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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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des K. Dezbr. zog General Manteuffel in Rouen ein. In kaum 30 Tagen
hatte die I. Armee einen Raum durchschritten, dessen Länge von Metz über
Amiens nach Rouen in der Luftlinie 58 Meilen beträgt, also einschließlich
einer Schlacht eine durchschnittliche Tagesleistung von 2 Meilen. Erwägt man
aber die großen Entfernungsunterschiede zwischen der Luftlinie und den wirk¬
lichen Straßenrichtungen und zieht die Seitenabweichungen der Cantonnements
in Betracht, so steigert sich diese bewunderungswürdige Leistung noch mindestens
um die Hälfte. Genommen waren dabei 376 Geschütze und 8000 Gefangene.
Das Hauptresultat des rechtzeitigen Vorstoßes gegen Amiens und der Ueber-
rumpelung von Rouen bestand aber in dem Auseinanderwerfen und Zurück¬
weisen 'der beiden feindlichen Heeresmassen im Norden und Nordwesten, welche
im Falle ihrer ungestörten Organisirung und Vereinigung der Cernirung von
Paris sehr gefährlich werden konnten. Damit war die offensive Aufgabe
der I. Armee gelöst.

Die dritte Periode umfaßt die "Operationen an der Seine und
Somme von der Einnahme von Rouen bis zur Schlacht an der Hallue", also
den Zeitraum vom 6. bis 24. Dezbr. -- Das 7. Kapitel beschäftigt sich zu¬
nächst mit der Kriegslage. Schon seit geraumer Zeit lag der Schwerpunkt
des Krieges bei Paris. Es handelte sich darum, dem Feinde den Durchbruch
durch den "eisernen Ring" und die Verproviantirung der Stadt zu verwehren.
Die factische Aufgabe der deutschen Armeen, welche Paris gegenüber einen
großen Offensivzweck verfolgten, war also den französischen Provinz-Heeren gegen¬
über eine defensive, die indessen stets ein actives, oft ein offensives Verhalten
erforderte. Allerdings hatten die Deutschen hierbei den strategischen Vortheil
der "inneren Linie"; aber derselbe war ziemlich illusorischer Natur; denn eine
wesentliche Schwierigkeit lag darin, daß die gemeinsame Verbindung aller
deutschen Heerestheile mit der Heimath auf der einen, in unvollkommenem
Betriebe stehenden Eisenbahnlinie Chalons-Frouard stattzufinden hatte, wäh¬
rend der auf der äußeren Linie operirende Gegner über ein weit ausgedehntes,
höchst leistungsfähiges Eisenbahnnetz gebot. -- Die Verbindungen mit der
Heimath zu sichern und neue zu erschließen, diente eine Heeresgruppe,
welche sich zusammensetzte aus den über den ganzen von uns beherrschten
Raum vertheilten Gouvernementstruppen, aus der zur I. Armee gehörenden
14. Division nebst dem Senden'schen Truppencorps vor den Ardennenfestungen.
aus dem Rest des 7. Armee-Corps in der Gegend von Chatillon s. S., endlich
aus dem unter General v. Werber stehenden Armeetheile im südlichen Elsaß.
-- Eine zweite Heeresgruppe, die III. und die Maas-Armee, umlagerte
Paris unmittelbar; der dritten Heeresgruppe, der I. und II. Armee, siel der
Schutz der Cernirung anheim. -- Als die I. Armee mit der Schlacht bei
Amiens und der Einnahme von Rouen die ihr zunächst gestellte Aufgabe ge-


des K. Dezbr. zog General Manteuffel in Rouen ein. In kaum 30 Tagen
hatte die I. Armee einen Raum durchschritten, dessen Länge von Metz über
Amiens nach Rouen in der Luftlinie 58 Meilen beträgt, also einschließlich
einer Schlacht eine durchschnittliche Tagesleistung von 2 Meilen. Erwägt man
aber die großen Entfernungsunterschiede zwischen der Luftlinie und den wirk¬
lichen Straßenrichtungen und zieht die Seitenabweichungen der Cantonnements
in Betracht, so steigert sich diese bewunderungswürdige Leistung noch mindestens
um die Hälfte. Genommen waren dabei 376 Geschütze und 8000 Gefangene.
Das Hauptresultat des rechtzeitigen Vorstoßes gegen Amiens und der Ueber-
rumpelung von Rouen bestand aber in dem Auseinanderwerfen und Zurück¬
weisen 'der beiden feindlichen Heeresmassen im Norden und Nordwesten, welche
im Falle ihrer ungestörten Organisirung und Vereinigung der Cernirung von
Paris sehr gefährlich werden konnten. Damit war die offensive Aufgabe
der I. Armee gelöst.

Die dritte Periode umfaßt die „Operationen an der Seine und
Somme von der Einnahme von Rouen bis zur Schlacht an der Hallue", also
den Zeitraum vom 6. bis 24. Dezbr. — Das 7. Kapitel beschäftigt sich zu¬
nächst mit der Kriegslage. Schon seit geraumer Zeit lag der Schwerpunkt
des Krieges bei Paris. Es handelte sich darum, dem Feinde den Durchbruch
durch den „eisernen Ring" und die Verproviantirung der Stadt zu verwehren.
Die factische Aufgabe der deutschen Armeen, welche Paris gegenüber einen
großen Offensivzweck verfolgten, war also den französischen Provinz-Heeren gegen¬
über eine defensive, die indessen stets ein actives, oft ein offensives Verhalten
erforderte. Allerdings hatten die Deutschen hierbei den strategischen Vortheil
der „inneren Linie"; aber derselbe war ziemlich illusorischer Natur; denn eine
wesentliche Schwierigkeit lag darin, daß die gemeinsame Verbindung aller
deutschen Heerestheile mit der Heimath auf der einen, in unvollkommenem
Betriebe stehenden Eisenbahnlinie Chalons-Frouard stattzufinden hatte, wäh¬
rend der auf der äußeren Linie operirende Gegner über ein weit ausgedehntes,
höchst leistungsfähiges Eisenbahnnetz gebot. — Die Verbindungen mit der
Heimath zu sichern und neue zu erschließen, diente eine Heeresgruppe,
welche sich zusammensetzte aus den über den ganzen von uns beherrschten
Raum vertheilten Gouvernementstruppen, aus der zur I. Armee gehörenden
14. Division nebst dem Senden'schen Truppencorps vor den Ardennenfestungen.
aus dem Rest des 7. Armee-Corps in der Gegend von Chatillon s. S., endlich
aus dem unter General v. Werber stehenden Armeetheile im südlichen Elsaß.
— Eine zweite Heeresgruppe, die III. und die Maas-Armee, umlagerte
Paris unmittelbar; der dritten Heeresgruppe, der I. und II. Armee, siel der
Schutz der Cernirung anheim. — Als die I. Armee mit der Schlacht bei
Amiens und der Einnahme von Rouen die ihr zunächst gestellte Aufgabe ge-


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[0143] des K. Dezbr. zog General Manteuffel in Rouen ein. In kaum 30 Tagen hatte die I. Armee einen Raum durchschritten, dessen Länge von Metz über Amiens nach Rouen in der Luftlinie 58 Meilen beträgt, also einschließlich einer Schlacht eine durchschnittliche Tagesleistung von 2 Meilen. Erwägt man aber die großen Entfernungsunterschiede zwischen der Luftlinie und den wirk¬ lichen Straßenrichtungen und zieht die Seitenabweichungen der Cantonnements in Betracht, so steigert sich diese bewunderungswürdige Leistung noch mindestens um die Hälfte. Genommen waren dabei 376 Geschütze und 8000 Gefangene. Das Hauptresultat des rechtzeitigen Vorstoßes gegen Amiens und der Ueber- rumpelung von Rouen bestand aber in dem Auseinanderwerfen und Zurück¬ weisen 'der beiden feindlichen Heeresmassen im Norden und Nordwesten, welche im Falle ihrer ungestörten Organisirung und Vereinigung der Cernirung von Paris sehr gefährlich werden konnten. Damit war die offensive Aufgabe der I. Armee gelöst. Die dritte Periode umfaßt die „Operationen an der Seine und Somme von der Einnahme von Rouen bis zur Schlacht an der Hallue", also den Zeitraum vom 6. bis 24. Dezbr. — Das 7. Kapitel beschäftigt sich zu¬ nächst mit der Kriegslage. Schon seit geraumer Zeit lag der Schwerpunkt des Krieges bei Paris. Es handelte sich darum, dem Feinde den Durchbruch durch den „eisernen Ring" und die Verproviantirung der Stadt zu verwehren. Die factische Aufgabe der deutschen Armeen, welche Paris gegenüber einen großen Offensivzweck verfolgten, war also den französischen Provinz-Heeren gegen¬ über eine defensive, die indessen stets ein actives, oft ein offensives Verhalten erforderte. Allerdings hatten die Deutschen hierbei den strategischen Vortheil der „inneren Linie"; aber derselbe war ziemlich illusorischer Natur; denn eine wesentliche Schwierigkeit lag darin, daß die gemeinsame Verbindung aller deutschen Heerestheile mit der Heimath auf der einen, in unvollkommenem Betriebe stehenden Eisenbahnlinie Chalons-Frouard stattzufinden hatte, wäh¬ rend der auf der äußeren Linie operirende Gegner über ein weit ausgedehntes, höchst leistungsfähiges Eisenbahnnetz gebot. — Die Verbindungen mit der Heimath zu sichern und neue zu erschließen, diente eine Heeresgruppe, welche sich zusammensetzte aus den über den ganzen von uns beherrschten Raum vertheilten Gouvernementstruppen, aus der zur I. Armee gehörenden 14. Division nebst dem Senden'schen Truppencorps vor den Ardennenfestungen. aus dem Rest des 7. Armee-Corps in der Gegend von Chatillon s. S., endlich aus dem unter General v. Werber stehenden Armeetheile im südlichen Elsaß. — Eine zweite Heeresgruppe, die III. und die Maas-Armee, umlagerte Paris unmittelbar; der dritten Heeresgruppe, der I. und II. Armee, siel der Schutz der Cernirung anheim. — Als die I. Armee mit der Schlacht bei Amiens und der Einnahme von Rouen die ihr zunächst gestellte Aufgabe ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/143>, abgerufen am 25.08.2024.