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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Der Hauptreferent Dr. Wolff beantragte Anlehnung an diesen Reichsbank-
Beschluß des deutschen Handelstages mit ewigen weiteren Cautelen gegen den
Notenschwindel. Er wurde darin von Dr. A. Meyer und von Seyffardt aus
Crefeld unterstützt. Dagegen erhoben sich für freie Notenausgabe nach gesetz¬
lichen Normativbedingungen der Reihe nach Dr. Dorn (Trieft), Dr. Gensel
(Leipzig), Professor Böhmert (Zürich), Bankdirector Schottler (Danzig) und
Dr. Nentzsch (Dresden). Die Vertreter der Reichsbankidee glaubten anfäng¬
lich den Sieg wohl ziemlich sicher zu erringen, allein sie vermochten keine
Majorität zu erzielen. Der Handelstag wurde vom volkswirtschaftlichen
Congreß nicht als Autorität in dieser Frage anerkannt, es wurde vielmehr
hervorgehoben, daß die Interessen der Landwirthe, der Handwerker und Ar¬
beiter und überhaupt die allgemeinen Staats- und Finanz-Interessen gleich
maßgebend sein müßten und bei einer Beherrschung des Credits und Verkehrs
durch eine Centralbank und wegen der Gefahr eines Zwangseurses im höchsten
Grade beeinträchtigt werden könnten. -- Das negative Votum des Volkswirth-
schaftlichen Congresses wird hoffentlich den Erfolg haben, daß man sich in der
Wissenschaft und in der Presse ohne Rücksicht auf Autoritäten mit den wirt"
liehen Gründen und Thatsachen, welche für und gegen eine Reichsbank sprechen,
um so eingehender beschäftigt.

Die Verhandlungen über die Eisenbahn-Beschwerden wurden im Congreß
eigentlich nur angeregt, um die Freiheit des Verkehrs auf den Schienenwegen
und eine freiere Entwicklung des Speditionsgewerbes anzubahnen. Insbe¬
sondere wurde das zunächst für Elsaß-Lothringen eingeführte, demnächst aus
den süddeutschen Eisenbahnverband ausgedehnte System des Wagenraum- und
Colii-Tarifs als ein bedeutender Fortschritt in der Praxis des Eisenbahn¬
verkehrs gerühmt und dessen Ausdehnung auf das gesammte deutsche Reich
vorgeschlagen. Ferner wurde die Anstellung von Versuchen empfohlen, in¬
wiefern Maßregeln, durch welche die Functionen der Herstellung und Er¬
haltung des Bahnkörpers, der Traction und der Spedition in weitem Um¬
fang getrennt werden, aus technischen Gründen durchführbar seien. -- .Der
Congreß trug mit Recht Bedenken, ohne eingehende sachliche Prüfung sich für
bestimmte neue ihm besonders empfohlene Systeme der Eisenbahn-Administra¬
tion auszusprechen und vertagte diese Untersuchungen auf den nächstjährigen
Congreß.

Es verdient noch Erwähnung, daß der diesjährige Congreß in Danzig
für alle Theilnehmer außer den Verhandlungen noch außerordentlich viel ander¬
weitige Belehrung bot, indem die Mitglieder unter Begleitung des Herrn
Oberbürgermeisters v. Winter nicht nur die Sehenswürdigkeiten der Stadt, ins¬
besondere des ehrwürdigen Rathhauses und Franziskanerklosters und anderer
Bauwerke, sondern auch die modernen neuen Danziger Canalisations-Anlagen


Der Hauptreferent Dr. Wolff beantragte Anlehnung an diesen Reichsbank-
Beschluß des deutschen Handelstages mit ewigen weiteren Cautelen gegen den
Notenschwindel. Er wurde darin von Dr. A. Meyer und von Seyffardt aus
Crefeld unterstützt. Dagegen erhoben sich für freie Notenausgabe nach gesetz¬
lichen Normativbedingungen der Reihe nach Dr. Dorn (Trieft), Dr. Gensel
(Leipzig), Professor Böhmert (Zürich), Bankdirector Schottler (Danzig) und
Dr. Nentzsch (Dresden). Die Vertreter der Reichsbankidee glaubten anfäng¬
lich den Sieg wohl ziemlich sicher zu erringen, allein sie vermochten keine
Majorität zu erzielen. Der Handelstag wurde vom volkswirtschaftlichen
Congreß nicht als Autorität in dieser Frage anerkannt, es wurde vielmehr
hervorgehoben, daß die Interessen der Landwirthe, der Handwerker und Ar¬
beiter und überhaupt die allgemeinen Staats- und Finanz-Interessen gleich
maßgebend sein müßten und bei einer Beherrschung des Credits und Verkehrs
durch eine Centralbank und wegen der Gefahr eines Zwangseurses im höchsten
Grade beeinträchtigt werden könnten. — Das negative Votum des Volkswirth-
schaftlichen Congresses wird hoffentlich den Erfolg haben, daß man sich in der
Wissenschaft und in der Presse ohne Rücksicht auf Autoritäten mit den wirt«
liehen Gründen und Thatsachen, welche für und gegen eine Reichsbank sprechen,
um so eingehender beschäftigt.

Die Verhandlungen über die Eisenbahn-Beschwerden wurden im Congreß
eigentlich nur angeregt, um die Freiheit des Verkehrs auf den Schienenwegen
und eine freiere Entwicklung des Speditionsgewerbes anzubahnen. Insbe¬
sondere wurde das zunächst für Elsaß-Lothringen eingeführte, demnächst aus
den süddeutschen Eisenbahnverband ausgedehnte System des Wagenraum- und
Colii-Tarifs als ein bedeutender Fortschritt in der Praxis des Eisenbahn¬
verkehrs gerühmt und dessen Ausdehnung auf das gesammte deutsche Reich
vorgeschlagen. Ferner wurde die Anstellung von Versuchen empfohlen, in¬
wiefern Maßregeln, durch welche die Functionen der Herstellung und Er¬
haltung des Bahnkörpers, der Traction und der Spedition in weitem Um¬
fang getrennt werden, aus technischen Gründen durchführbar seien. — .Der
Congreß trug mit Recht Bedenken, ohne eingehende sachliche Prüfung sich für
bestimmte neue ihm besonders empfohlene Systeme der Eisenbahn-Administra¬
tion auszusprechen und vertagte diese Untersuchungen auf den nächstjährigen
Congreß.

Es verdient noch Erwähnung, daß der diesjährige Congreß in Danzig
für alle Theilnehmer außer den Verhandlungen noch außerordentlich viel ander¬
weitige Belehrung bot, indem die Mitglieder unter Begleitung des Herrn
Oberbürgermeisters v. Winter nicht nur die Sehenswürdigkeiten der Stadt, ins¬
besondere des ehrwürdigen Rathhauses und Franziskanerklosters und anderer
Bauwerke, sondern auch die modernen neuen Danziger Canalisations-Anlagen


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[0080] Der Hauptreferent Dr. Wolff beantragte Anlehnung an diesen Reichsbank- Beschluß des deutschen Handelstages mit ewigen weiteren Cautelen gegen den Notenschwindel. Er wurde darin von Dr. A. Meyer und von Seyffardt aus Crefeld unterstützt. Dagegen erhoben sich für freie Notenausgabe nach gesetz¬ lichen Normativbedingungen der Reihe nach Dr. Dorn (Trieft), Dr. Gensel (Leipzig), Professor Böhmert (Zürich), Bankdirector Schottler (Danzig) und Dr. Nentzsch (Dresden). Die Vertreter der Reichsbankidee glaubten anfäng¬ lich den Sieg wohl ziemlich sicher zu erringen, allein sie vermochten keine Majorität zu erzielen. Der Handelstag wurde vom volkswirtschaftlichen Congreß nicht als Autorität in dieser Frage anerkannt, es wurde vielmehr hervorgehoben, daß die Interessen der Landwirthe, der Handwerker und Ar¬ beiter und überhaupt die allgemeinen Staats- und Finanz-Interessen gleich maßgebend sein müßten und bei einer Beherrschung des Credits und Verkehrs durch eine Centralbank und wegen der Gefahr eines Zwangseurses im höchsten Grade beeinträchtigt werden könnten. — Das negative Votum des Volkswirth- schaftlichen Congresses wird hoffentlich den Erfolg haben, daß man sich in der Wissenschaft und in der Presse ohne Rücksicht auf Autoritäten mit den wirt« liehen Gründen und Thatsachen, welche für und gegen eine Reichsbank sprechen, um so eingehender beschäftigt. Die Verhandlungen über die Eisenbahn-Beschwerden wurden im Congreß eigentlich nur angeregt, um die Freiheit des Verkehrs auf den Schienenwegen und eine freiere Entwicklung des Speditionsgewerbes anzubahnen. Insbe¬ sondere wurde das zunächst für Elsaß-Lothringen eingeführte, demnächst aus den süddeutschen Eisenbahnverband ausgedehnte System des Wagenraum- und Colii-Tarifs als ein bedeutender Fortschritt in der Praxis des Eisenbahn¬ verkehrs gerühmt und dessen Ausdehnung auf das gesammte deutsche Reich vorgeschlagen. Ferner wurde die Anstellung von Versuchen empfohlen, in¬ wiefern Maßregeln, durch welche die Functionen der Herstellung und Er¬ haltung des Bahnkörpers, der Traction und der Spedition in weitem Um¬ fang getrennt werden, aus technischen Gründen durchführbar seien. — .Der Congreß trug mit Recht Bedenken, ohne eingehende sachliche Prüfung sich für bestimmte neue ihm besonders empfohlene Systeme der Eisenbahn-Administra¬ tion auszusprechen und vertagte diese Untersuchungen auf den nächstjährigen Congreß. Es verdient noch Erwähnung, daß der diesjährige Congreß in Danzig für alle Theilnehmer außer den Verhandlungen noch außerordentlich viel ander¬ weitige Belehrung bot, indem die Mitglieder unter Begleitung des Herrn Oberbürgermeisters v. Winter nicht nur die Sehenswürdigkeiten der Stadt, ins¬ besondere des ehrwürdigen Rathhauses und Franziskanerklosters und anderer Bauwerke, sondern auch die modernen neuen Danziger Canalisations-Anlagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/80>, abgerufen am 22.07.2024.