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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Jon preußischen Landtag.

Am 9. December fand im Herrenhaus die Schlußberathung und Schlu߬
abstimmung über die Kreisordnung statt. Ihre Leser wissen, daß das Gesetz
in namentlicher Abstimmung mit 116 gegen 90 Stimmen angenommen worden.
Die Majorität setzte sich zusammen aus der alten Minorität, aus einer Anzahl
liberaler Herrenhausmitglieder, die in der vorigen Session fehlten, aus den
vierundzwanzig neu ernannten Herren und aus nur drei Mitgliedern, die der
ehemaligen das Gesetz verneinenden Majorität angehört haben. Aus der
Generaldiscussion, welche der Schlußabstimmung nochmals vorausging,
ist nur eine Rede des Herrn Kohleis, Bürgermeisters der Stadt Posen,
hervorzuheben. Bei den früheren Verhandlungen über das Gesetz so¬
wohl im Abgeordneten- als im Herrenhaus, hatte eine Bestimmung des Ge¬
setzes, auf die ich noch keine Veranlassung, hatte einzugehen, mehr als einen
Zwischenfall hervorgerufen. Die Bestimmung nämlich, daß die Kreisordnung
auf die Provinz Posen vorläufig noch keine Anwendung finden soll- Polnische
und ultramontane Abgeordnete haben sich diesen Punkt nicht entgehen lassen,
ohne etwas damit auszurichten. Denn die Majorität des Landtages begreift
sehr wohl, daß man einer dem preußischen Staat principiell feindlichen oder
doch von feindlichen Einflüssen geleiteten Bevölkerung nicht Rechte und Pflichten
in die Hand geben kann, wie es die neue Kreisverfassung mit der außerhalb
des behördlichen Organismus stehenden, also von dem directen Einfluß der
Staatsregierung unabhängigen Bevölkerung thut. Solche Maßregeln sind
nur möglich, wo Volk und Regierung in demselben Boden des Staatsgefühles
wurzeln. Diesmal sprach nun ein liberales und deutschgefinntes Mitglied
über die Ausnahmestellung der Provinz Posen.*) Herr Kohleis leugnete die
einstweilige Nothwendigkeit der Ausschließung seiner Provinz von den Wohl¬
thaten der neuen Kreisverfassung nicht. Aber er suchte die Ursachen zu er¬
gründen , und die Mittel, dem Uebel abzuhelfen. Er führte aus,
daß die Zähigkeit des polnischen Elementes in Posen wesentlich von
der russischen Grenzsperre herrührt. Bei einer freisinnigen Handelspolitik von
Seiten Rußlands müßte die Provinz Posen die Durchgangs- und Vermittelungs¬
region für den großen Waarenverkehr zwischen dem europäischen Osten und
Westen sein, und damit der lebhafteste Anziehungspunkt deutscher Colonisation.
Durch die russische Handelssperre wird dieser Proceß gestaut. Wenn eine
Aenderung dieses Systems, das vor Allem für Rußland verderblich ist, nicht
in der Hand der deutschen Politik liegt, so schlug Herr Kohleis doch eine An¬
zahl von Mitteln vor, das Uebel zu mildern, welche die preußische Regierung



*) Daß Herr Kohleis mit seiner Rede übrigens vielfach tccktlose Kritik an den Zuständen
D. Red. befreundeter Nachbarstaaten übte, beweist die Haltung der polnischen Blätter.
Jon preußischen Landtag.

Am 9. December fand im Herrenhaus die Schlußberathung und Schlu߬
abstimmung über die Kreisordnung statt. Ihre Leser wissen, daß das Gesetz
in namentlicher Abstimmung mit 116 gegen 90 Stimmen angenommen worden.
Die Majorität setzte sich zusammen aus der alten Minorität, aus einer Anzahl
liberaler Herrenhausmitglieder, die in der vorigen Session fehlten, aus den
vierundzwanzig neu ernannten Herren und aus nur drei Mitgliedern, die der
ehemaligen das Gesetz verneinenden Majorität angehört haben. Aus der
Generaldiscussion, welche der Schlußabstimmung nochmals vorausging,
ist nur eine Rede des Herrn Kohleis, Bürgermeisters der Stadt Posen,
hervorzuheben. Bei den früheren Verhandlungen über das Gesetz so¬
wohl im Abgeordneten- als im Herrenhaus, hatte eine Bestimmung des Ge¬
setzes, auf die ich noch keine Veranlassung, hatte einzugehen, mehr als einen
Zwischenfall hervorgerufen. Die Bestimmung nämlich, daß die Kreisordnung
auf die Provinz Posen vorläufig noch keine Anwendung finden soll- Polnische
und ultramontane Abgeordnete haben sich diesen Punkt nicht entgehen lassen,
ohne etwas damit auszurichten. Denn die Majorität des Landtages begreift
sehr wohl, daß man einer dem preußischen Staat principiell feindlichen oder
doch von feindlichen Einflüssen geleiteten Bevölkerung nicht Rechte und Pflichten
in die Hand geben kann, wie es die neue Kreisverfassung mit der außerhalb
des behördlichen Organismus stehenden, also von dem directen Einfluß der
Staatsregierung unabhängigen Bevölkerung thut. Solche Maßregeln sind
nur möglich, wo Volk und Regierung in demselben Boden des Staatsgefühles
wurzeln. Diesmal sprach nun ein liberales und deutschgefinntes Mitglied
über die Ausnahmestellung der Provinz Posen.*) Herr Kohleis leugnete die
einstweilige Nothwendigkeit der Ausschließung seiner Provinz von den Wohl¬
thaten der neuen Kreisverfassung nicht. Aber er suchte die Ursachen zu er¬
gründen , und die Mittel, dem Uebel abzuhelfen. Er führte aus,
daß die Zähigkeit des polnischen Elementes in Posen wesentlich von
der russischen Grenzsperre herrührt. Bei einer freisinnigen Handelspolitik von
Seiten Rußlands müßte die Provinz Posen die Durchgangs- und Vermittelungs¬
region für den großen Waarenverkehr zwischen dem europäischen Osten und
Westen sein, und damit der lebhafteste Anziehungspunkt deutscher Colonisation.
Durch die russische Handelssperre wird dieser Proceß gestaut. Wenn eine
Aenderung dieses Systems, das vor Allem für Rußland verderblich ist, nicht
in der Hand der deutschen Politik liegt, so schlug Herr Kohleis doch eine An¬
zahl von Mitteln vor, das Uebel zu mildern, welche die preußische Regierung



*) Daß Herr Kohleis mit seiner Rede übrigens vielfach tccktlose Kritik an den Zuständen
D. Red. befreundeter Nachbarstaaten übte, beweist die Haltung der polnischen Blätter.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/518>, abgerufen am 22.07.2024.