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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Clerus sich bilden, möge sie den angehenden Mitgliedern desselben die Lehre
der Kirche einprägen. wie sie es für gut findet. Aber der Staat darf nim¬
mermehr zugeben, daß die Kirche ihren Clerus sich dadurch bilde, daß sie die
angehenden Mitglieder desselben von der geistigen Lebensluft der Nation in
dem Grade absperrt, daß die jungen Cleriker diese Lebenslust entweder gar
nicht, oder nur verdorben zu athmen bekommen. Es ist des Staates Vor¬
sorgepflicht, daß Jeder, der auf seinem Boden in einem geistigen Beruf wirken
will, den reinen Luftzug des nationalen Geisteslebens einmal einathme und
unverwerfliches Zeugniß gebe, daß er diese Luft gekostet. Nur so begegnet
der Staat auf dem Felde aller geistigen Berufe solchen Persönlichkeiten, die er
dafür verantwortlich machen kann, wenn sie in ihrem Berufe gegen den sitt¬
lichen Geist des Staates sich versündigen. Erklären solche Persönlichkeiten sich
durch ihren Beruf für gezwungen, so sind sie wenigstens für die Wahl des
Berufes verantwortlich.

Mit diesem Zweck des Gesetzentwurfes steht in Verbindung die weitere
Bestimmung, daß Knabenseminare und Knabenconvicte zur Heranbildung von
Clerikern nicht mehr errichtet, und in die bestehenden Anstalten dieser Art
neue Zöglinge nicht mehr aufgenommen werden dürfen; sowie die durchge¬
führte Aufsicht des Staates über diejenigen Seminare zur Heranbildung von
Clerikern, deren Zöglinge erwachsene junge Männer sind. Auch hier bezieht
die Staatsaufsicht sich nicht auf die Lehrgegenstände des innern kirchlichen
Lebens, sondern auf die Disciplin, auf die Angehörigkeit der Lehrer zum deut¬
schen Staat, auf die allgemein wissenschaftliche Befähigung derselben. Es soll
in keiner kirchlichen Lehranstalt durch gewaltsam künstliche Umnebelung des
Geistes ein Clerus großgezogen werden, welcher den deutschen Staat und seine
Geistesbildung haßt, ohne sie zu kennen.

Ein zweiter Theil des Gesetzes bezieht sich auf die Anstellung der Geist¬
lichen. Er enthält Vorschriften über die staatliche Wahrnehmung, ob die zur
geistlichen Anstellungsfähigkeit erforderlichen Bildungsbedingungen und bezüg¬
lich die Zeugnisse darüber vorhanden ,sind. Er sichert außerdem das Pfarr¬
amt gegen die Willkür der geistlichen Oberen bei seiner Besetzung. Er stellt
Vorschriften auf über diejenigen Bedingungen, deren Eintreffen den Verlust
des geistlichen Amtes von Stastswegen zur Folge hat. Er sichert endlich
alle diese Vorschriften durch die gehörigen Orts eingeschalteten Strafbe¬
stimmungen.

Der zweite Gesetzentwurf über das Verhältniß des Staats zur Kirche
betrifft den Austritt aus der Kirche. Schon durch das Dissidentengesetz vom
Jahre 1847 konnte jeder Preuße durch eine Erklärung vor dem Richter seines
Wohnorts aus der Kirche austreten, zu der er bisher gehörte. Es war für
solche Dissidenten eine Civilehe und eine Beglaubigung der Geburth- und


Clerus sich bilden, möge sie den angehenden Mitgliedern desselben die Lehre
der Kirche einprägen. wie sie es für gut findet. Aber der Staat darf nim¬
mermehr zugeben, daß die Kirche ihren Clerus sich dadurch bilde, daß sie die
angehenden Mitglieder desselben von der geistigen Lebensluft der Nation in
dem Grade absperrt, daß die jungen Cleriker diese Lebenslust entweder gar
nicht, oder nur verdorben zu athmen bekommen. Es ist des Staates Vor¬
sorgepflicht, daß Jeder, der auf seinem Boden in einem geistigen Beruf wirken
will, den reinen Luftzug des nationalen Geisteslebens einmal einathme und
unverwerfliches Zeugniß gebe, daß er diese Luft gekostet. Nur so begegnet
der Staat auf dem Felde aller geistigen Berufe solchen Persönlichkeiten, die er
dafür verantwortlich machen kann, wenn sie in ihrem Berufe gegen den sitt¬
lichen Geist des Staates sich versündigen. Erklären solche Persönlichkeiten sich
durch ihren Beruf für gezwungen, so sind sie wenigstens für die Wahl des
Berufes verantwortlich.

Mit diesem Zweck des Gesetzentwurfes steht in Verbindung die weitere
Bestimmung, daß Knabenseminare und Knabenconvicte zur Heranbildung von
Clerikern nicht mehr errichtet, und in die bestehenden Anstalten dieser Art
neue Zöglinge nicht mehr aufgenommen werden dürfen; sowie die durchge¬
führte Aufsicht des Staates über diejenigen Seminare zur Heranbildung von
Clerikern, deren Zöglinge erwachsene junge Männer sind. Auch hier bezieht
die Staatsaufsicht sich nicht auf die Lehrgegenstände des innern kirchlichen
Lebens, sondern auf die Disciplin, auf die Angehörigkeit der Lehrer zum deut¬
schen Staat, auf die allgemein wissenschaftliche Befähigung derselben. Es soll
in keiner kirchlichen Lehranstalt durch gewaltsam künstliche Umnebelung des
Geistes ein Clerus großgezogen werden, welcher den deutschen Staat und seine
Geistesbildung haßt, ohne sie zu kennen.

Ein zweiter Theil des Gesetzes bezieht sich auf die Anstellung der Geist¬
lichen. Er enthält Vorschriften über die staatliche Wahrnehmung, ob die zur
geistlichen Anstellungsfähigkeit erforderlichen Bildungsbedingungen und bezüg¬
lich die Zeugnisse darüber vorhanden ,sind. Er sichert außerdem das Pfarr¬
amt gegen die Willkür der geistlichen Oberen bei seiner Besetzung. Er stellt
Vorschriften auf über diejenigen Bedingungen, deren Eintreffen den Verlust
des geistlichen Amtes von Stastswegen zur Folge hat. Er sichert endlich
alle diese Vorschriften durch die gehörigen Orts eingeschalteten Strafbe¬
stimmungen.

Der zweite Gesetzentwurf über das Verhältniß des Staats zur Kirche
betrifft den Austritt aus der Kirche. Schon durch das Dissidentengesetz vom
Jahre 1847 konnte jeder Preuße durch eine Erklärung vor dem Richter seines
Wohnorts aus der Kirche austreten, zu der er bisher gehörte. Es war für
solche Dissidenten eine Civilehe und eine Beglaubigung der Geburth- und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/160>, abgerufen am 24.08.2024.