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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Wenn es aber auf Zeitersparnis? ankommt, dann hat allemal Bnndisi den
Vorrang. Die bisherige Ueberlandpost von London über Calais und Mar¬
seille nach Alerandria brauchte 164 Stunden; via Brenner und Bnndisi
wurde sie auf 1S0 Stunden und via Mont-Cenis-Tunnel auf 147'/z Stunden
abgekürzt.

Neben dem Brief- und Personenverkehr ist aber wesentlich der Güter¬
verkehr zu berücksichtigen. Es wird keinem Spediteur einfallen, seine Güter
mit der Eisenbahn für theures Geld nach Bnndisi zu senden und sie dort
auf Schiffe umladen zu lassen, wenn er sie gleich in Venedig oder Trieft ver¬
laden kann. Trieft wird für den Osten seine Bedeutung behalten, wenn ihm
auch die türkischen endlich der Vollendung entgegengehenden Bahnen Abbruch
thun werden. Venedig, das so lange in seinen Lagunen geschlummert, das
von seinem gewaltigen Rivalen Trieft überholt wurde, es wird auch wieder
sich aufraffen; seine Lage nahe an den drei Uebergangspunkten der Alpen
Mont-Cenis, Gotthard, Brenner wird ihm nun wieder die Vortheile bringen,
die seit dem Zeitalter der Entdeckungen verloren gingen; es kann wieder die
Königin der Adria werden, wenn seine Canal- und Hafenbauten in den
Stand gesetzt werden, welchen die Gegenwart erheischt.


Venedig, nachtgeborgen,
Für dich giebt's keinen Morgen.
Stirb mit verhülltem Haupte
Entthronte Königin!

So sang einst Alfred Meißner und es schien als ob der Dichter Recht be¬
halten sollte. Wir haben aber jetzt die Symptome eines Wiedererwachens
und Gesundens vor uns. In diesen Tagen ist die größte Dampfergesellschast
der Welt, die "Peninsular and Oriental Company" bei der italienischen Re¬
gierung darum eingekommen, die alte Lagunenstadt zum Ausgangspunkte
ihrer adriatisch-ägyptischen Fahrten machen zu dürfen. Und diese Gesellschaft
ist berühmt wegen ihrer transatlantischen Spürnase, die Dampfer mit dem
?. und 0. im Wimpel, sie sind überall da zuerst, wo ein neuer Weltverkehrs¬
punkt eröffnet wird. An der Säule des Markuslöwen wird wieder das Han¬
delstreiben des Mittelalters rege und Massilia schaut neidisch herüber nach der
Rivalin am adriatischen Meere. So lenkt der Weltverkehr in neue Bahnen;
in ihm ist nicht Ruhe noch Rast und hat er die alten Straßen ausgetreten,
dann sucht er wiederum neue, bringt vergessene Plätze in Aufnahme und stürzt
blühende Städte herab von dem innegehabten Throne.


Richard Andree.


Wenn es aber auf Zeitersparnis? ankommt, dann hat allemal Bnndisi den
Vorrang. Die bisherige Ueberlandpost von London über Calais und Mar¬
seille nach Alerandria brauchte 164 Stunden; via Brenner und Bnndisi
wurde sie auf 1S0 Stunden und via Mont-Cenis-Tunnel auf 147'/z Stunden
abgekürzt.

Neben dem Brief- und Personenverkehr ist aber wesentlich der Güter¬
verkehr zu berücksichtigen. Es wird keinem Spediteur einfallen, seine Güter
mit der Eisenbahn für theures Geld nach Bnndisi zu senden und sie dort
auf Schiffe umladen zu lassen, wenn er sie gleich in Venedig oder Trieft ver¬
laden kann. Trieft wird für den Osten seine Bedeutung behalten, wenn ihm
auch die türkischen endlich der Vollendung entgegengehenden Bahnen Abbruch
thun werden. Venedig, das so lange in seinen Lagunen geschlummert, das
von seinem gewaltigen Rivalen Trieft überholt wurde, es wird auch wieder
sich aufraffen; seine Lage nahe an den drei Uebergangspunkten der Alpen
Mont-Cenis, Gotthard, Brenner wird ihm nun wieder die Vortheile bringen,
die seit dem Zeitalter der Entdeckungen verloren gingen; es kann wieder die
Königin der Adria werden, wenn seine Canal- und Hafenbauten in den
Stand gesetzt werden, welchen die Gegenwart erheischt.


Venedig, nachtgeborgen,
Für dich giebt's keinen Morgen.
Stirb mit verhülltem Haupte
Entthronte Königin!

So sang einst Alfred Meißner und es schien als ob der Dichter Recht be¬
halten sollte. Wir haben aber jetzt die Symptome eines Wiedererwachens
und Gesundens vor uns. In diesen Tagen ist die größte Dampfergesellschast
der Welt, die „Peninsular and Oriental Company" bei der italienischen Re¬
gierung darum eingekommen, die alte Lagunenstadt zum Ausgangspunkte
ihrer adriatisch-ägyptischen Fahrten machen zu dürfen. Und diese Gesellschaft
ist berühmt wegen ihrer transatlantischen Spürnase, die Dampfer mit dem
?. und 0. im Wimpel, sie sind überall da zuerst, wo ein neuer Weltverkehrs¬
punkt eröffnet wird. An der Säule des Markuslöwen wird wieder das Han¬
delstreiben des Mittelalters rege und Massilia schaut neidisch herüber nach der
Rivalin am adriatischen Meere. So lenkt der Weltverkehr in neue Bahnen;
in ihm ist nicht Ruhe noch Rast und hat er die alten Straßen ausgetreten,
dann sucht er wiederum neue, bringt vergessene Plätze in Aufnahme und stürzt
blühende Städte herab von dem innegehabten Throne.


Richard Andree.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/76>, abgerufen am 25.07.2024.