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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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Act der Nothwehr erlassen, das Jesuitengesetz. An die große Frage der
Stellung des Staates zur Kirche, hat man Reichswegen nicht gerührt; man
hat sich einstweilen mit einem Speeialgesetz, gewissermaßen einer Präventiv¬
maßregel, begnügt. Um so bedeutsamer ist man dieser Frage auf dem Boden
der Particulargesetzgebung, zunächst des inneren preuß. Staatslebens nahe
getreten. Durch die frische energische Kraft, die seit Beginn des verwichenen
Jahres an die Spitze des Preuß. Cultusministeriums getreten ist, hat die
Politik des Fürsten Bismarck gegen die katholische Hierarchie die lebhafteste
Unterstützung und Förderung erfahren. Selbst in Preußenist die Frage, ob
aus dem Wege der Verwaltung oder des Gesetzes der Ungehorsam der katho¬
lischen Hierarchie bezwungen werden solle, lange zweifelhaft gewesen. Man
hat das Nothwendigste dort wie im Reiche anfangs durch ein Speeialgesetz,
das Schulaufsichtsgesetz, dann durch energische Verwaltungsmaßregeln gegen
die feindseligsten Häupter des streitbaren Clerus zu erreichen gehofft. Man
hat sich aber, bei der steigenden Unbotmäßigkeit der gesammten katholischen
Hierarchie und der gefährlichen Aufreizung der ihr blind ergebenen Massen,
gegen Ende des Jahres glücklicherweise entschlossen, durch eine Anzahl ein¬
schneidender Gesetze die Stellung des katholischen Clerus im Staate fest zu
begrenzen, die Wiederkehr solcher Gefahren für immer abzuwenden, und hervor¬
getretene Verletzungen der Staatsordnung durch den mächtigen Arm des Gesetzes zu
beugen und niederzuhalten. Der Ausgang dieser wichtigen Gesetzesarbeit ist dem
neuen Jahre vorbehalten. Aber schon jetzt dürfen wir sagen, daß seit den stolzesten
Tagen unserer alten Kaiserherrlichkeit und seit den glücklichsten Perioden der
deutschen Reformationsgeschichte niemals größere Hoffnung uns beschieden war, als
heute, durch Niederwerfung und Ausstoßung des vaterlandslosen römischen Geistes
aus unserem Reiche, endlich kirchlichen Frieden in ganz Deutschland herbeizuführen.

Der deutsche Reichstag hat auch in seiner Session von 1872, vornehmlich
durch seine Verhandlungen und Beschlüsse über das Jesuitengesetz den natio¬
nalen Gedanken gekräftigt. Die hervorragendsten seiner übrigen Arbeiten
waren dem Militärstrafgesetzbuche und der Verlängerung des Provisoriums in
Elsaß-Lothringen gewidmet. Durch die am 1. October erfolgte Ausscheidung
der für Frankreich optirenden Bewohner von Elsaß>Lothringen aus dem neuen
Reichsgebiet ist der Germanisirung der neuen Westmarken Deutschlands nun
ungestörter, gedeihlicher Fortgang gesichert. Lebhaft hat den Bundesrath von den
Beschlüssen des Reichstags vor Allem die nachdem bekannten Antrage Laster vom
Reichstag beschlossene Rechtseinheit beschäftigt. Wiederholt haben darüber die
Bevollmächtigten der deutschen Mittelstaaten mit denjenigen Preußens in
Berlin berathen, ohne daß bisher irgend ein nennenswerthes Resultat erreicht
wäre. Zum ersten Male begegnet uns hier seit Errichtung des norddeutschen
Bundes und deutschen Reiches in einer der wichtigsten Materien der deutschen


Act der Nothwehr erlassen, das Jesuitengesetz. An die große Frage der
Stellung des Staates zur Kirche, hat man Reichswegen nicht gerührt; man
hat sich einstweilen mit einem Speeialgesetz, gewissermaßen einer Präventiv¬
maßregel, begnügt. Um so bedeutsamer ist man dieser Frage auf dem Boden
der Particulargesetzgebung, zunächst des inneren preuß. Staatslebens nahe
getreten. Durch die frische energische Kraft, die seit Beginn des verwichenen
Jahres an die Spitze des Preuß. Cultusministeriums getreten ist, hat die
Politik des Fürsten Bismarck gegen die katholische Hierarchie die lebhafteste
Unterstützung und Förderung erfahren. Selbst in Preußenist die Frage, ob
aus dem Wege der Verwaltung oder des Gesetzes der Ungehorsam der katho¬
lischen Hierarchie bezwungen werden solle, lange zweifelhaft gewesen. Man
hat das Nothwendigste dort wie im Reiche anfangs durch ein Speeialgesetz,
das Schulaufsichtsgesetz, dann durch energische Verwaltungsmaßregeln gegen
die feindseligsten Häupter des streitbaren Clerus zu erreichen gehofft. Man
hat sich aber, bei der steigenden Unbotmäßigkeit der gesammten katholischen
Hierarchie und der gefährlichen Aufreizung der ihr blind ergebenen Massen,
gegen Ende des Jahres glücklicherweise entschlossen, durch eine Anzahl ein¬
schneidender Gesetze die Stellung des katholischen Clerus im Staate fest zu
begrenzen, die Wiederkehr solcher Gefahren für immer abzuwenden, und hervor¬
getretene Verletzungen der Staatsordnung durch den mächtigen Arm des Gesetzes zu
beugen und niederzuhalten. Der Ausgang dieser wichtigen Gesetzesarbeit ist dem
neuen Jahre vorbehalten. Aber schon jetzt dürfen wir sagen, daß seit den stolzesten
Tagen unserer alten Kaiserherrlichkeit und seit den glücklichsten Perioden der
deutschen Reformationsgeschichte niemals größere Hoffnung uns beschieden war, als
heute, durch Niederwerfung und Ausstoßung des vaterlandslosen römischen Geistes
aus unserem Reiche, endlich kirchlichen Frieden in ganz Deutschland herbeizuführen.

Der deutsche Reichstag hat auch in seiner Session von 1872, vornehmlich
durch seine Verhandlungen und Beschlüsse über das Jesuitengesetz den natio¬
nalen Gedanken gekräftigt. Die hervorragendsten seiner übrigen Arbeiten
waren dem Militärstrafgesetzbuche und der Verlängerung des Provisoriums in
Elsaß-Lothringen gewidmet. Durch die am 1. October erfolgte Ausscheidung
der für Frankreich optirenden Bewohner von Elsaß>Lothringen aus dem neuen
Reichsgebiet ist der Germanisirung der neuen Westmarken Deutschlands nun
ungestörter, gedeihlicher Fortgang gesichert. Lebhaft hat den Bundesrath von den
Beschlüssen des Reichstags vor Allem die nachdem bekannten Antrage Laster vom
Reichstag beschlossene Rechtseinheit beschäftigt. Wiederholt haben darüber die
Bevollmächtigten der deutschen Mittelstaaten mit denjenigen Preußens in
Berlin berathen, ohne daß bisher irgend ein nennenswerthes Resultat erreicht
wäre. Zum ersten Male begegnet uns hier seit Errichtung des norddeutschen
Bundes und deutschen Reiches in einer der wichtigsten Materien der deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/12>, abgerufen am 24.08.2024.