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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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form mit den Principien der Demokratie: Alles hängt ab von der Art, wie
man sie anwendet. Es ist unbestreitbar, daß im demokratischen Staat jeder
Bürger verpflichtet ist, das Vaterland zu vertheidigen; aber man muß durch¬
aus einen Unterschied machen zwischen der Pflicht, Haus und Herd zu ver¬
theidigen und der Nöthigung, mehre Jahre in einem Regiment zu dienen. . .
Das preußische System ist ausschweifend. Es erstreckt sich auf eine zu große
Zahl von Bürgern und kann niemals auf Frankreich angewendet werden, wo
man zwischen Militär und Civil einen Unterschied macht. Man hat versucht,
uns eine Reserve zu bilden, indem man die Nationalgarde errichtete; aber die
Nationalgarde wird niemals eine ernsthafte Einrichtung (Institution Lvrieusv)
sein. Sie setzt sich aus Menschen zusammen, die keine Waffengewohnheit, aber
Neigung zur Seßhaftigkeit haben: sie auszuererciren ist ebenso eine Gefahr
für die Regierung, als eine Plage für die Bürger. . . Es handelt sich
darum, bei nicht zu starkem Friedensstande im Augenblicke der
Gefahr eine kriegsgeübte Reserve zu haben. Das preußische
System entspricht dieser Anforderung; aber, wie schon gesagt, man
kann es in Fran kreich nicht einführen. -- Die Frage ist ernst und ver¬
langt eine prompte Antwort!"

Der Kaiser fand keine solche. Er begnügte sich durch Decret vom 10.
Januar 1861 zu verfügen, daß von den 100,000 Mann des jährlichen
Contingents ein Theil ("xrLmiörv xortion") in die stehende Armee eintreten,
der gesammte Rest aber ("ciöuxiömo xmtion") als Krümper in besonderen
Depots exercirt werden sollte, und zwar im ersten Jahre 3, im zweiten 2 und
im dritten Jahre 1 Monat lang. Er hoffte, bei cousequenter Durchführung
dieser Maßregel in einigen Jahren eine Reserve von 200,000 leidlich ausge¬
bildeten und gut ausgerüsteten Soldaten zu erhalten, die immerhin besser seien,
als die bisherigen Beurlaubten.*)

Sehr gerne hätte der Kaiser die Divisionirung der Regimenter und die
Aufstellung von Armeecorps schon im Frieden durchgeführt.**) Im Frieden
bestanden nämlich, außer dem Gardecorps, den Armeen von Paris und Lyon
und der Cavallerie-Division von Luneville, gar keine permanenten Brigaden,
Divisionen und Armeecorps in unserem Sinne, sondern das ganze europäische
Frankreich war in 6 Armeecorps-Bezirke unter Marschällen und diese wieder in
22 Militär-Divisionen unter Divisions-Generalen getheilt, welche endlich in 90
Sub-Divisionen unter Brigade-Generalen zerfielen, die den 89 Departements
entsprachen, nur das Departement Corfica war in 2 Subdivisionen getheilt.
Jeder dieser Generale führte die obere Aufsicht über die häufig wechselnden, an
Zahl sehr verschiedenen Truppen, welche gerade in seinem Bezirke standen, ohne




-) ovato I" LliniivIIo.
") Edda.

form mit den Principien der Demokratie: Alles hängt ab von der Art, wie
man sie anwendet. Es ist unbestreitbar, daß im demokratischen Staat jeder
Bürger verpflichtet ist, das Vaterland zu vertheidigen; aber man muß durch¬
aus einen Unterschied machen zwischen der Pflicht, Haus und Herd zu ver¬
theidigen und der Nöthigung, mehre Jahre in einem Regiment zu dienen. . .
Das preußische System ist ausschweifend. Es erstreckt sich auf eine zu große
Zahl von Bürgern und kann niemals auf Frankreich angewendet werden, wo
man zwischen Militär und Civil einen Unterschied macht. Man hat versucht,
uns eine Reserve zu bilden, indem man die Nationalgarde errichtete; aber die
Nationalgarde wird niemals eine ernsthafte Einrichtung (Institution Lvrieusv)
sein. Sie setzt sich aus Menschen zusammen, die keine Waffengewohnheit, aber
Neigung zur Seßhaftigkeit haben: sie auszuererciren ist ebenso eine Gefahr
für die Regierung, als eine Plage für die Bürger. . . Es handelt sich
darum, bei nicht zu starkem Friedensstande im Augenblicke der
Gefahr eine kriegsgeübte Reserve zu haben. Das preußische
System entspricht dieser Anforderung; aber, wie schon gesagt, man
kann es in Fran kreich nicht einführen. — Die Frage ist ernst und ver¬
langt eine prompte Antwort!"

Der Kaiser fand keine solche. Er begnügte sich durch Decret vom 10.
Januar 1861 zu verfügen, daß von den 100,000 Mann des jährlichen
Contingents ein Theil („xrLmiörv xortion") in die stehende Armee eintreten,
der gesammte Rest aber („ciöuxiömo xmtion") als Krümper in besonderen
Depots exercirt werden sollte, und zwar im ersten Jahre 3, im zweiten 2 und
im dritten Jahre 1 Monat lang. Er hoffte, bei cousequenter Durchführung
dieser Maßregel in einigen Jahren eine Reserve von 200,000 leidlich ausge¬
bildeten und gut ausgerüsteten Soldaten zu erhalten, die immerhin besser seien,
als die bisherigen Beurlaubten.*)

Sehr gerne hätte der Kaiser die Divisionirung der Regimenter und die
Aufstellung von Armeecorps schon im Frieden durchgeführt.**) Im Frieden
bestanden nämlich, außer dem Gardecorps, den Armeen von Paris und Lyon
und der Cavallerie-Division von Luneville, gar keine permanenten Brigaden,
Divisionen und Armeecorps in unserem Sinne, sondern das ganze europäische
Frankreich war in 6 Armeecorps-Bezirke unter Marschällen und diese wieder in
22 Militär-Divisionen unter Divisions-Generalen getheilt, welche endlich in 90
Sub-Divisionen unter Brigade-Generalen zerfielen, die den 89 Departements
entsprachen, nur das Departement Corfica war in 2 Subdivisionen getheilt.
Jeder dieser Generale führte die obere Aufsicht über die häufig wechselnden, an
Zahl sehr verschiedenen Truppen, welche gerade in seinem Bezirke standen, ohne




-) ovato I» LliniivIIo.
") Edda.
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[0071] form mit den Principien der Demokratie: Alles hängt ab von der Art, wie man sie anwendet. Es ist unbestreitbar, daß im demokratischen Staat jeder Bürger verpflichtet ist, das Vaterland zu vertheidigen; aber man muß durch¬ aus einen Unterschied machen zwischen der Pflicht, Haus und Herd zu ver¬ theidigen und der Nöthigung, mehre Jahre in einem Regiment zu dienen. . . Das preußische System ist ausschweifend. Es erstreckt sich auf eine zu große Zahl von Bürgern und kann niemals auf Frankreich angewendet werden, wo man zwischen Militär und Civil einen Unterschied macht. Man hat versucht, uns eine Reserve zu bilden, indem man die Nationalgarde errichtete; aber die Nationalgarde wird niemals eine ernsthafte Einrichtung (Institution Lvrieusv) sein. Sie setzt sich aus Menschen zusammen, die keine Waffengewohnheit, aber Neigung zur Seßhaftigkeit haben: sie auszuererciren ist ebenso eine Gefahr für die Regierung, als eine Plage für die Bürger. . . Es handelt sich darum, bei nicht zu starkem Friedensstande im Augenblicke der Gefahr eine kriegsgeübte Reserve zu haben. Das preußische System entspricht dieser Anforderung; aber, wie schon gesagt, man kann es in Fran kreich nicht einführen. — Die Frage ist ernst und ver¬ langt eine prompte Antwort!" Der Kaiser fand keine solche. Er begnügte sich durch Decret vom 10. Januar 1861 zu verfügen, daß von den 100,000 Mann des jährlichen Contingents ein Theil („xrLmiörv xortion") in die stehende Armee eintreten, der gesammte Rest aber („ciöuxiömo xmtion") als Krümper in besonderen Depots exercirt werden sollte, und zwar im ersten Jahre 3, im zweiten 2 und im dritten Jahre 1 Monat lang. Er hoffte, bei cousequenter Durchführung dieser Maßregel in einigen Jahren eine Reserve von 200,000 leidlich ausge¬ bildeten und gut ausgerüsteten Soldaten zu erhalten, die immerhin besser seien, als die bisherigen Beurlaubten.*) Sehr gerne hätte der Kaiser die Divisionirung der Regimenter und die Aufstellung von Armeecorps schon im Frieden durchgeführt.**) Im Frieden bestanden nämlich, außer dem Gardecorps, den Armeen von Paris und Lyon und der Cavallerie-Division von Luneville, gar keine permanenten Brigaden, Divisionen und Armeecorps in unserem Sinne, sondern das ganze europäische Frankreich war in 6 Armeecorps-Bezirke unter Marschällen und diese wieder in 22 Militär-Divisionen unter Divisions-Generalen getheilt, welche endlich in 90 Sub-Divisionen unter Brigade-Generalen zerfielen, die den 89 Departements entsprachen, nur das Departement Corfica war in 2 Subdivisionen getheilt. Jeder dieser Generale führte die obere Aufsicht über die häufig wechselnden, an Zahl sehr verschiedenen Truppen, welche gerade in seinem Bezirke standen, ohne -) ovato I» LliniivIIo. ") Edda.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/71>, abgerufen am 30.06.2024.