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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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so blühten und handelten sie allerdings -- aber in ihrer halbbarbarischen
Weise.

Marseille hatte keinen Rivalen, Marseille fürchtete keine Mittelmeerstadt.

Durch Marseille fluthete Frankreichs reicher Handel nach dem Süden;
von hier aus wandten sich die zahlreichen Industrieproducte nach Spanien
und Italien; von hier aus wurde Aegypten und die Levante versorgt. Die
zahlreichen Bedürfnisse der Militäreolonie Algerien nahmen ihren Weg über
Marseille. Trat man heraus aus der Prachtstraße Og-lmMörs nach dem
(Zua,i Napoleon, so lag dicht gedrängt Schiff an Schiff im ^melen ?ort vor
den Augen des erstaunten Zuschauers. Ueber zwei Millionen Tonnen Ladung
gingen allein jährlich in 18,000 Schiffen von diesem einen Ort aus und ein.
Er genügte nicht mehr und der neue Hafen entstand, das großartige Werk
der Compagnie Talabot, welche 1864 die Docks 6"z I-z. ^olistw der Benutzung
übergab. Was ist der alte Hafen gegen diese neuen immensen Constructionen,
die auf Grund und Boden des einst weltberühmten Pestlazareths sich erheben!
An Zoll erhob hier Frankreich jährlich -- SO Millionen Franken. Wand
an Wand lagen sie da die Dampfungethüme der Nössagöriss lux^rialss --
jetzt N. maritimes -- und der englischen ?. und 0., der Peninsular und
Oriental Company. Schaut hinaus auf das blaue Meer, da kräuselt Dampf¬
wolke an Dampfwolke, da taucht Segel auf Segel auf, da ziehen Schlepper
die mächtigen Kauffartheischiffe in den Hafen, da kreuzt munter die Felucke
mit dem dreieckigen lateinischen Segel. Lang hingestreckt zieht sich Kai an
Kai, in die See schweifend, die Häfen umfassend, dahinter die großartigen
Waarenhäuser, gleich Dutzenden von mächtigen Casernen und groß genug,
ein Armeecorps zu beherbergen; am Ufer stöhnen und dampfen die Krahne,
durcheinander schwirren die Stimmen der Provencalen, Italiener, Griechen
und Levantiner, oft laut singend, orientalisch gesticulirend. Sicher, wir stehen
hier an einer Pforte des Orients.

Und nun zurück zur Kuh Lamwbiörö, nicht nur der ersten Straße Mar¬
seilles, dessen Stolz sie ist, sondern einer der imposantesten Hauptstraßen aller
Metropolen Europas. Da erhebt sich die Börse, da stehen die prachtvollen
Monstrehotels, da sind von Gold und Fresken strotzende Cafes, glänzen die
herrlichsten Magazine mit luxuriösen Schaufenstern, da wölbt sich der wunder¬
bare Naturdom gigantischer Ulmen. Und wie belebt ist diese einzige Straße!
Hier zieht das amphibische Geschlecht der Blaujacken umher, dort wandelt
calculirend der reiche Geschäftsmann mit gelbem glattrasirten Antlitz; er über¬
schlägt die Summe, die er verdient; es kann ihm nicht fehlen -- muß doch
alles nach Marseille strömen.

Und dieses Marseille, das so blühend, so unternehmend, so großartig
und frischwagend vor uns steht -- es hat einen argen Stoß empfangen.
*


Grenzboten IV. 1872. 9

so blühten und handelten sie allerdings — aber in ihrer halbbarbarischen
Weise.

Marseille hatte keinen Rivalen, Marseille fürchtete keine Mittelmeerstadt.

Durch Marseille fluthete Frankreichs reicher Handel nach dem Süden;
von hier aus wandten sich die zahlreichen Industrieproducte nach Spanien
und Italien; von hier aus wurde Aegypten und die Levante versorgt. Die
zahlreichen Bedürfnisse der Militäreolonie Algerien nahmen ihren Weg über
Marseille. Trat man heraus aus der Prachtstraße Og-lmMörs nach dem
(Zua,i Napoleon, so lag dicht gedrängt Schiff an Schiff im ^melen ?ort vor
den Augen des erstaunten Zuschauers. Ueber zwei Millionen Tonnen Ladung
gingen allein jährlich in 18,000 Schiffen von diesem einen Ort aus und ein.
Er genügte nicht mehr und der neue Hafen entstand, das großartige Werk
der Compagnie Talabot, welche 1864 die Docks 6«z I-z. ^olistw der Benutzung
übergab. Was ist der alte Hafen gegen diese neuen immensen Constructionen,
die auf Grund und Boden des einst weltberühmten Pestlazareths sich erheben!
An Zoll erhob hier Frankreich jährlich — SO Millionen Franken. Wand
an Wand lagen sie da die Dampfungethüme der Nössagöriss lux^rialss —
jetzt N. maritimes — und der englischen ?. und 0., der Peninsular und
Oriental Company. Schaut hinaus auf das blaue Meer, da kräuselt Dampf¬
wolke an Dampfwolke, da taucht Segel auf Segel auf, da ziehen Schlepper
die mächtigen Kauffartheischiffe in den Hafen, da kreuzt munter die Felucke
mit dem dreieckigen lateinischen Segel. Lang hingestreckt zieht sich Kai an
Kai, in die See schweifend, die Häfen umfassend, dahinter die großartigen
Waarenhäuser, gleich Dutzenden von mächtigen Casernen und groß genug,
ein Armeecorps zu beherbergen; am Ufer stöhnen und dampfen die Krahne,
durcheinander schwirren die Stimmen der Provencalen, Italiener, Griechen
und Levantiner, oft laut singend, orientalisch gesticulirend. Sicher, wir stehen
hier an einer Pforte des Orients.

Und nun zurück zur Kuh Lamwbiörö, nicht nur der ersten Straße Mar¬
seilles, dessen Stolz sie ist, sondern einer der imposantesten Hauptstraßen aller
Metropolen Europas. Da erhebt sich die Börse, da stehen die prachtvollen
Monstrehotels, da sind von Gold und Fresken strotzende Cafes, glänzen die
herrlichsten Magazine mit luxuriösen Schaufenstern, da wölbt sich der wunder¬
bare Naturdom gigantischer Ulmen. Und wie belebt ist diese einzige Straße!
Hier zieht das amphibische Geschlecht der Blaujacken umher, dort wandelt
calculirend der reiche Geschäftsmann mit gelbem glattrasirten Antlitz; er über¬
schlägt die Summe, die er verdient; es kann ihm nicht fehlen — muß doch
alles nach Marseille strömen.

Und dieses Marseille, das so blühend, so unternehmend, so großartig
und frischwagend vor uns steht — es hat einen argen Stoß empfangen.
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[0073] so blühten und handelten sie allerdings — aber in ihrer halbbarbarischen Weise. Marseille hatte keinen Rivalen, Marseille fürchtete keine Mittelmeerstadt. Durch Marseille fluthete Frankreichs reicher Handel nach dem Süden; von hier aus wandten sich die zahlreichen Industrieproducte nach Spanien und Italien; von hier aus wurde Aegypten und die Levante versorgt. Die zahlreichen Bedürfnisse der Militäreolonie Algerien nahmen ihren Weg über Marseille. Trat man heraus aus der Prachtstraße Og-lmMörs nach dem (Zua,i Napoleon, so lag dicht gedrängt Schiff an Schiff im ^melen ?ort vor den Augen des erstaunten Zuschauers. Ueber zwei Millionen Tonnen Ladung gingen allein jährlich in 18,000 Schiffen von diesem einen Ort aus und ein. Er genügte nicht mehr und der neue Hafen entstand, das großartige Werk der Compagnie Talabot, welche 1864 die Docks 6«z I-z. ^olistw der Benutzung übergab. Was ist der alte Hafen gegen diese neuen immensen Constructionen, die auf Grund und Boden des einst weltberühmten Pestlazareths sich erheben! An Zoll erhob hier Frankreich jährlich — SO Millionen Franken. Wand an Wand lagen sie da die Dampfungethüme der Nössagöriss lux^rialss — jetzt N. maritimes — und der englischen ?. und 0., der Peninsular und Oriental Company. Schaut hinaus auf das blaue Meer, da kräuselt Dampf¬ wolke an Dampfwolke, da taucht Segel auf Segel auf, da ziehen Schlepper die mächtigen Kauffartheischiffe in den Hafen, da kreuzt munter die Felucke mit dem dreieckigen lateinischen Segel. Lang hingestreckt zieht sich Kai an Kai, in die See schweifend, die Häfen umfassend, dahinter die großartigen Waarenhäuser, gleich Dutzenden von mächtigen Casernen und groß genug, ein Armeecorps zu beherbergen; am Ufer stöhnen und dampfen die Krahne, durcheinander schwirren die Stimmen der Provencalen, Italiener, Griechen und Levantiner, oft laut singend, orientalisch gesticulirend. Sicher, wir stehen hier an einer Pforte des Orients. Und nun zurück zur Kuh Lamwbiörö, nicht nur der ersten Straße Mar¬ seilles, dessen Stolz sie ist, sondern einer der imposantesten Hauptstraßen aller Metropolen Europas. Da erhebt sich die Börse, da stehen die prachtvollen Monstrehotels, da sind von Gold und Fresken strotzende Cafes, glänzen die herrlichsten Magazine mit luxuriösen Schaufenstern, da wölbt sich der wunder¬ bare Naturdom gigantischer Ulmen. Und wie belebt ist diese einzige Straße! Hier zieht das amphibische Geschlecht der Blaujacken umher, dort wandelt calculirend der reiche Geschäftsmann mit gelbem glattrasirten Antlitz; er über¬ schlägt die Summe, die er verdient; es kann ihm nicht fehlen — muß doch alles nach Marseille strömen. Und dieses Marseille, das so blühend, so unternehmend, so großartig und frischwagend vor uns steht — es hat einen argen Stoß empfangen. * Grenzboten IV. 1872. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/73>, abgerufen am 30.06.2024.