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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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bestimmt und bis zum Ende derselben, ja häufig auf Lebenszeit unverändert
beibehalten. Er spricht während der Verhandlungen nur das Allernothwen-
digste. Er hat nur eine Aufgabe: zu sehen, nämlich den Redner zu sehen,
welcher unter allen zum Worte sich meldenden im Augenblicke der allein geeig¬
nete ist. Er hat nur einen Sinn: das Auge des Sprechers. Im übrigen
können Cheers oder Hohngelächter und Verwünschungen, täuschendes Hahnen¬
geschrei und klägliche Katzenlaute das Haus erfüllen, der Herr Sprecher hört
es nicht. Denn darin besteht das Correctiv der englischen Geschäftsordnung
gegen englische Ewalds oder gegen englische Seitenstücke zu dem I)r. Schulz
aus Heidelberg -- wenn es nämlich in Altengland je einen Menschen geben
könnte, der zu Gunsten der Franzosen sein Volk beschimpfen möchte.

Der Präsident des deutschen Reichstags hat eine wesentlich andere
Stellung als sein englischer und französischer College. Ihm wirft die Stelle
so wenig Güter oder hervorragenden politischen Einfluß in den Schooß wie
die Mitgliedschaft des Reichstags den übrigen Abgeordneten. Sein Amt ist
in Folge der außerordentlich intensiven Arbeiten und Leistungen des Reichs¬
tags während der letzten 5 Jahre ein ganz unvergleichlich arbeitsvollcres ge¬
wesen als jemals dasjenige französischer oder englischer Präsidenten. Seine
Stellung ist. bei der Leidenschaft und Verbitterung unserer politischen, religiö¬
sen und selbst wirthschaftlichen Parlaments-Debatten des letzten Lustrums,
eine bei weitem verantwortlichere, als diejenige irgend eines Präsidenten eines
andern gesetzgebenden Körpers. Sie ist aber auch in demselben Maaße eine
persönlich aufreibendere.

Diese Fülle schwieriger Aufgaben konnte in keine bessere Hand gelegt
werden, als in diejenige des Präsidenten aller gesammtdeutschen Parlamente,
welche wir seit beinahe fünfundzwanzig Jahren gesehen haben, in die Hand des
Appellativnsgerichtspräsidenten Dr. Eduard Sun s o n. Wenn lange die Partei¬
gegensätze gemildert sein werden, welche heut unser Volk trennen -- ganz
verschwinden werden sie ja nie -- wird man die Weisheit und Gerechtigkeit
erst vollwürdig schätzen, mit welcher Präsident Simson in einer Reihenfolge
außerordentlichster Zeiten und Verhältnisse die oftmals recht wilden Wogen
der parlamentarischen Debatte zu ebnen und zu meistern wußte. Namentlich
jede parlamentarische Minderheit wird, wenn jemals ihren Wortführern irgend
welche Bedrückung Seiten der Mehrheit oder Seiten des Präsidenten drohen sollte,
an Simson's Namen, als den ihres besten Schutzpatrons in unseren Tagen,
mahnend erinnern. In dieser Hinsicht ist sein Beispiel das wohlthätigste, das
gegeben werden konnte. Nicht minder aber wird immer mustergültig bleiben
die mächtige Energie und die sittliche Würde, mit welcher er jeder Ausschreitung
auf der Stelle strafend entgegentrat, um die höchste Kanzel des deutschen


bestimmt und bis zum Ende derselben, ja häufig auf Lebenszeit unverändert
beibehalten. Er spricht während der Verhandlungen nur das Allernothwen-
digste. Er hat nur eine Aufgabe: zu sehen, nämlich den Redner zu sehen,
welcher unter allen zum Worte sich meldenden im Augenblicke der allein geeig¬
nete ist. Er hat nur einen Sinn: das Auge des Sprechers. Im übrigen
können Cheers oder Hohngelächter und Verwünschungen, täuschendes Hahnen¬
geschrei und klägliche Katzenlaute das Haus erfüllen, der Herr Sprecher hört
es nicht. Denn darin besteht das Correctiv der englischen Geschäftsordnung
gegen englische Ewalds oder gegen englische Seitenstücke zu dem I)r. Schulz
aus Heidelberg — wenn es nämlich in Altengland je einen Menschen geben
könnte, der zu Gunsten der Franzosen sein Volk beschimpfen möchte.

Der Präsident des deutschen Reichstags hat eine wesentlich andere
Stellung als sein englischer und französischer College. Ihm wirft die Stelle
so wenig Güter oder hervorragenden politischen Einfluß in den Schooß wie
die Mitgliedschaft des Reichstags den übrigen Abgeordneten. Sein Amt ist
in Folge der außerordentlich intensiven Arbeiten und Leistungen des Reichs¬
tags während der letzten 5 Jahre ein ganz unvergleichlich arbeitsvollcres ge¬
wesen als jemals dasjenige französischer oder englischer Präsidenten. Seine
Stellung ist. bei der Leidenschaft und Verbitterung unserer politischen, religiö¬
sen und selbst wirthschaftlichen Parlaments-Debatten des letzten Lustrums,
eine bei weitem verantwortlichere, als diejenige irgend eines Präsidenten eines
andern gesetzgebenden Körpers. Sie ist aber auch in demselben Maaße eine
persönlich aufreibendere.

Diese Fülle schwieriger Aufgaben konnte in keine bessere Hand gelegt
werden, als in diejenige des Präsidenten aller gesammtdeutschen Parlamente,
welche wir seit beinahe fünfundzwanzig Jahren gesehen haben, in die Hand des
Appellativnsgerichtspräsidenten Dr. Eduard Sun s o n. Wenn lange die Partei¬
gegensätze gemildert sein werden, welche heut unser Volk trennen — ganz
verschwinden werden sie ja nie — wird man die Weisheit und Gerechtigkeit
erst vollwürdig schätzen, mit welcher Präsident Simson in einer Reihenfolge
außerordentlichster Zeiten und Verhältnisse die oftmals recht wilden Wogen
der parlamentarischen Debatte zu ebnen und zu meistern wußte. Namentlich
jede parlamentarische Minderheit wird, wenn jemals ihren Wortführern irgend
welche Bedrückung Seiten der Mehrheit oder Seiten des Präsidenten drohen sollte,
an Simson's Namen, als den ihres besten Schutzpatrons in unseren Tagen,
mahnend erinnern. In dieser Hinsicht ist sein Beispiel das wohlthätigste, das
gegeben werden konnte. Nicht minder aber wird immer mustergültig bleiben
die mächtige Energie und die sittliche Würde, mit welcher er jeder Ausschreitung
auf der Stelle strafend entgegentrat, um die höchste Kanzel des deutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/10>, abgerufen am 02.07.2024.