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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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erledigt, und einige wichtige technische Vorlagen, darunter einen.Gesetzentwurf
über die Einrichtung von Eisenbahncommissariaten und ein Fischereigesetz in
erster Lesung an besondere Commissionen verwiesen. Die 2. Berathung des
Staatshaushaltes für 1873 wurde begonnen. Ein von den Abgeordneten
Elsner von Gronow und Rickert eingebrachter Gesetzentwurf bezweckend die
Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer vom 1. Januar 1874 ab mit der
Einschränkung, daß die Schlachtsteuer in den Städten, welche bisher anstatt
der Klassensteuer jene beiden Steuern entrichteten, noch 5 Jahre lang als Ge¬
meindeabgabe forterhoben werden kann, wurde der Commission überwiesen,
welche den regierungsseitig eingebrachten Entwurf über die Reform der Klassen¬
steuer und der Einkommensteuer vorzuberathen hat. Erfreulich, wenn auch
nicht überraschend nach der vorjährigen regierungsseitig eingebrachten Steuer¬
reformvorlage, war die Uebereinstimmung des Finanzministers mit dem An¬
trag der beiden Abgeordneten. Der Handelsminister brachte eine Vorlage über
eine umfangreiche Anlegung neuer Eisenbahnen ein. Die Berathung des
Haushaltes der preußischen Bank gab Veranlassung zu einigen Reden über
das Gründerwesen, welche das Haus beifällig anhörte. -- Der ersten diesjäh¬
rigen Sitzung vom 7. Januar, welche bei Berathung der Ausgaben für das
Ministerium des Innern die Aeußerungen der Abgeordneten Laster und Vir-
chow über die Stellung des neuen Ministerpräsidenten v. Roon Hervorries,
habe ich schon Erwähnung gethan. Das Haus stand damals noch unter dem
Banne des doppelten Irrthums, daß Graf Roon gegen die Wünsche des
Fürsten Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt worden und daß sein Prä¬
sidium die Gefahr eines Stillstandes auf dem eingeschlagenen Wege der Kir¬
chenpolitik und andere reactionäre Strömungen bringen müsse.

Am 9. Januar brachte der Cultusminister drei Gesetzentwürfe über das
Verhältniß des Staates zur Kirche ein. Der erste davon betrifft die Vor¬
bildung und Anstellung der Geistlichen, und zwar der Geistlichen aller Con-
fessionen. Danach ist zur Bekleidung eines geistlichen Amtes in Zukunft die
bestandene Abiturientenprüfung auf einem deutschen Gymnasium, ein drei¬
jähriges theologisches Studium auf einer deutschen Staatsuniversität, und die
Ablegung einer wissenschaftlichen Staatsprüfung Bedingung. Die Staats¬
prüfung bezieht sich auf die allgemeine wissenschaftliche Bildung des Candi-
daten in dem Fache der Philosophie, der Geschichte, der deutschen Literatur
und der klassischen Sprachen.

Halten wir hierbei einen Augenblick inne, so finden wir ein Ziel ins
Auge gesaßt, dessen Nothwendigkeit zuerst Kaiser Joseph II. mit voller Deut¬
lichkeit begriff, und das nach ihm von allen erleuchteten Staatsmännern, na¬
mentlich auch von preußischen Staatsmännern, immer wieder vor die Augen
der Regierenden gestellt worden ist. -- Möge die katholische Kirche ihren


erledigt, und einige wichtige technische Vorlagen, darunter einen.Gesetzentwurf
über die Einrichtung von Eisenbahncommissariaten und ein Fischereigesetz in
erster Lesung an besondere Commissionen verwiesen. Die 2. Berathung des
Staatshaushaltes für 1873 wurde begonnen. Ein von den Abgeordneten
Elsner von Gronow und Rickert eingebrachter Gesetzentwurf bezweckend die
Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer vom 1. Januar 1874 ab mit der
Einschränkung, daß die Schlachtsteuer in den Städten, welche bisher anstatt
der Klassensteuer jene beiden Steuern entrichteten, noch 5 Jahre lang als Ge¬
meindeabgabe forterhoben werden kann, wurde der Commission überwiesen,
welche den regierungsseitig eingebrachten Entwurf über die Reform der Klassen¬
steuer und der Einkommensteuer vorzuberathen hat. Erfreulich, wenn auch
nicht überraschend nach der vorjährigen regierungsseitig eingebrachten Steuer¬
reformvorlage, war die Uebereinstimmung des Finanzministers mit dem An¬
trag der beiden Abgeordneten. Der Handelsminister brachte eine Vorlage über
eine umfangreiche Anlegung neuer Eisenbahnen ein. Die Berathung des
Haushaltes der preußischen Bank gab Veranlassung zu einigen Reden über
das Gründerwesen, welche das Haus beifällig anhörte. — Der ersten diesjäh¬
rigen Sitzung vom 7. Januar, welche bei Berathung der Ausgaben für das
Ministerium des Innern die Aeußerungen der Abgeordneten Laster und Vir-
chow über die Stellung des neuen Ministerpräsidenten v. Roon Hervorries,
habe ich schon Erwähnung gethan. Das Haus stand damals noch unter dem
Banne des doppelten Irrthums, daß Graf Roon gegen die Wünsche des
Fürsten Bismarck zum Ministerpräsidenten ernannt worden und daß sein Prä¬
sidium die Gefahr eines Stillstandes auf dem eingeschlagenen Wege der Kir¬
chenpolitik und andere reactionäre Strömungen bringen müsse.

Am 9. Januar brachte der Cultusminister drei Gesetzentwürfe über das
Verhältniß des Staates zur Kirche ein. Der erste davon betrifft die Vor¬
bildung und Anstellung der Geistlichen, und zwar der Geistlichen aller Con-
fessionen. Danach ist zur Bekleidung eines geistlichen Amtes in Zukunft die
bestandene Abiturientenprüfung auf einem deutschen Gymnasium, ein drei¬
jähriges theologisches Studium auf einer deutschen Staatsuniversität, und die
Ablegung einer wissenschaftlichen Staatsprüfung Bedingung. Die Staats¬
prüfung bezieht sich auf die allgemeine wissenschaftliche Bildung des Candi-
daten in dem Fache der Philosophie, der Geschichte, der deutschen Literatur
und der klassischen Sprachen.

Halten wir hierbei einen Augenblick inne, so finden wir ein Ziel ins
Auge gesaßt, dessen Nothwendigkeit zuerst Kaiser Joseph II. mit voller Deut¬
lichkeit begriff, und das nach ihm von allen erleuchteten Staatsmännern, na¬
mentlich auch von preußischen Staatsmännern, immer wieder vor die Augen
der Regierenden gestellt worden ist. — Möge die katholische Kirche ihren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/159>, abgerufen am 24.08.2024.