einige Jahre vergangen, als man eines Tages am Gestade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/173>, abgerufen am 24.08.2024.