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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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es erheischen einberufen werden soll. Es wird auch die Legislaturperiode auf
drei Jahre festgesetzt. Aber es steht kein Wort in der Verfassung, daß die
Geschäfte der höchstens dreijährigen Legislaturperiode -- denn dieselbe kann
durch Auflösung des Hauses der Abgeordneten nach königlichem Ermessen ab¬
gekürzt werden -- in mehreren Sitzungsperioden, etwa in drei durch Land¬
tagsschluß getrennten Sessionen, besorgt werden müssen. Es steht verfassungs¬
rechtlich nicht das Mindeste im Wege, die Geschäfte einer Legislaturperiode
in einer einzigen, nur durch Vertagung mit Zustimmung des Landtags unter¬
brochenen Sitzungsperiode erledigen zu lassen. Die Unterscheidung von beson¬
deren Sitzungsperioden, welche sich durch den vom König verkündigten Land¬
tagsschluß beendigen, innerhalb der Legislaturperiode hat nur einen einzigen
rechtlichen Anhalt und einen einzigen Praktischen Zweck. Artikel 64 der Ver¬
fassungsurkunde bestimmt nämlich, daß Gesetzvorschläge, welche durch eines der
Häuser oder den König verworfen worden, in derselben Sitzungsperiode nicht
wieder vorgebracht werden dürfen. Die zulässige aber nicht nothwendige Ab-
schließung der Sitzungsperiode hat also folgenden Zweck. Man will einerseits
verhindern, daß durch factiöses Zurückkommen auf einen Gegenstand, über
welchen augenblicklich keine Einigung möglich, der Fortgang der Geschäfte
aufgehoben werde; man will andererseits vermeiden, daß ein abgelehnter Ge¬
setzvorschlag während der ganzen Legislaturperiode ruhen müsse, die Verfassung
legt es in die Vereinbarung der Regierung mit dem Landtag das Verbot der
Wiederaufnahme abgelehnter Gesetzvorschläge durch Vertagung einer formell
als continuirlich behandelten Session bis an das Ende der Legislaturperiode
zu erstrecken. Die Vereinbarung ist nothwendig, weil die Regierung allein
den Landtag nur auf dreißig Tage vertagen kann und weil sie die Vertagung
in einer als continuirlich betrachteten Session ohne Zustimmung des Landtags
nicht wiederholen darf. Dagegen kann die Regierung den Landtag jederzeit
oder doch nach Votirung des Budgets schließen und durch den Schluß und
die Wiedereröffnung einer neuen Sitzungsperiode die Wiederaufnahme abge¬
lehnter Gesetzvorschläge ermöglichen.

Wie verhält sich nun die Erstreckung der vorjährigen Session auf das
laufende und eventuell selbst auf das nächste Jahr zu dem praktischen Zweck
der erwähnten Berfassungsbestimmungen?

Nehmen wir an, die Regierung brächte in der fortgesetzten Session nur
Gesetzvorlagen ein, welche in den früheren Theilen der Session nicht vorge¬
kommen sind, darunter das Budget für 1873, so stände einem solchen Ver¬
fahren verfassungsrechtlich gar nichts im Wege. Wie aber, wenn die Re¬
gierung, was doch der allgemeine Wunsch ist und beinahe eine Forderung des
öffentlichen Wohles, noch in der laufenden Session auf die Reform der Steuern


es erheischen einberufen werden soll. Es wird auch die Legislaturperiode auf
drei Jahre festgesetzt. Aber es steht kein Wort in der Verfassung, daß die
Geschäfte der höchstens dreijährigen Legislaturperiode — denn dieselbe kann
durch Auflösung des Hauses der Abgeordneten nach königlichem Ermessen ab¬
gekürzt werden — in mehreren Sitzungsperioden, etwa in drei durch Land¬
tagsschluß getrennten Sessionen, besorgt werden müssen. Es steht verfassungs¬
rechtlich nicht das Mindeste im Wege, die Geschäfte einer Legislaturperiode
in einer einzigen, nur durch Vertagung mit Zustimmung des Landtags unter¬
brochenen Sitzungsperiode erledigen zu lassen. Die Unterscheidung von beson¬
deren Sitzungsperioden, welche sich durch den vom König verkündigten Land¬
tagsschluß beendigen, innerhalb der Legislaturperiode hat nur einen einzigen
rechtlichen Anhalt und einen einzigen Praktischen Zweck. Artikel 64 der Ver¬
fassungsurkunde bestimmt nämlich, daß Gesetzvorschläge, welche durch eines der
Häuser oder den König verworfen worden, in derselben Sitzungsperiode nicht
wieder vorgebracht werden dürfen. Die zulässige aber nicht nothwendige Ab-
schließung der Sitzungsperiode hat also folgenden Zweck. Man will einerseits
verhindern, daß durch factiöses Zurückkommen auf einen Gegenstand, über
welchen augenblicklich keine Einigung möglich, der Fortgang der Geschäfte
aufgehoben werde; man will andererseits vermeiden, daß ein abgelehnter Ge¬
setzvorschlag während der ganzen Legislaturperiode ruhen müsse, die Verfassung
legt es in die Vereinbarung der Regierung mit dem Landtag das Verbot der
Wiederaufnahme abgelehnter Gesetzvorschläge durch Vertagung einer formell
als continuirlich behandelten Session bis an das Ende der Legislaturperiode
zu erstrecken. Die Vereinbarung ist nothwendig, weil die Regierung allein
den Landtag nur auf dreißig Tage vertagen kann und weil sie die Vertagung
in einer als continuirlich betrachteten Session ohne Zustimmung des Landtags
nicht wiederholen darf. Dagegen kann die Regierung den Landtag jederzeit
oder doch nach Votirung des Budgets schließen und durch den Schluß und
die Wiedereröffnung einer neuen Sitzungsperiode die Wiederaufnahme abge¬
lehnter Gesetzvorschläge ermöglichen.

Wie verhält sich nun die Erstreckung der vorjährigen Session auf das
laufende und eventuell selbst auf das nächste Jahr zu dem praktischen Zweck
der erwähnten Berfassungsbestimmungen?

Nehmen wir an, die Regierung brächte in der fortgesetzten Session nur
Gesetzvorlagen ein, welche in den früheren Theilen der Session nicht vorge¬
kommen sind, darunter das Budget für 1873, so stände einem solchen Ver¬
fahren verfassungsrechtlich gar nichts im Wege. Wie aber, wenn die Re¬
gierung, was doch der allgemeine Wunsch ist und beinahe eine Forderung des
öffentlichen Wohles, noch in der laufenden Session auf die Reform der Steuern


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[0082] es erheischen einberufen werden soll. Es wird auch die Legislaturperiode auf drei Jahre festgesetzt. Aber es steht kein Wort in der Verfassung, daß die Geschäfte der höchstens dreijährigen Legislaturperiode — denn dieselbe kann durch Auflösung des Hauses der Abgeordneten nach königlichem Ermessen ab¬ gekürzt werden — in mehreren Sitzungsperioden, etwa in drei durch Land¬ tagsschluß getrennten Sessionen, besorgt werden müssen. Es steht verfassungs¬ rechtlich nicht das Mindeste im Wege, die Geschäfte einer Legislaturperiode in einer einzigen, nur durch Vertagung mit Zustimmung des Landtags unter¬ brochenen Sitzungsperiode erledigen zu lassen. Die Unterscheidung von beson¬ deren Sitzungsperioden, welche sich durch den vom König verkündigten Land¬ tagsschluß beendigen, innerhalb der Legislaturperiode hat nur einen einzigen rechtlichen Anhalt und einen einzigen Praktischen Zweck. Artikel 64 der Ver¬ fassungsurkunde bestimmt nämlich, daß Gesetzvorschläge, welche durch eines der Häuser oder den König verworfen worden, in derselben Sitzungsperiode nicht wieder vorgebracht werden dürfen. Die zulässige aber nicht nothwendige Ab- schließung der Sitzungsperiode hat also folgenden Zweck. Man will einerseits verhindern, daß durch factiöses Zurückkommen auf einen Gegenstand, über welchen augenblicklich keine Einigung möglich, der Fortgang der Geschäfte aufgehoben werde; man will andererseits vermeiden, daß ein abgelehnter Ge¬ setzvorschlag während der ganzen Legislaturperiode ruhen müsse, die Verfassung legt es in die Vereinbarung der Regierung mit dem Landtag das Verbot der Wiederaufnahme abgelehnter Gesetzvorschläge durch Vertagung einer formell als continuirlich behandelten Session bis an das Ende der Legislaturperiode zu erstrecken. Die Vereinbarung ist nothwendig, weil die Regierung allein den Landtag nur auf dreißig Tage vertagen kann und weil sie die Vertagung in einer als continuirlich betrachteten Session ohne Zustimmung des Landtags nicht wiederholen darf. Dagegen kann die Regierung den Landtag jederzeit oder doch nach Votirung des Budgets schließen und durch den Schluß und die Wiedereröffnung einer neuen Sitzungsperiode die Wiederaufnahme abge¬ lehnter Gesetzvorschläge ermöglichen. Wie verhält sich nun die Erstreckung der vorjährigen Session auf das laufende und eventuell selbst auf das nächste Jahr zu dem praktischen Zweck der erwähnten Berfassungsbestimmungen? Nehmen wir an, die Regierung brächte in der fortgesetzten Session nur Gesetzvorlagen ein, welche in den früheren Theilen der Session nicht vorge¬ kommen sind, darunter das Budget für 1873, so stände einem solchen Ver¬ fahren verfassungsrechtlich gar nichts im Wege. Wie aber, wenn die Re¬ gierung, was doch der allgemeine Wunsch ist und beinahe eine Forderung des öffentlichen Wohles, noch in der laufenden Session auf die Reform der Steuern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/82>, abgerufen am 02.07.2024.