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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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gemacht. Der Hauptreferent Wolff beantragte eine Erklärung: "daß die
Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts verwerflich sei." Der Correferent Op¬
penheim wünschte eine Resolution "daß die Unentgeltlichkeit des öffentlichen
Schulunterrichtes den Grundsätzen der Volkswirthschaft nicht zuwider sei."
Prof. Böhmert wollte den Schwerpunct in die Selbstverwaltung der Ge¬
meinden verlegen und wünscht ein Votum dahingehend: "daß der Staat den
Gemeinden die Erhebung von Schulgeld nicht verbiete oder unmöglich mache.."
Ueber alle diese Anträge siegte der am weitesten gehende des Oberbürgermeisters
v. Winter, welcher allgemein die Unentgeltlichkeit des öffentlichen Volksschul¬
unterrichts forderte. Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Majorität für
diesen Antrag keine sehr starke war und daß sich insbesondere viele der regel¬
mäßigen Besucher des Kongresses nicht damit befreunden wollten. Auf das
Votum selbst wirkten mehr politische und kirchliche als volkswirthschaftliche
Hände ein. Der Hauptredner führte das preußische Landrecht und die preu¬
ßische Verfassung als wichtige bestimmende Gründe für das Votum an und
warnt, sich in der Bekämpfung des Grundgesetzes der Unentgeltlichkeit zu Hrn.
von Muster zu gesellen. Bewegender war das Argument des Hrn. Seyffardt
aus Crefeld, welches aus der Erfahrung rheinpreußischer Städte entnommen
war: daß die ausschließliche Aufbringung der Volksschulkosten aus Gemeinde¬
mitteln die Vertreter der weltlichen Gemeinden erst mit dem rechten lebendigen
Interesse für das Unterrichtswesen erfülle. Einer der wirksamsten Angriffe
auf das Schulgeld war die Scheu vor der Kirche. Man fürchtet, daß die
Ultramontanen die Erziehung der Jugend in ihre Hand bekommen und sie
eventuell auch unentgeltlich übernehmen werden, wenn die Gemeinden es nicht
thun. Die Anhänger des Schulgeldes gaben zu, daß man aus praktisch-poli¬
tischen Gründen sich in Städten mit dichter Arbeiterbevölkerung oder in ganz
armen ländlichen Gemeinden oder da wo man Ultramontane zu bekämpfen
hat, sehr wohl von Fall zu Fall für die Unentgeltlichkeit entscheiden könne,
daß aber die staatsseitige Proelamirung des absoluten Princips der Unent¬
geltlichkeit des Volksschulunterrichtes erstens aus ethischen und Volkswirth-
schaftlichen Gründen, zweitens aus Rücksichten auf das materielle Wohl der
Schule und der Lehrer und drittens im Interesse der Selbstverwaltung der
Gemeinden theoretisch verwerflich sei. --

Während die Erörterungen der Schulgeldfrage wenigstens zu einer be¬
stimmten Meinungsäußerung führten, ging aus den Verhandlungen über die
Banknotenfrage gar kein bestimmter Beschluß hervor. Die brennende
Forderung unserer Tage, welche die Umwandlung der preußischen Bank in
eine Reichsbank mit alleinigem Recht zur Notenausgabe verlangt und sich aus
das Votum des letzten deutschen Handelstages stützt, fand auch in Danzig
entschiedene Vertretung.


gemacht. Der Hauptreferent Wolff beantragte eine Erklärung: „daß die
Unentgeltlichkeit des Schulunterrichts verwerflich sei." Der Correferent Op¬
penheim wünschte eine Resolution „daß die Unentgeltlichkeit des öffentlichen
Schulunterrichtes den Grundsätzen der Volkswirthschaft nicht zuwider sei."
Prof. Böhmert wollte den Schwerpunct in die Selbstverwaltung der Ge¬
meinden verlegen und wünscht ein Votum dahingehend: „daß der Staat den
Gemeinden die Erhebung von Schulgeld nicht verbiete oder unmöglich mache.."
Ueber alle diese Anträge siegte der am weitesten gehende des Oberbürgermeisters
v. Winter, welcher allgemein die Unentgeltlichkeit des öffentlichen Volksschul¬
unterrichts forderte. Es muß jedoch bemerkt werden, daß die Majorität für
diesen Antrag keine sehr starke war und daß sich insbesondere viele der regel¬
mäßigen Besucher des Kongresses nicht damit befreunden wollten. Auf das
Votum selbst wirkten mehr politische und kirchliche als volkswirthschaftliche
Hände ein. Der Hauptredner führte das preußische Landrecht und die preu¬
ßische Verfassung als wichtige bestimmende Gründe für das Votum an und
warnt, sich in der Bekämpfung des Grundgesetzes der Unentgeltlichkeit zu Hrn.
von Muster zu gesellen. Bewegender war das Argument des Hrn. Seyffardt
aus Crefeld, welches aus der Erfahrung rheinpreußischer Städte entnommen
war: daß die ausschließliche Aufbringung der Volksschulkosten aus Gemeinde¬
mitteln die Vertreter der weltlichen Gemeinden erst mit dem rechten lebendigen
Interesse für das Unterrichtswesen erfülle. Einer der wirksamsten Angriffe
auf das Schulgeld war die Scheu vor der Kirche. Man fürchtet, daß die
Ultramontanen die Erziehung der Jugend in ihre Hand bekommen und sie
eventuell auch unentgeltlich übernehmen werden, wenn die Gemeinden es nicht
thun. Die Anhänger des Schulgeldes gaben zu, daß man aus praktisch-poli¬
tischen Gründen sich in Städten mit dichter Arbeiterbevölkerung oder in ganz
armen ländlichen Gemeinden oder da wo man Ultramontane zu bekämpfen
hat, sehr wohl von Fall zu Fall für die Unentgeltlichkeit entscheiden könne,
daß aber die staatsseitige Proelamirung des absoluten Princips der Unent¬
geltlichkeit des Volksschulunterrichtes erstens aus ethischen und Volkswirth-
schaftlichen Gründen, zweitens aus Rücksichten auf das materielle Wohl der
Schule und der Lehrer und drittens im Interesse der Selbstverwaltung der
Gemeinden theoretisch verwerflich sei. —

Während die Erörterungen der Schulgeldfrage wenigstens zu einer be¬
stimmten Meinungsäußerung führten, ging aus den Verhandlungen über die
Banknotenfrage gar kein bestimmter Beschluß hervor. Die brennende
Forderung unserer Tage, welche die Umwandlung der preußischen Bank in
eine Reichsbank mit alleinigem Recht zur Notenausgabe verlangt und sich aus
das Votum des letzten deutschen Handelstages stützt, fand auch in Danzig
entschiedene Vertretung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/79>, abgerufen am 22.07.2024.