Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Weit interessanter ist der zweite Brief.

Man weiß, daß in Deutschland die sogen. "Volkspartei" sich 1867 und
schon früher, auf die Seite der legitimistischen Reaction stellte. Schon im
Jahre 1865 glorificirte die rothe "Neue Frankfurter Zeitung" (ihr Eigenthümer
ist der Socialist und Börsenspekulant Leopold Sonnemann) den Kurfürsten von
Hessen als den "Engel des Lichts"; und von dem Kronprinzen Ernst August
von Hannover, von welchem der Verfasser von "Um Scepter und Krone" ver¬
sichert, er habe sich während der Schlacht von Langensalza einen Pfannkuchen
gebacken, versicherte die Frankfurter Zeitung, "er sei damals in einer Nacht
vom Knaben zum Manne gereift." Julius Frese ging zu Beust; der Kur¬
hesse und "Mußpreuße" Trabert versicherte, Kurfürst Friedrich Wilhelm sei
die beste Republik; und der uralte bayerische "Miliz-Greis" Kolb schickte von
München, wo er die Diäten eines "Auswärtigen" bezog, die beweglichsten
Klagelieder in ein welfisches Blatt nach Wien.

Der Brief des Herrn Kerrl zeigt uns nun deutlich, wie dieser welfische
Legitimist von seinen Bundesgenossen, den reichsfeindlichen Föderativ-Repub-
likanern, denkt. Er hält sie für "sonderbare Schwärmer", welche man so
bald wie möglich über Bord werfen muß. Er schreibt an die Hannover'sche
Landeszeitung, sie solle sich nicht wieder beigehen lassen, die "föderativem"
Reden des Dr. Schnell zu publiciren, welcher sich zu viel um Deutschland,
zu wenig um Hannover kümmere/könne sie aber mit solchen "Elementen,
welche die reinen Partei-Tendenzen der Welsen compromittirten", nicht ganz
brechen, so möge sie wenigstens "derartige Reden, wenn sie solche nicht ganz
zurückweise, der Art corrigiren und zustutzen, daß dieselben dem Ideen-Gange
und der Gesinnung der (welfisch-legitimistisch gesinnten) Leser entsprechen."
Also ein Bischen Censur, und wenn es Noth thut -- der Zweck heiligt ja
die Mittel -- auch ein wenig Entstellung. Charakteristisch sind dabei folgende
Auslassungen:

"Obwohl ich seit der Gründung des Wahlvcreins der festen Ueberzeugung war,
daß es sich früher oder später herausstellen werde, wie unsere rein legitimistisch-hanno-
versche Partei von den wenigen Herren Demokraten als Grundstein für ihre erträumte
deutsche Zukuufts-Aera benutzt werden solle, so befürchtete ich aber nicht, daß dieselben
so schnell mit ihren eigensten Tendenzen herauskehren würden. Diese wenigen Köpfe
dürfen sich nicht einbilden, daß sie tausende gesinnungstüchtige hannoversche Männer
vermittelst vorläufigen scheinbaren Eingehens ihrerseits auf die von uns angestrebte
Restauration unseres Königlichen Hauses später derart dummschwatzcn und irreleiten
können, daß dieselben sich für Realisirung ihrer heißspornigen fictiven Ideen verwenden
lassen."

Den "föderativem und fictiven Ideen dieser "Demokraten" stellt Kerrl mit großem
Nachdruck folgendes antideutsches, particnlaristisches Weisen-Programm entgegen: "Wir
wollen mit den außerhalb Hannovers lebenden Deutschen als iliren Parteifreunde nichts


Weit interessanter ist der zweite Brief.

Man weiß, daß in Deutschland die sogen. „Volkspartei" sich 1867 und
schon früher, auf die Seite der legitimistischen Reaction stellte. Schon im
Jahre 1865 glorificirte die rothe „Neue Frankfurter Zeitung" (ihr Eigenthümer
ist der Socialist und Börsenspekulant Leopold Sonnemann) den Kurfürsten von
Hessen als den „Engel des Lichts"; und von dem Kronprinzen Ernst August
von Hannover, von welchem der Verfasser von „Um Scepter und Krone" ver¬
sichert, er habe sich während der Schlacht von Langensalza einen Pfannkuchen
gebacken, versicherte die Frankfurter Zeitung, „er sei damals in einer Nacht
vom Knaben zum Manne gereift." Julius Frese ging zu Beust; der Kur¬
hesse und „Mußpreuße" Trabert versicherte, Kurfürst Friedrich Wilhelm sei
die beste Republik; und der uralte bayerische „Miliz-Greis" Kolb schickte von
München, wo er die Diäten eines „Auswärtigen" bezog, die beweglichsten
Klagelieder in ein welfisches Blatt nach Wien.

Der Brief des Herrn Kerrl zeigt uns nun deutlich, wie dieser welfische
Legitimist von seinen Bundesgenossen, den reichsfeindlichen Föderativ-Repub-
likanern, denkt. Er hält sie für „sonderbare Schwärmer", welche man so
bald wie möglich über Bord werfen muß. Er schreibt an die Hannover'sche
Landeszeitung, sie solle sich nicht wieder beigehen lassen, die „föderativem"
Reden des Dr. Schnell zu publiciren, welcher sich zu viel um Deutschland,
zu wenig um Hannover kümmere/könne sie aber mit solchen „Elementen,
welche die reinen Partei-Tendenzen der Welsen compromittirten", nicht ganz
brechen, so möge sie wenigstens „derartige Reden, wenn sie solche nicht ganz
zurückweise, der Art corrigiren und zustutzen, daß dieselben dem Ideen-Gange
und der Gesinnung der (welfisch-legitimistisch gesinnten) Leser entsprechen."
Also ein Bischen Censur, und wenn es Noth thut — der Zweck heiligt ja
die Mittel — auch ein wenig Entstellung. Charakteristisch sind dabei folgende
Auslassungen:

„Obwohl ich seit der Gründung des Wahlvcreins der festen Ueberzeugung war,
daß es sich früher oder später herausstellen werde, wie unsere rein legitimistisch-hanno-
versche Partei von den wenigen Herren Demokraten als Grundstein für ihre erträumte
deutsche Zukuufts-Aera benutzt werden solle, so befürchtete ich aber nicht, daß dieselben
so schnell mit ihren eigensten Tendenzen herauskehren würden. Diese wenigen Köpfe
dürfen sich nicht einbilden, daß sie tausende gesinnungstüchtige hannoversche Männer
vermittelst vorläufigen scheinbaren Eingehens ihrerseits auf die von uns angestrebte
Restauration unseres Königlichen Hauses später derart dummschwatzcn und irreleiten
können, daß dieselben sich für Realisirung ihrer heißspornigen fictiven Ideen verwenden
lassen."

Den „föderativem und fictiven Ideen dieser „Demokraten" stellt Kerrl mit großem
Nachdruck folgendes antideutsches, particnlaristisches Weisen-Programm entgegen: „Wir
wollen mit den außerhalb Hannovers lebenden Deutschen als iliren Parteifreunde nichts


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128966"/>
          <p xml:id="ID_1670"> Weit interessanter ist der zweite Brief.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1671"> Man weiß, daß in Deutschland die sogen. &#x201E;Volkspartei" sich 1867 und<lb/>
schon früher, auf die Seite der legitimistischen Reaction stellte. Schon im<lb/>
Jahre 1865 glorificirte die rothe &#x201E;Neue Frankfurter Zeitung" (ihr Eigenthümer<lb/>
ist der Socialist und Börsenspekulant Leopold Sonnemann) den Kurfürsten von<lb/>
Hessen als den &#x201E;Engel des Lichts"; und von dem Kronprinzen Ernst August<lb/>
von Hannover, von welchem der Verfasser von &#x201E;Um Scepter und Krone" ver¬<lb/>
sichert, er habe sich während der Schlacht von Langensalza einen Pfannkuchen<lb/>
gebacken, versicherte die Frankfurter Zeitung, &#x201E;er sei damals in einer Nacht<lb/>
vom Knaben zum Manne gereift." Julius Frese ging zu Beust; der Kur¬<lb/>
hesse und &#x201E;Mußpreuße" Trabert versicherte, Kurfürst Friedrich Wilhelm sei<lb/>
die beste Republik; und der uralte bayerische &#x201E;Miliz-Greis" Kolb schickte von<lb/>
München, wo er die Diäten eines &#x201E;Auswärtigen" bezog, die beweglichsten<lb/>
Klagelieder in ein welfisches Blatt nach Wien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1672"> Der Brief des Herrn Kerrl zeigt uns nun deutlich, wie dieser welfische<lb/>
Legitimist von seinen Bundesgenossen, den reichsfeindlichen Föderativ-Repub-<lb/>
likanern, denkt. Er hält sie für &#x201E;sonderbare Schwärmer", welche man so<lb/>
bald wie möglich über Bord werfen muß. Er schreibt an die Hannover'sche<lb/>
Landeszeitung, sie solle sich nicht wieder beigehen lassen, die &#x201E;föderativem"<lb/>
Reden des Dr. Schnell zu publiciren, welcher sich zu viel um Deutschland,<lb/>
zu wenig um Hannover kümmere/könne sie aber mit solchen &#x201E;Elementen,<lb/>
welche die reinen Partei-Tendenzen der Welsen compromittirten", nicht ganz<lb/>
brechen, so möge sie wenigstens &#x201E;derartige Reden, wenn sie solche nicht ganz<lb/>
zurückweise, der Art corrigiren und zustutzen, daß dieselben dem Ideen-Gange<lb/>
und der Gesinnung der (welfisch-legitimistisch gesinnten) Leser entsprechen."<lb/>
Also ein Bischen Censur, und wenn es Noth thut &#x2014; der Zweck heiligt ja<lb/>
die Mittel &#x2014; auch ein wenig Entstellung. Charakteristisch sind dabei folgende<lb/>
Auslassungen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1673"> &#x201E;Obwohl ich seit der Gründung des Wahlvcreins der festen Ueberzeugung war,<lb/>
daß es sich früher oder später herausstellen werde, wie unsere rein legitimistisch-hanno-<lb/>
versche Partei von den wenigen Herren Demokraten als Grundstein für ihre erträumte<lb/>
deutsche Zukuufts-Aera benutzt werden solle, so befürchtete ich aber nicht, daß dieselben<lb/>
so schnell mit ihren eigensten Tendenzen herauskehren würden. Diese wenigen Köpfe<lb/>
dürfen sich nicht einbilden, daß sie tausende gesinnungstüchtige hannoversche Männer<lb/>
vermittelst vorläufigen scheinbaren Eingehens ihrerseits auf die von uns angestrebte<lb/>
Restauration unseres Königlichen Hauses später derart dummschwatzcn und irreleiten<lb/>
können, daß dieselben sich für Realisirung ihrer heißspornigen fictiven Ideen verwenden<lb/>
lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1674" next="#ID_1675"> Den &#x201E;föderativem und fictiven Ideen dieser &#x201E;Demokraten" stellt Kerrl mit großem<lb/>
Nachdruck folgendes antideutsches, particnlaristisches Weisen-Programm entgegen: &#x201E;Wir<lb/>
wollen mit den außerhalb Hannovers lebenden Deutschen als iliren Parteifreunde nichts</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] Weit interessanter ist der zweite Brief. Man weiß, daß in Deutschland die sogen. „Volkspartei" sich 1867 und schon früher, auf die Seite der legitimistischen Reaction stellte. Schon im Jahre 1865 glorificirte die rothe „Neue Frankfurter Zeitung" (ihr Eigenthümer ist der Socialist und Börsenspekulant Leopold Sonnemann) den Kurfürsten von Hessen als den „Engel des Lichts"; und von dem Kronprinzen Ernst August von Hannover, von welchem der Verfasser von „Um Scepter und Krone" ver¬ sichert, er habe sich während der Schlacht von Langensalza einen Pfannkuchen gebacken, versicherte die Frankfurter Zeitung, „er sei damals in einer Nacht vom Knaben zum Manne gereift." Julius Frese ging zu Beust; der Kur¬ hesse und „Mußpreuße" Trabert versicherte, Kurfürst Friedrich Wilhelm sei die beste Republik; und der uralte bayerische „Miliz-Greis" Kolb schickte von München, wo er die Diäten eines „Auswärtigen" bezog, die beweglichsten Klagelieder in ein welfisches Blatt nach Wien. Der Brief des Herrn Kerrl zeigt uns nun deutlich, wie dieser welfische Legitimist von seinen Bundesgenossen, den reichsfeindlichen Föderativ-Repub- likanern, denkt. Er hält sie für „sonderbare Schwärmer", welche man so bald wie möglich über Bord werfen muß. Er schreibt an die Hannover'sche Landeszeitung, sie solle sich nicht wieder beigehen lassen, die „föderativem" Reden des Dr. Schnell zu publiciren, welcher sich zu viel um Deutschland, zu wenig um Hannover kümmere/könne sie aber mit solchen „Elementen, welche die reinen Partei-Tendenzen der Welsen compromittirten", nicht ganz brechen, so möge sie wenigstens „derartige Reden, wenn sie solche nicht ganz zurückweise, der Art corrigiren und zustutzen, daß dieselben dem Ideen-Gange und der Gesinnung der (welfisch-legitimistisch gesinnten) Leser entsprechen." Also ein Bischen Censur, und wenn es Noth thut — der Zweck heiligt ja die Mittel — auch ein wenig Entstellung. Charakteristisch sind dabei folgende Auslassungen: „Obwohl ich seit der Gründung des Wahlvcreins der festen Ueberzeugung war, daß es sich früher oder später herausstellen werde, wie unsere rein legitimistisch-hanno- versche Partei von den wenigen Herren Demokraten als Grundstein für ihre erträumte deutsche Zukuufts-Aera benutzt werden solle, so befürchtete ich aber nicht, daß dieselben so schnell mit ihren eigensten Tendenzen herauskehren würden. Diese wenigen Köpfe dürfen sich nicht einbilden, daß sie tausende gesinnungstüchtige hannoversche Männer vermittelst vorläufigen scheinbaren Eingehens ihrerseits auf die von uns angestrebte Restauration unseres Königlichen Hauses später derart dummschwatzcn und irreleiten können, daß dieselben sich für Realisirung ihrer heißspornigen fictiven Ideen verwenden lassen." Den „föderativem und fictiven Ideen dieser „Demokraten" stellt Kerrl mit großem Nachdruck folgendes antideutsches, particnlaristisches Weisen-Programm entgegen: „Wir wollen mit den außerhalb Hannovers lebenden Deutschen als iliren Parteifreunde nichts

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/512>, abgerufen am 02.07.2024.