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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und Untersuchung des Urtheiles, den an den Resultaten seiner Regierung der
König oder bestimmte andere Personen zu tragen haben, dazu reicht das be¬
glaubigte und zuverlässige historische Quellenmaterial noch lange nicht hin:
erst sehr weniges ist dafür uns geboten. Das reichhaltigste darüber enthält
bis jetzt unzweifelhaft diese Publication in drei Bänden. Die schätzbarsten
Beiträge zur Zeitgeschichte des Königs Friedrich Wilhelm IV. hat uns die
deutsche Ausgabe dieses Werkes gebracht. Und wenn wir auch vieles über¬
flüssige Papier voll persönlicher Details über Bunsen und über einen ganzen
Bienenschwarm höchst uninteressanter Menschen in England und in Deutsch¬
land mit dem historisch wichtigen zusammen zu kaufen gezwungen werden, der
Werth des Quellenmaterials ist ein so bedeutender, daß er vielen Ballast
wieder gut macht.

Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, das neue wesentliche Material zu
einer historischen Schilderung jener Negierung zu benutzen, ebenso wenig wie
eine allseitige Charakterzeichnung Bunsen's hier versucht werden soll. Wir
heben vielmehr eine Beziehung aus und fügen das andere nur gelegentlich
bei. Der Politiker, der praktische Staatsmann Bunsen ist hier unser Object.
Nicht sowohl Bunsen's Antheil an der kirchlichen Gedankenwelt seines Königs,
als seine rein politischen Bestrebungen, seine diplomatischen Dienste sollen hier
auf Grund des uns jetzt dargebotenen authentischen Materials einer kritischen
Betrachtung unterzogen werden.

Es ist bekannt, daß Bunsen den politischen Fragen sich nicht zuerst, nicht
Lua, sxouw gewidmet, daß er vielmehr in Rom durch Niebuhr in diese Sphäre
eingeführt wurde. In voller Abhängigkeit von Niebuhr erscheint er Anfangs
auf der Bühne. Aber in dieser Stellung des lernenden Schülers von Nie¬
buhr ist er doch nicht lange verharrt. Schon sehr bald stoßen wir in seinen
Briefen auf Aeußerungen eines sich emancipirenden Urtheiles. Und seit er in
Rom nach Niebuhr's Abgange in selbständige amtliche Wirksamkeit eingetreten
war, bildete sich immer mehr der Kreis politischer Anschauungen und Be¬
strebungen in Bunsen zu einem eigenartigen Wesen aus.

Wollten wir den Inhalt seines politischen Denkens mit einem kurzen
Worte bezeichnen, so würden wir sagen, ein gemäßigt Liberaler, ein Anhänger
des Constitutionalismus ist Bunsen gewesen, der revolutionären Demokratie
ebenso abgeneigt wie reactionären Feudalismus. Bunsen war immer ein
Monarchist, niemals ein Revolutionär; aber von Jahr zu Jahr fast neigt er
sich immer stärker der konstitutionellen Doctrin zu; er wird je älter an
Jahren desto liberaler. In einer Beziehung ganz besonders trennte er sich
dabei immer auffallender von dem Geiste Niebuhr's ab: dem Zeitgeiste, der
herrschenden allgemeinen Strömung der öffentlichen Neigung hatte er sich mehr
und mehr hingegeben. Es gehörte Bunsen schließlich zu denjenigen Politikern,


und Untersuchung des Urtheiles, den an den Resultaten seiner Regierung der
König oder bestimmte andere Personen zu tragen haben, dazu reicht das be¬
glaubigte und zuverlässige historische Quellenmaterial noch lange nicht hin:
erst sehr weniges ist dafür uns geboten. Das reichhaltigste darüber enthält
bis jetzt unzweifelhaft diese Publication in drei Bänden. Die schätzbarsten
Beiträge zur Zeitgeschichte des Königs Friedrich Wilhelm IV. hat uns die
deutsche Ausgabe dieses Werkes gebracht. Und wenn wir auch vieles über¬
flüssige Papier voll persönlicher Details über Bunsen und über einen ganzen
Bienenschwarm höchst uninteressanter Menschen in England und in Deutsch¬
land mit dem historisch wichtigen zusammen zu kaufen gezwungen werden, der
Werth des Quellenmaterials ist ein so bedeutender, daß er vielen Ballast
wieder gut macht.

Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, das neue wesentliche Material zu
einer historischen Schilderung jener Negierung zu benutzen, ebenso wenig wie
eine allseitige Charakterzeichnung Bunsen's hier versucht werden soll. Wir
heben vielmehr eine Beziehung aus und fügen das andere nur gelegentlich
bei. Der Politiker, der praktische Staatsmann Bunsen ist hier unser Object.
Nicht sowohl Bunsen's Antheil an der kirchlichen Gedankenwelt seines Königs,
als seine rein politischen Bestrebungen, seine diplomatischen Dienste sollen hier
auf Grund des uns jetzt dargebotenen authentischen Materials einer kritischen
Betrachtung unterzogen werden.

Es ist bekannt, daß Bunsen den politischen Fragen sich nicht zuerst, nicht
Lua, sxouw gewidmet, daß er vielmehr in Rom durch Niebuhr in diese Sphäre
eingeführt wurde. In voller Abhängigkeit von Niebuhr erscheint er Anfangs
auf der Bühne. Aber in dieser Stellung des lernenden Schülers von Nie¬
buhr ist er doch nicht lange verharrt. Schon sehr bald stoßen wir in seinen
Briefen auf Aeußerungen eines sich emancipirenden Urtheiles. Und seit er in
Rom nach Niebuhr's Abgange in selbständige amtliche Wirksamkeit eingetreten
war, bildete sich immer mehr der Kreis politischer Anschauungen und Be¬
strebungen in Bunsen zu einem eigenartigen Wesen aus.

Wollten wir den Inhalt seines politischen Denkens mit einem kurzen
Worte bezeichnen, so würden wir sagen, ein gemäßigt Liberaler, ein Anhänger
des Constitutionalismus ist Bunsen gewesen, der revolutionären Demokratie
ebenso abgeneigt wie reactionären Feudalismus. Bunsen war immer ein
Monarchist, niemals ein Revolutionär; aber von Jahr zu Jahr fast neigt er
sich immer stärker der konstitutionellen Doctrin zu; er wird je älter an
Jahren desto liberaler. In einer Beziehung ganz besonders trennte er sich
dabei immer auffallender von dem Geiste Niebuhr's ab: dem Zeitgeiste, der
herrschenden allgemeinen Strömung der öffentlichen Neigung hatte er sich mehr
und mehr hingegeben. Es gehörte Bunsen schließlich zu denjenigen Politikern,


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[0091] und Untersuchung des Urtheiles, den an den Resultaten seiner Regierung der König oder bestimmte andere Personen zu tragen haben, dazu reicht das be¬ glaubigte und zuverlässige historische Quellenmaterial noch lange nicht hin: erst sehr weniges ist dafür uns geboten. Das reichhaltigste darüber enthält bis jetzt unzweifelhaft diese Publication in drei Bänden. Die schätzbarsten Beiträge zur Zeitgeschichte des Königs Friedrich Wilhelm IV. hat uns die deutsche Ausgabe dieses Werkes gebracht. Und wenn wir auch vieles über¬ flüssige Papier voll persönlicher Details über Bunsen und über einen ganzen Bienenschwarm höchst uninteressanter Menschen in England und in Deutsch¬ land mit dem historisch wichtigen zusammen zu kaufen gezwungen werden, der Werth des Quellenmaterials ist ein so bedeutender, daß er vielen Ballast wieder gut macht. Es ist nicht die Absicht dieses Artikels, das neue wesentliche Material zu einer historischen Schilderung jener Negierung zu benutzen, ebenso wenig wie eine allseitige Charakterzeichnung Bunsen's hier versucht werden soll. Wir heben vielmehr eine Beziehung aus und fügen das andere nur gelegentlich bei. Der Politiker, der praktische Staatsmann Bunsen ist hier unser Object. Nicht sowohl Bunsen's Antheil an der kirchlichen Gedankenwelt seines Königs, als seine rein politischen Bestrebungen, seine diplomatischen Dienste sollen hier auf Grund des uns jetzt dargebotenen authentischen Materials einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Es ist bekannt, daß Bunsen den politischen Fragen sich nicht zuerst, nicht Lua, sxouw gewidmet, daß er vielmehr in Rom durch Niebuhr in diese Sphäre eingeführt wurde. In voller Abhängigkeit von Niebuhr erscheint er Anfangs auf der Bühne. Aber in dieser Stellung des lernenden Schülers von Nie¬ buhr ist er doch nicht lange verharrt. Schon sehr bald stoßen wir in seinen Briefen auf Aeußerungen eines sich emancipirenden Urtheiles. Und seit er in Rom nach Niebuhr's Abgange in selbständige amtliche Wirksamkeit eingetreten war, bildete sich immer mehr der Kreis politischer Anschauungen und Be¬ strebungen in Bunsen zu einem eigenartigen Wesen aus. Wollten wir den Inhalt seines politischen Denkens mit einem kurzen Worte bezeichnen, so würden wir sagen, ein gemäßigt Liberaler, ein Anhänger des Constitutionalismus ist Bunsen gewesen, der revolutionären Demokratie ebenso abgeneigt wie reactionären Feudalismus. Bunsen war immer ein Monarchist, niemals ein Revolutionär; aber von Jahr zu Jahr fast neigt er sich immer stärker der konstitutionellen Doctrin zu; er wird je älter an Jahren desto liberaler. In einer Beziehung ganz besonders trennte er sich dabei immer auffallender von dem Geiste Niebuhr's ab: dem Zeitgeiste, der herrschenden allgemeinen Strömung der öffentlichen Neigung hatte er sich mehr und mehr hingegeben. Es gehörte Bunsen schließlich zu denjenigen Politikern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/91>, abgerufen am 22.07.2024.