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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete.
Präsident Simson,

In Frankreich ist der Präsident des Parlaments von jeher eine der ein¬
flußreichsten Persönlichkeiten im Staate gewesen. Er leitet die Versammlung
genau nach den Weisungen der herrschenden Regierung. Unter dem zweiten
Kaiserreich verstand Herr Schneider mit derselben Virtuosität die unliebsamen
Erörtungen der Herren Thiers, Jules Favre und Gambetta zu unterdrücken,
und die erlauchten Falzbeine der Versammlung in Bewegung zu setzen, als
jetzt unter der Aegide des Herrn Thiers der republikanische Präsident der
Assemble'e Herr Gre'op die Beklemmungen des Herrn Nouher und die Auf-
lehnung der unbotmäßigen Rechten zum Schweigen bringt. Bei diesem Volke,
bei welchem die theatralische Jnscenirung der Parlamentsdebatten Alles, ihr
Inhalt der öffentlichen Meinung gegenüber fast nichts ist, und die Geschäfts¬
ordnung eigentlich nur den Zweck hat, als großes, gesetzliches Universal-Falz-
bein der Majorität gegen die Minderheit zu dienen, ist natürlich die Rolle
des Präsidenten der Versammlung von eminenter politischer Bedeutung. Er
entscheidet so zu sagen den Gang und Ausgang der Verhandlungen, er erntet
der Regierung die parlamentarischen Früchte und Siege, welche ihr der wetter¬
wendischen öffentlichen Meinung gegenüber ein Existenzbedürfniß sind. Er
wird deshalb auch in einem Meer von Zufriedenheit erhalten. Herr Schneider
durfte unter dem zweiten Kaiserreich dem Staat jährlich für zerbrochne Teller
und vermißte Servietten eine Summe ansetzen, welche den Gehalt eines preu¬
ßischen Staatsministers bei weitem übertrifft. Und Herr Gre'op wird für seine
Dienste sogar mit der Aussicht belohnt, der Nachfolger des Herrn Thiers zu
werden.

Der Sprecher des englischen Unterhauses ist seinerseits eine ganz englische
Pflanze. Auch er bezieht zwar, den englischen Anschauungen gemäß, für seine
kurzen Leistungen während der Parlamentssession einen nach unseren continen-
talen und zumal deutschen Begriffen enormen Gehalt. In allem Uebrigen
aber ist er das gerade Gegentheil seines französischen Collegen. Er ist weder
der Fatseur der Regierung noch der herrschenden Partei. Seine Persönlichkeit
wird ohne jeden Wahlkampf meist einstimmig zu Anfang der Legislaturperiode


Grenzboten IV. 1872. 1
Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete.
Präsident Simson,

In Frankreich ist der Präsident des Parlaments von jeher eine der ein¬
flußreichsten Persönlichkeiten im Staate gewesen. Er leitet die Versammlung
genau nach den Weisungen der herrschenden Regierung. Unter dem zweiten
Kaiserreich verstand Herr Schneider mit derselben Virtuosität die unliebsamen
Erörtungen der Herren Thiers, Jules Favre und Gambetta zu unterdrücken,
und die erlauchten Falzbeine der Versammlung in Bewegung zu setzen, als
jetzt unter der Aegide des Herrn Thiers der republikanische Präsident der
Assemble'e Herr Gre'op die Beklemmungen des Herrn Nouher und die Auf-
lehnung der unbotmäßigen Rechten zum Schweigen bringt. Bei diesem Volke,
bei welchem die theatralische Jnscenirung der Parlamentsdebatten Alles, ihr
Inhalt der öffentlichen Meinung gegenüber fast nichts ist, und die Geschäfts¬
ordnung eigentlich nur den Zweck hat, als großes, gesetzliches Universal-Falz-
bein der Majorität gegen die Minderheit zu dienen, ist natürlich die Rolle
des Präsidenten der Versammlung von eminenter politischer Bedeutung. Er
entscheidet so zu sagen den Gang und Ausgang der Verhandlungen, er erntet
der Regierung die parlamentarischen Früchte und Siege, welche ihr der wetter¬
wendischen öffentlichen Meinung gegenüber ein Existenzbedürfniß sind. Er
wird deshalb auch in einem Meer von Zufriedenheit erhalten. Herr Schneider
durfte unter dem zweiten Kaiserreich dem Staat jährlich für zerbrochne Teller
und vermißte Servietten eine Summe ansetzen, welche den Gehalt eines preu¬
ßischen Staatsministers bei weitem übertrifft. Und Herr Gre'op wird für seine
Dienste sogar mit der Aussicht belohnt, der Nachfolger des Herrn Thiers zu
werden.

Der Sprecher des englischen Unterhauses ist seinerseits eine ganz englische
Pflanze. Auch er bezieht zwar, den englischen Anschauungen gemäß, für seine
kurzen Leistungen während der Parlamentssession einen nach unseren continen-
talen und zumal deutschen Begriffen enormen Gehalt. In allem Uebrigen
aber ist er das gerade Gegentheil seines französischen Collegen. Er ist weder
der Fatseur der Regierung noch der herrschenden Partei. Seine Persönlichkeit
wird ohne jeden Wahlkampf meist einstimmig zu Anfang der Legislaturperiode


Grenzboten IV. 1872. 1
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[0009] Deutsche Staatsmänner und Abgeordnete. Präsident Simson, In Frankreich ist der Präsident des Parlaments von jeher eine der ein¬ flußreichsten Persönlichkeiten im Staate gewesen. Er leitet die Versammlung genau nach den Weisungen der herrschenden Regierung. Unter dem zweiten Kaiserreich verstand Herr Schneider mit derselben Virtuosität die unliebsamen Erörtungen der Herren Thiers, Jules Favre und Gambetta zu unterdrücken, und die erlauchten Falzbeine der Versammlung in Bewegung zu setzen, als jetzt unter der Aegide des Herrn Thiers der republikanische Präsident der Assemble'e Herr Gre'op die Beklemmungen des Herrn Nouher und die Auf- lehnung der unbotmäßigen Rechten zum Schweigen bringt. Bei diesem Volke, bei welchem die theatralische Jnscenirung der Parlamentsdebatten Alles, ihr Inhalt der öffentlichen Meinung gegenüber fast nichts ist, und die Geschäfts¬ ordnung eigentlich nur den Zweck hat, als großes, gesetzliches Universal-Falz- bein der Majorität gegen die Minderheit zu dienen, ist natürlich die Rolle des Präsidenten der Versammlung von eminenter politischer Bedeutung. Er entscheidet so zu sagen den Gang und Ausgang der Verhandlungen, er erntet der Regierung die parlamentarischen Früchte und Siege, welche ihr der wetter¬ wendischen öffentlichen Meinung gegenüber ein Existenzbedürfniß sind. Er wird deshalb auch in einem Meer von Zufriedenheit erhalten. Herr Schneider durfte unter dem zweiten Kaiserreich dem Staat jährlich für zerbrochne Teller und vermißte Servietten eine Summe ansetzen, welche den Gehalt eines preu¬ ßischen Staatsministers bei weitem übertrifft. Und Herr Gre'op wird für seine Dienste sogar mit der Aussicht belohnt, der Nachfolger des Herrn Thiers zu werden. Der Sprecher des englischen Unterhauses ist seinerseits eine ganz englische Pflanze. Auch er bezieht zwar, den englischen Anschauungen gemäß, für seine kurzen Leistungen während der Parlamentssession einen nach unseren continen- talen und zumal deutschen Begriffen enormen Gehalt. In allem Uebrigen aber ist er das gerade Gegentheil seines französischen Collegen. Er ist weder der Fatseur der Regierung noch der herrschenden Partei. Seine Persönlichkeit wird ohne jeden Wahlkampf meist einstimmig zu Anfang der Legislaturperiode Grenzboten IV. 1872. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/9>, abgerufen am 30.06.2024.