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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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aufzuhalten, sondern skizziren nur flüchtig das Fluß- und Seensystem, welches
Livingstone entdeckte. Zwischen 10 und 11" südl. Br. fließt, südlich vom
Tanganjika-See von Osten nach Westen der Tschambesistrom -- nicht zu
verwechseln mit dem weiter gelegenen Sambesi -- und mündet in den großen,
von Ost nach West sich erstreckenden, etwa 4000 Fuß über dem Meere ge¬
legenen Bargweolosee. Dieser hat einen nördlichen Abfluß, den großen
Luavulastrom, der in den Moero-See fällt, aus diesem heraus tritt und
in den Kamolondo-See geht. Wiederum tritt am Nordende des letzteren
ein Fluß in mannigfachen Krümmungen heraus, Webb's Lualaba genannt,
der in einen etwa 2000 Fuß hoch gelegenen, noch nicht besuchten Namen¬
losen See mündet. Der obere Congo durchläuft also unter verschiedenen
Namen vier Seen. In den Lualaba fällt aber noch der Loekifluß, welcher
ein Abfluß des weiter westlich gelegenen Lincolnsees ist. Es handelt sich
also bei Livingstone's Entdeckungen um nicht weniger als um fünf neue Seen.
Freilich fünf Jahre mühevoller Arbeit hatte es den großen Forscher gekostet,
ehe er so weit war und schließlich langte er in Udschidschi an, völlig entblößt
von allen Mitteln, in der peinlichsten Lage. Da traf ihn Stanley, just zur
rechten Stunde.

Nachdem wir solchergestalt die Leser geographisch orientirt, können wir
den Faden von Stanley's Erzählung wieder aufnehmen. Das erste Unglück,
welches diesen traf, war der Tod seiner beiden Pferde, "die an einer mysteriösen
Krankheit starben." Wir hätten das Herrn Stanley voraussagen können;
unter hundert Pferden vermag kaum eines in Süd- und Jnnerafrika, etwa
vom 18. Breitengrade an, auszudauern; die Thiere gehen dort fast alle an
einer klimatischen Krankheit zu Grunde; übersteht aber eines dieselbe, so ist
es acclimatisirt und heißt ein "gesalzenes" Pferd. Die Esel dagegen starben
langsamer hin: das Wetter, Ueberanstrengung und Krokodile machten ihnen
den Garaus und nicht ein einziger erreichte Udschidschi. Die Landschaften am
Wege, die Stanley durchzog, waren von außerordlicher Abwechslung und zum
Theil sehr schöner Scenerie. Wir lesen von dichten Urwäldern, von wüsten
Plateaus, zahlreichen kleinen Dörfern, ungeheuer ausgedehnten mit Getreide
bestellten Flächen. Im allgemeinen war das Land da, wo der Boden frucht¬
bar ist, wohl bevölkert und gut angebaut. Der Weg war regelmäßig und
wenn auch keine europäische Chaussee, doch fortwährend belebt; viele arabische
Karavanen begegneten dem Reisenden, dann folgten lange Reihen von Trägern
mit Elfenbein beladen, oder eine Sklavenkette, mit dem Halse in Holzgabeln
gesperrt, aber meist fröhlichen Muthes. Drei Wochen war Stanley von
Bagomojo unterwegs als ihm ein Araber, Saum Ben Raschid, begegnete,
der nicht weniger als 300 Elephantenzähne nach der Küste transportiren ließ.
Von ihm erhielt Stanley die ersten Nachrichten über Livingstone. Er hatte


aufzuhalten, sondern skizziren nur flüchtig das Fluß- und Seensystem, welches
Livingstone entdeckte. Zwischen 10 und 11" südl. Br. fließt, südlich vom
Tanganjika-See von Osten nach Westen der Tschambesistrom — nicht zu
verwechseln mit dem weiter gelegenen Sambesi — und mündet in den großen,
von Ost nach West sich erstreckenden, etwa 4000 Fuß über dem Meere ge¬
legenen Bargweolosee. Dieser hat einen nördlichen Abfluß, den großen
Luavulastrom, der in den Moero-See fällt, aus diesem heraus tritt und
in den Kamolondo-See geht. Wiederum tritt am Nordende des letzteren
ein Fluß in mannigfachen Krümmungen heraus, Webb's Lualaba genannt,
der in einen etwa 2000 Fuß hoch gelegenen, noch nicht besuchten Namen¬
losen See mündet. Der obere Congo durchläuft also unter verschiedenen
Namen vier Seen. In den Lualaba fällt aber noch der Loekifluß, welcher
ein Abfluß des weiter westlich gelegenen Lincolnsees ist. Es handelt sich
also bei Livingstone's Entdeckungen um nicht weniger als um fünf neue Seen.
Freilich fünf Jahre mühevoller Arbeit hatte es den großen Forscher gekostet,
ehe er so weit war und schließlich langte er in Udschidschi an, völlig entblößt
von allen Mitteln, in der peinlichsten Lage. Da traf ihn Stanley, just zur
rechten Stunde.

Nachdem wir solchergestalt die Leser geographisch orientirt, können wir
den Faden von Stanley's Erzählung wieder aufnehmen. Das erste Unglück,
welches diesen traf, war der Tod seiner beiden Pferde, „die an einer mysteriösen
Krankheit starben." Wir hätten das Herrn Stanley voraussagen können;
unter hundert Pferden vermag kaum eines in Süd- und Jnnerafrika, etwa
vom 18. Breitengrade an, auszudauern; die Thiere gehen dort fast alle an
einer klimatischen Krankheit zu Grunde; übersteht aber eines dieselbe, so ist
es acclimatisirt und heißt ein „gesalzenes" Pferd. Die Esel dagegen starben
langsamer hin: das Wetter, Ueberanstrengung und Krokodile machten ihnen
den Garaus und nicht ein einziger erreichte Udschidschi. Die Landschaften am
Wege, die Stanley durchzog, waren von außerordlicher Abwechslung und zum
Theil sehr schöner Scenerie. Wir lesen von dichten Urwäldern, von wüsten
Plateaus, zahlreichen kleinen Dörfern, ungeheuer ausgedehnten mit Getreide
bestellten Flächen. Im allgemeinen war das Land da, wo der Boden frucht¬
bar ist, wohl bevölkert und gut angebaut. Der Weg war regelmäßig und
wenn auch keine europäische Chaussee, doch fortwährend belebt; viele arabische
Karavanen begegneten dem Reisenden, dann folgten lange Reihen von Trägern
mit Elfenbein beladen, oder eine Sklavenkette, mit dem Halse in Holzgabeln
gesperrt, aber meist fröhlichen Muthes. Drei Wochen war Stanley von
Bagomojo unterwegs als ihm ein Araber, Saum Ben Raschid, begegnete,
der nicht weniger als 300 Elephantenzähne nach der Küste transportiren ließ.
Von ihm erhielt Stanley die ersten Nachrichten über Livingstone. Er hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/474>, abgerufen am 22.07.2024.