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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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"Ganz kürzlich hat in Schlesien ein Herr K. F. W. Wärter mehrere.
Tausend Sprichwörter selber neu gemacht oder fabricirt, und unter
dem Titel herausgegeben: "Scheidemünze, ein Taschenbuch für Jedermann.
2 Thle. Hirschberg 1835", allein er hat es mit dem Sprichwort beim besten
Willen schlimm verdorben. -- Herrn Wärter's Sprichwörter sind meistens auch
nicht einmal Heller und Pfennige, selbst nicht für den geringen Verkehr des
Gevatter-Gesprächs und der Cantoren-Weisheit, und von all den Tausenden
sind nur etwa 30 neu und dankenswerth. Hier etliche Proben von dem wun¬
derlichen Gepräge dieser Scheidemünze, wie sie mir bei dreimaligem Aufschlagen
des Buches in die Augen fallen: Pferde fressen keine Austern -- Die Steuer
vom Kümmel verdienet den Himmel -- Es ist oft der größte Schelm, der
den meisten Kümmel verzinset. Und dergleichen bringt der gute Mann zu
vielen Hunderten."

Ebenso zeigt Professor Dr. I. Zacher in Halle, eine unserer Autoritäten
im Gebiete der Sprichwörterliteratur, in seinem trefflichen Werkchen über "die
deutschen Sprichwörtersammlungen" (Leipzig 1852) auf Seite 24 und 25
Wärter's Bücher mit den Worten an: Die verschiedenen Sammlungen von
K. F. W. Wärter sind ohne literarischen Werth, da sie zu viel ge-
machte Sprichwörter eigener Fabrik enthalten."

Dennoch hoffte man, "der gute Mann", wie ihn Körte nennt, würde in
der langen Zeit, welche seit der Herausgabe seiner ersten Sprichwörtersamm¬
lungen verflossen war, zu der Einsicht gelangt sein, daß in ein deutsches
Sprichwörter-Lexicon keine Wärter'schen Sprichwörter und keine persön¬
lichen Lebensregeln, Erfahrungen und Bemerkungen gehören, sondern blos
eingebürgerte Sprichwörter des deutschen Volkes mit ihren mundartlichen
Varianten und den etwa nöthigen sachlichen oder sprachlichen Erklärungen. --
Leider machte indessen schon die erste Lieferung, das Probeheft des vorliegenden
Werkes, diese Erwartung zu nichte. Und wenn Herr Wärter auch seine
früheren Sammlungen noch nicht so häufig, wie in den späteren Lieferungen,
als Quellenwerke deutscher Sprichwörter citirte, so tischte er doch ungescheut
Sätze, wie:

Wer sich Uniform setzen läßt, bedarf keiner Blutegel (S. 19);
Der Adel und der Hühnerhund machen die Liebe der Jäger zu den Hasen kund (S. 28
Adel Ur. 22);
Wer Affectemauch im Kopfe hat, dem ist die Vernunft vernebelt (S. 38);
Alabaster gibt theure Pflaster (S. 42);
Aloö ist gemeines Holz, wo es wächst (S. 5V);
Argwohn ist gut in der Politik, aber der Freundschaft bricht er's Genick (S. 128),

und ähnliche als deutsche Sprichwörter auf. Eine Unzahl er's Deutsche über¬
setzter Sprichwörter aus fremden Sprachen waren nicht etwa als Belege für
die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Ansichten der Völker unter die ent-


„Ganz kürzlich hat in Schlesien ein Herr K. F. W. Wärter mehrere.
Tausend Sprichwörter selber neu gemacht oder fabricirt, und unter
dem Titel herausgegeben: „Scheidemünze, ein Taschenbuch für Jedermann.
2 Thle. Hirschberg 1835", allein er hat es mit dem Sprichwort beim besten
Willen schlimm verdorben. — Herrn Wärter's Sprichwörter sind meistens auch
nicht einmal Heller und Pfennige, selbst nicht für den geringen Verkehr des
Gevatter-Gesprächs und der Cantoren-Weisheit, und von all den Tausenden
sind nur etwa 30 neu und dankenswerth. Hier etliche Proben von dem wun¬
derlichen Gepräge dieser Scheidemünze, wie sie mir bei dreimaligem Aufschlagen
des Buches in die Augen fallen: Pferde fressen keine Austern — Die Steuer
vom Kümmel verdienet den Himmel — Es ist oft der größte Schelm, der
den meisten Kümmel verzinset. Und dergleichen bringt der gute Mann zu
vielen Hunderten."

Ebenso zeigt Professor Dr. I. Zacher in Halle, eine unserer Autoritäten
im Gebiete der Sprichwörterliteratur, in seinem trefflichen Werkchen über „die
deutschen Sprichwörtersammlungen" (Leipzig 1852) auf Seite 24 und 25
Wärter's Bücher mit den Worten an: Die verschiedenen Sammlungen von
K. F. W. Wärter sind ohne literarischen Werth, da sie zu viel ge-
machte Sprichwörter eigener Fabrik enthalten."

Dennoch hoffte man, „der gute Mann", wie ihn Körte nennt, würde in
der langen Zeit, welche seit der Herausgabe seiner ersten Sprichwörtersamm¬
lungen verflossen war, zu der Einsicht gelangt sein, daß in ein deutsches
Sprichwörter-Lexicon keine Wärter'schen Sprichwörter und keine persön¬
lichen Lebensregeln, Erfahrungen und Bemerkungen gehören, sondern blos
eingebürgerte Sprichwörter des deutschen Volkes mit ihren mundartlichen
Varianten und den etwa nöthigen sachlichen oder sprachlichen Erklärungen. —
Leider machte indessen schon die erste Lieferung, das Probeheft des vorliegenden
Werkes, diese Erwartung zu nichte. Und wenn Herr Wärter auch seine
früheren Sammlungen noch nicht so häufig, wie in den späteren Lieferungen,
als Quellenwerke deutscher Sprichwörter citirte, so tischte er doch ungescheut
Sätze, wie:

Wer sich Uniform setzen läßt, bedarf keiner Blutegel (S. 19);
Der Adel und der Hühnerhund machen die Liebe der Jäger zu den Hasen kund (S. 28
Adel Ur. 22);
Wer Affectemauch im Kopfe hat, dem ist die Vernunft vernebelt (S. 38);
Alabaster gibt theure Pflaster (S. 42);
Aloö ist gemeines Holz, wo es wächst (S. 5V);
Argwohn ist gut in der Politik, aber der Freundschaft bricht er's Genick (S. 128),

und ähnliche als deutsche Sprichwörter auf. Eine Unzahl er's Deutsche über¬
setzter Sprichwörter aus fremden Sprachen waren nicht etwa als Belege für
die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Ansichten der Völker unter die ent-


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[0114] „Ganz kürzlich hat in Schlesien ein Herr K. F. W. Wärter mehrere. Tausend Sprichwörter selber neu gemacht oder fabricirt, und unter dem Titel herausgegeben: „Scheidemünze, ein Taschenbuch für Jedermann. 2 Thle. Hirschberg 1835", allein er hat es mit dem Sprichwort beim besten Willen schlimm verdorben. — Herrn Wärter's Sprichwörter sind meistens auch nicht einmal Heller und Pfennige, selbst nicht für den geringen Verkehr des Gevatter-Gesprächs und der Cantoren-Weisheit, und von all den Tausenden sind nur etwa 30 neu und dankenswerth. Hier etliche Proben von dem wun¬ derlichen Gepräge dieser Scheidemünze, wie sie mir bei dreimaligem Aufschlagen des Buches in die Augen fallen: Pferde fressen keine Austern — Die Steuer vom Kümmel verdienet den Himmel — Es ist oft der größte Schelm, der den meisten Kümmel verzinset. Und dergleichen bringt der gute Mann zu vielen Hunderten." Ebenso zeigt Professor Dr. I. Zacher in Halle, eine unserer Autoritäten im Gebiete der Sprichwörterliteratur, in seinem trefflichen Werkchen über „die deutschen Sprichwörtersammlungen" (Leipzig 1852) auf Seite 24 und 25 Wärter's Bücher mit den Worten an: Die verschiedenen Sammlungen von K. F. W. Wärter sind ohne literarischen Werth, da sie zu viel ge- machte Sprichwörter eigener Fabrik enthalten." Dennoch hoffte man, „der gute Mann", wie ihn Körte nennt, würde in der langen Zeit, welche seit der Herausgabe seiner ersten Sprichwörtersamm¬ lungen verflossen war, zu der Einsicht gelangt sein, daß in ein deutsches Sprichwörter-Lexicon keine Wärter'schen Sprichwörter und keine persön¬ lichen Lebensregeln, Erfahrungen und Bemerkungen gehören, sondern blos eingebürgerte Sprichwörter des deutschen Volkes mit ihren mundartlichen Varianten und den etwa nöthigen sachlichen oder sprachlichen Erklärungen. — Leider machte indessen schon die erste Lieferung, das Probeheft des vorliegenden Werkes, diese Erwartung zu nichte. Und wenn Herr Wärter auch seine früheren Sammlungen noch nicht so häufig, wie in den späteren Lieferungen, als Quellenwerke deutscher Sprichwörter citirte, so tischte er doch ungescheut Sätze, wie: Wer sich Uniform setzen läßt, bedarf keiner Blutegel (S. 19); Der Adel und der Hühnerhund machen die Liebe der Jäger zu den Hasen kund (S. 28 Adel Ur. 22); Wer Affectemauch im Kopfe hat, dem ist die Vernunft vernebelt (S. 38); Alabaster gibt theure Pflaster (S. 42); Aloö ist gemeines Holz, wo es wächst (S. 5V); Argwohn ist gut in der Politik, aber der Freundschaft bricht er's Genick (S. 128), und ähnliche als deutsche Sprichwörter auf. Eine Unzahl er's Deutsche über¬ setzter Sprichwörter aus fremden Sprachen waren nicht etwa als Belege für die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der Ansichten der Völker unter die ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/114>, abgerufen am 25.08.2024.