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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Versammlung gewählt zu werden. Da er bei dieser seiner ersten Wahl 1886
aber noch im Staatsdienst und seine Denkungsweise der Regierung natür¬
lich bekannt war. versagte sie ihm den Urlaub. Nun faßte Bennigsen den
über seine Zukunft entscheidenden Entschluß. Unterstützt von seinem würdigen,
wahrhaft adlig gesinnten Vater, der ihm das Familiengut Bennigsen abtrat,
gab er den Staatsdienst auf und trat in die zweite Kammer des Jahres
1867 als völlig unabhängiger Vertreter der Stadt Göttingen ein.

Es war eine fast verzweifelte Lage für den hannoverschen Liberalismus,
in welcher er so dessen Vorderreihe erreichte. Die Verfassungs-Octroyirungen
des Königs Georg waren im Sommer 1855 erfolgt und von der nächst nach¬
folgenden Volksvertretung des Jahres 1856 nicht rückgängig zu machen ge¬
wesen; der König traf dann mit nochmaligem Rechtsspruch eigenmächtig auch
die nöthigen gesetzlichen Anordnungen, um aus dem Domanium ein unab¬
hängiges Krongut auszuscheiden, d. h. sich auf Kosten des Landes zu be¬
reichern, und löste die Ständeversammlung von neuem auf, damit sein eifriger
Minister des Innern Herr v. Borries ihm durch Wahlquälereien aller Art
endlich eine gefügige zweite Kammer zusammentreibe. In dem ermüdeten,
verzagenden Lande inmitten der Hochfluth der deutsch-europäischen Reaction
gelang dies. Eine Zweidrittelmehrheit fiel der Regierung zu, die obendrein
durch ein octroyirtes Specialgesetz dafür gesorgt hatte, daß ihre eignen
Vorgänger, die Exminister Stüve, v. Münchhausen, Windthorst u. s. f.
ohne ihre Genehmigung so wenig wählbar waren, wie irgend ein activer
Staatsdiener, und dann durch eine unerhört willkürliche Gesetzauslegung selbst
den letzteren ältern Führer der Verfassungspartei, der unter den Gewählten-
war, von der Horst, aus der Kammer fernhielt.

So sah sich Bennigsen durch die Noth des schmählich mißhandelten
Landes in demselben Augenblick zur Führerschaft berufen, wo er zuerst den
parlamentarischen Boden betrat. Es gab noch ein paar ältere Kämpfer neben
ihm, Stüve's alten Freund Advocat Buddenberg aus dem Osnabrückschen,
und Oberbürgermeister Barckhausen aus Lüneburg, einen hochsinnigen aber
sehr gemäßigten Mann, den erst die letzten Unthaten des Königs und seiner
Minister von der Rechten auf die Linke gedrängt hatten. Allein sie machten
Bennigsen den ersten Platz nicht lange streitig, zumal der begabtere von beiden,
Barckhausen, nicht lange nachher starb.

Es begann nun ein merkwürdiger Geisteskampf. Auf der einen Seite
der kleine, durchaus plebejisch erscheinende Minister v. Borries an der Spitze
seiner Getreuen im Ständesaal, des Präsidenten wie der Mehrheit unbedingt
sicher, dazu im Besitz der materiellen Macht und von dem verblendeten Fürsten
hinter ihm eher vorwärtsgestachelt als zurückgehalten; auf der anderen mit
dem schmalen Häuflein seiner Freunde, meist biederer Bauern aus den nord-


Versammlung gewählt zu werden. Da er bei dieser seiner ersten Wahl 1886
aber noch im Staatsdienst und seine Denkungsweise der Regierung natür¬
lich bekannt war. versagte sie ihm den Urlaub. Nun faßte Bennigsen den
über seine Zukunft entscheidenden Entschluß. Unterstützt von seinem würdigen,
wahrhaft adlig gesinnten Vater, der ihm das Familiengut Bennigsen abtrat,
gab er den Staatsdienst auf und trat in die zweite Kammer des Jahres
1867 als völlig unabhängiger Vertreter der Stadt Göttingen ein.

Es war eine fast verzweifelte Lage für den hannoverschen Liberalismus,
in welcher er so dessen Vorderreihe erreichte. Die Verfassungs-Octroyirungen
des Königs Georg waren im Sommer 1855 erfolgt und von der nächst nach¬
folgenden Volksvertretung des Jahres 1856 nicht rückgängig zu machen ge¬
wesen; der König traf dann mit nochmaligem Rechtsspruch eigenmächtig auch
die nöthigen gesetzlichen Anordnungen, um aus dem Domanium ein unab¬
hängiges Krongut auszuscheiden, d. h. sich auf Kosten des Landes zu be¬
reichern, und löste die Ständeversammlung von neuem auf, damit sein eifriger
Minister des Innern Herr v. Borries ihm durch Wahlquälereien aller Art
endlich eine gefügige zweite Kammer zusammentreibe. In dem ermüdeten,
verzagenden Lande inmitten der Hochfluth der deutsch-europäischen Reaction
gelang dies. Eine Zweidrittelmehrheit fiel der Regierung zu, die obendrein
durch ein octroyirtes Specialgesetz dafür gesorgt hatte, daß ihre eignen
Vorgänger, die Exminister Stüve, v. Münchhausen, Windthorst u. s. f.
ohne ihre Genehmigung so wenig wählbar waren, wie irgend ein activer
Staatsdiener, und dann durch eine unerhört willkürliche Gesetzauslegung selbst
den letzteren ältern Führer der Verfassungspartei, der unter den Gewählten-
war, von der Horst, aus der Kammer fernhielt.

So sah sich Bennigsen durch die Noth des schmählich mißhandelten
Landes in demselben Augenblick zur Führerschaft berufen, wo er zuerst den
parlamentarischen Boden betrat. Es gab noch ein paar ältere Kämpfer neben
ihm, Stüve's alten Freund Advocat Buddenberg aus dem Osnabrückschen,
und Oberbürgermeister Barckhausen aus Lüneburg, einen hochsinnigen aber
sehr gemäßigten Mann, den erst die letzten Unthaten des Königs und seiner
Minister von der Rechten auf die Linke gedrängt hatten. Allein sie machten
Bennigsen den ersten Platz nicht lange streitig, zumal der begabtere von beiden,
Barckhausen, nicht lange nachher starb.

Es begann nun ein merkwürdiger Geisteskampf. Auf der einen Seite
der kleine, durchaus plebejisch erscheinende Minister v. Borries an der Spitze
seiner Getreuen im Ständesaal, des Präsidenten wie der Mehrheit unbedingt
sicher, dazu im Besitz der materiellen Macht und von dem verblendeten Fürsten
hinter ihm eher vorwärtsgestachelt als zurückgehalten; auf der anderen mit
dem schmalen Häuflein seiner Freunde, meist biederer Bauern aus den nord-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/15>, abgerufen am 24.08.2024.