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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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welche von der alleinseligmachenden Kraft ihres konstitutionellen Dogma über¬
zeugt find und welche ihre liberalen Verfassungsgedanken überall, unter allen
Verhältnissen anwenden wollen. Der englische Aufenthalt vollendete diesen
Zug in seinem Charakter. Auch ihm galt Nachahmung englischer Politik
bald über Alles; der kosmopolitische Liberalismus drückte auch ihm
sein Gepräge auf: der historischeren Art seines ehemaligen Lehrers und
Freundes war er zuletzt ganz fremd geworden. Und von den specifischen
historisch gegebenen Eigenthümlichkeiten des preußischen Staates hatte er doch
nur eine sehr verschwommene unklare Vorstellung.

Bunsen hat seine politischen Theorien nirgendwo im Zusammenhange
entwickelt. Was wir so eben gesagt, ist die Gesammtsumme aus vielen ein¬
zelnen Aeußerungen, die wir aus seinen Schriften und Briefen uns zusammen¬
stellen mußten. Mehr wie diese politische Theorie wird uns seine staatsmän¬
nische Praxis interessiren.

Von 1822 bis 1838 vertrat er in Rom die preußische Negierung. In
glänzender gesellschaftlicher Stellung (seine Ehe mit einer reichen Engländerin
hatte ihn zu einem reichen Manne gemacht) in glücklicher Häuslichkeit, von
wissenschaftlichen und künstlerischen Größen aufgesucht und Allen ein bereiter
Freund und Rathgeber, -- so waren dies für ihn Jahre schöner und frucht¬
barer Wirksamkeit. Seinem königlichen Herrn war er persönlich in Italien
bekannt geworden, mit dem Kronprinzen hatte er freundschaftliche Beziehungen
gewonnen; er gab sich der Hoffnung hin, dereinst noch Größeres für Preußen
wirken zu können in der künftigen Regierung, von der er schöne Früchte er¬
wartete. Die kirchlichen Interessen waren es neben der künstlerischen Neigung,
in welchen er mit des Kronprinzen Gesinnung sich begegnete. Ein gleiches
kirchliches Gefühlsleben war das Band zwischen Friedrich Wilhelm IV. und
Bunsen, das trotz aller sonstigen Differenzen beide immer wieder einander
verband. Zunächst in den Tagen des alten Königs konnte sich dies noch nicht
so nachdrücklich geltend machen, aber die Sympathie der Beiden, die doch auch
damals schon bestand, leitete weiteres ein und beeinflußte in nicht seltenen
Momenten auch damals schon Bunsen's Haltung.

Als praktischer Staatsmann hatte Bunsen sich in dieser römischen Zeit
zu zeigen eine glänzende Gelegenheit gehabt. Gerade die deutsche Biographie
bietet darüber interessantes Material, und der Herausgeber, Nippold, hat das¬
selbe außerdem in den Preußischen Jahrbüchern noch zu vermehren gewußt.
Diese Gelegenheit boten die Händel Preußens mit der Curie. Ob Bunsen
practisch sich dabei bewährt, und so der Aufgabe sich gewachsen zeigt? Diese
Frage unbedingt zu bejahen wird nicht leicht Jemand sich veranlaßt fühlen.
Nicht er allein ist verantwortlich zu machen für das Mißgeschick Preußens
auf diesem Gebiete, ebensowenig ist er aber freizusprechen von einem guten


welche von der alleinseligmachenden Kraft ihres konstitutionellen Dogma über¬
zeugt find und welche ihre liberalen Verfassungsgedanken überall, unter allen
Verhältnissen anwenden wollen. Der englische Aufenthalt vollendete diesen
Zug in seinem Charakter. Auch ihm galt Nachahmung englischer Politik
bald über Alles; der kosmopolitische Liberalismus drückte auch ihm
sein Gepräge auf: der historischeren Art seines ehemaligen Lehrers und
Freundes war er zuletzt ganz fremd geworden. Und von den specifischen
historisch gegebenen Eigenthümlichkeiten des preußischen Staates hatte er doch
nur eine sehr verschwommene unklare Vorstellung.

Bunsen hat seine politischen Theorien nirgendwo im Zusammenhange
entwickelt. Was wir so eben gesagt, ist die Gesammtsumme aus vielen ein¬
zelnen Aeußerungen, die wir aus seinen Schriften und Briefen uns zusammen¬
stellen mußten. Mehr wie diese politische Theorie wird uns seine staatsmän¬
nische Praxis interessiren.

Von 1822 bis 1838 vertrat er in Rom die preußische Negierung. In
glänzender gesellschaftlicher Stellung (seine Ehe mit einer reichen Engländerin
hatte ihn zu einem reichen Manne gemacht) in glücklicher Häuslichkeit, von
wissenschaftlichen und künstlerischen Größen aufgesucht und Allen ein bereiter
Freund und Rathgeber, — so waren dies für ihn Jahre schöner und frucht¬
barer Wirksamkeit. Seinem königlichen Herrn war er persönlich in Italien
bekannt geworden, mit dem Kronprinzen hatte er freundschaftliche Beziehungen
gewonnen; er gab sich der Hoffnung hin, dereinst noch Größeres für Preußen
wirken zu können in der künftigen Regierung, von der er schöne Früchte er¬
wartete. Die kirchlichen Interessen waren es neben der künstlerischen Neigung,
in welchen er mit des Kronprinzen Gesinnung sich begegnete. Ein gleiches
kirchliches Gefühlsleben war das Band zwischen Friedrich Wilhelm IV. und
Bunsen, das trotz aller sonstigen Differenzen beide immer wieder einander
verband. Zunächst in den Tagen des alten Königs konnte sich dies noch nicht
so nachdrücklich geltend machen, aber die Sympathie der Beiden, die doch auch
damals schon bestand, leitete weiteres ein und beeinflußte in nicht seltenen
Momenten auch damals schon Bunsen's Haltung.

Als praktischer Staatsmann hatte Bunsen sich in dieser römischen Zeit
zu zeigen eine glänzende Gelegenheit gehabt. Gerade die deutsche Biographie
bietet darüber interessantes Material, und der Herausgeber, Nippold, hat das¬
selbe außerdem in den Preußischen Jahrbüchern noch zu vermehren gewußt.
Diese Gelegenheit boten die Händel Preußens mit der Curie. Ob Bunsen
practisch sich dabei bewährt, und so der Aufgabe sich gewachsen zeigt? Diese
Frage unbedingt zu bejahen wird nicht leicht Jemand sich veranlaßt fühlen.
Nicht er allein ist verantwortlich zu machen für das Mißgeschick Preußens
auf diesem Gebiete, ebensowenig ist er aber freizusprechen von einem guten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/92>, abgerufen am 22.07.2024.