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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Reisender in Centralafrika ohne Vorräthe ist schlimmer daran als ein Mensch
in Berlin ohne Geld. Führen die Eingeborenen keinen Krieg, ist der Reisende
gesund, seine Karavane im guten Stande, die Wache gehörig bewaffnet, dann
mag er sich wohl befinden; alles hängt dann von seiner Energie, seinem
Muth, seinem Austreten ab. Räuberei kommt selten vor, immer Kriegszeiten
ausgenommen. Das Tributsystem an der Karavanenstraße zwischen dem
Meere und dem Tanganjikasee ist so vortrefflich ausgebildet wie bei uns das
Steuersystem und selbst die betrunkenen Negerhäuptlinge an der Straße sind
weise genug die Karavane nicht zu berauben, damit ihnen die milchende Kuh
nicht verloren gehe. Dagegen enthalten sich auch die sklavenjagenden Araber
an der Straße meist aller Gewaltthaten; ihre "Jagdgründe" liegen weiter
im Innern. Das Land selbst ist, wüste Striche abgerechnet, wohl bevölkert
und die Neger führen Flinten als Waffen, die ihnen von den Händlern zu¬
gebracht werden.

Die Seen, von denen die Rede sein wird, und die sich zwischen 3 Grad
nördlicher Breite und 12 Grad südlicher Breite erstrecken, sind die nachstehen¬
den. Der Panganjikasee, 130 deutsche Meilen von dem Meere entfernt,
von Nord nach Süd gegen 100 Meilen lang und durchschnittlich 15 Meilen
breit, 2800 Fuß über dem Meere. Er hat von Norden her einen Zufluß,
den Rusisi, keinen bekannten Abfluß und steht mit den übrigen Seen Jnner-
afrikas in keiner Verbindung. -- Nördlich vom Tanganjikasee erstreckt sich
etwa gleich lang und groß der Montan Nzige, 1864 von Baker ent¬
deckt und Albertsee getauft. Aus ihm fließt der Hauptarm des Nil ab.
Höhe dieses Sees über dem Meere 2720 Fuß. -- Oestlich von dem obenge¬
nannten liegt ein großer See, der Ukerewe, 1858 von Speke entdeckt und
Vietoriasee getauft. Sein Abfluß, der Somerset, geht in den Montan Nsige,
mithin ist der Ukerewe der eigentliche Quellsee des Nil. An seinem südlichen
Ufer fand Speke 1858 eine Höhe von 4700 Fuß über dem Meere, an seinem
nördlichen aber, auf seiner zweiten Reise mit Grant 1862, 4300 Fuß. Hieraus
kann man, wenn keine Messungsfehler vorliegen, schließen , daß der Ukerewe
aus zwei oder mehreren, näher zu erforschenden Seen besteht. -- Südlich
und westlich vom Tanganjikasee liegt eine Reihenfolge von Seen, die Living¬
stone seit dem Jahre 1868 entdeckte, die durch Flußläufe mit einander ver¬
bunden sind und deren schließlichen Verlauf Livingstone nicht kennt; er ver¬
muthet jedoch die Quelle des Nil in diesen Seen und Flüssen gefunden zu
haben, eine falsche Ansicht, denn neuerdings ist von Dr. Behm unter Berücksich¬
tigung alles einschlagenden Materials nachgewiesen worden, daß die Flüsse
und Seen, welche Livingstone entdeckte, den oberen Lauf des an der afrikanischen
Westküste mündenden Congo ausmachen. Wir haben uns hier mit den
Gründen für diese unsrer Ansicht nach durchaus zutreffende Meinung nicht


GmiMni 1872/ IV. 59

Reisender in Centralafrika ohne Vorräthe ist schlimmer daran als ein Mensch
in Berlin ohne Geld. Führen die Eingeborenen keinen Krieg, ist der Reisende
gesund, seine Karavane im guten Stande, die Wache gehörig bewaffnet, dann
mag er sich wohl befinden; alles hängt dann von seiner Energie, seinem
Muth, seinem Austreten ab. Räuberei kommt selten vor, immer Kriegszeiten
ausgenommen. Das Tributsystem an der Karavanenstraße zwischen dem
Meere und dem Tanganjikasee ist so vortrefflich ausgebildet wie bei uns das
Steuersystem und selbst die betrunkenen Negerhäuptlinge an der Straße sind
weise genug die Karavane nicht zu berauben, damit ihnen die milchende Kuh
nicht verloren gehe. Dagegen enthalten sich auch die sklavenjagenden Araber
an der Straße meist aller Gewaltthaten; ihre „Jagdgründe" liegen weiter
im Innern. Das Land selbst ist, wüste Striche abgerechnet, wohl bevölkert
und die Neger führen Flinten als Waffen, die ihnen von den Händlern zu¬
gebracht werden.

Die Seen, von denen die Rede sein wird, und die sich zwischen 3 Grad
nördlicher Breite und 12 Grad südlicher Breite erstrecken, sind die nachstehen¬
den. Der Panganjikasee, 130 deutsche Meilen von dem Meere entfernt,
von Nord nach Süd gegen 100 Meilen lang und durchschnittlich 15 Meilen
breit, 2800 Fuß über dem Meere. Er hat von Norden her einen Zufluß,
den Rusisi, keinen bekannten Abfluß und steht mit den übrigen Seen Jnner-
afrikas in keiner Verbindung. — Nördlich vom Tanganjikasee erstreckt sich
etwa gleich lang und groß der Montan Nzige, 1864 von Baker ent¬
deckt und Albertsee getauft. Aus ihm fließt der Hauptarm des Nil ab.
Höhe dieses Sees über dem Meere 2720 Fuß. — Oestlich von dem obenge¬
nannten liegt ein großer See, der Ukerewe, 1858 von Speke entdeckt und
Vietoriasee getauft. Sein Abfluß, der Somerset, geht in den Montan Nsige,
mithin ist der Ukerewe der eigentliche Quellsee des Nil. An seinem südlichen
Ufer fand Speke 1858 eine Höhe von 4700 Fuß über dem Meere, an seinem
nördlichen aber, auf seiner zweiten Reise mit Grant 1862, 4300 Fuß. Hieraus
kann man, wenn keine Messungsfehler vorliegen, schließen , daß der Ukerewe
aus zwei oder mehreren, näher zu erforschenden Seen besteht. — Südlich
und westlich vom Tanganjikasee liegt eine Reihenfolge von Seen, die Living¬
stone seit dem Jahre 1868 entdeckte, die durch Flußläufe mit einander ver¬
bunden sind und deren schließlichen Verlauf Livingstone nicht kennt; er ver¬
muthet jedoch die Quelle des Nil in diesen Seen und Flüssen gefunden zu
haben, eine falsche Ansicht, denn neuerdings ist von Dr. Behm unter Berücksich¬
tigung alles einschlagenden Materials nachgewiesen worden, daß die Flüsse
und Seen, welche Livingstone entdeckte, den oberen Lauf des an der afrikanischen
Westküste mündenden Congo ausmachen. Wir haben uns hier mit den
Gründen für diese unsrer Ansicht nach durchaus zutreffende Meinung nicht


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[0473] Reisender in Centralafrika ohne Vorräthe ist schlimmer daran als ein Mensch in Berlin ohne Geld. Führen die Eingeborenen keinen Krieg, ist der Reisende gesund, seine Karavane im guten Stande, die Wache gehörig bewaffnet, dann mag er sich wohl befinden; alles hängt dann von seiner Energie, seinem Muth, seinem Austreten ab. Räuberei kommt selten vor, immer Kriegszeiten ausgenommen. Das Tributsystem an der Karavanenstraße zwischen dem Meere und dem Tanganjikasee ist so vortrefflich ausgebildet wie bei uns das Steuersystem und selbst die betrunkenen Negerhäuptlinge an der Straße sind weise genug die Karavane nicht zu berauben, damit ihnen die milchende Kuh nicht verloren gehe. Dagegen enthalten sich auch die sklavenjagenden Araber an der Straße meist aller Gewaltthaten; ihre „Jagdgründe" liegen weiter im Innern. Das Land selbst ist, wüste Striche abgerechnet, wohl bevölkert und die Neger führen Flinten als Waffen, die ihnen von den Händlern zu¬ gebracht werden. Die Seen, von denen die Rede sein wird, und die sich zwischen 3 Grad nördlicher Breite und 12 Grad südlicher Breite erstrecken, sind die nachstehen¬ den. Der Panganjikasee, 130 deutsche Meilen von dem Meere entfernt, von Nord nach Süd gegen 100 Meilen lang und durchschnittlich 15 Meilen breit, 2800 Fuß über dem Meere. Er hat von Norden her einen Zufluß, den Rusisi, keinen bekannten Abfluß und steht mit den übrigen Seen Jnner- afrikas in keiner Verbindung. — Nördlich vom Tanganjikasee erstreckt sich etwa gleich lang und groß der Montan Nzige, 1864 von Baker ent¬ deckt und Albertsee getauft. Aus ihm fließt der Hauptarm des Nil ab. Höhe dieses Sees über dem Meere 2720 Fuß. — Oestlich von dem obenge¬ nannten liegt ein großer See, der Ukerewe, 1858 von Speke entdeckt und Vietoriasee getauft. Sein Abfluß, der Somerset, geht in den Montan Nsige, mithin ist der Ukerewe der eigentliche Quellsee des Nil. An seinem südlichen Ufer fand Speke 1858 eine Höhe von 4700 Fuß über dem Meere, an seinem nördlichen aber, auf seiner zweiten Reise mit Grant 1862, 4300 Fuß. Hieraus kann man, wenn keine Messungsfehler vorliegen, schließen , daß der Ukerewe aus zwei oder mehreren, näher zu erforschenden Seen besteht. — Südlich und westlich vom Tanganjikasee liegt eine Reihenfolge von Seen, die Living¬ stone seit dem Jahre 1868 entdeckte, die durch Flußläufe mit einander ver¬ bunden sind und deren schließlichen Verlauf Livingstone nicht kennt; er ver¬ muthet jedoch die Quelle des Nil in diesen Seen und Flüssen gefunden zu haben, eine falsche Ansicht, denn neuerdings ist von Dr. Behm unter Berücksich¬ tigung alles einschlagenden Materials nachgewiesen worden, daß die Flüsse und Seen, welche Livingstone entdeckte, den oberen Lauf des an der afrikanischen Westküste mündenden Congo ausmachen. Wir haben uns hier mit den Gründen für diese unsrer Ansicht nach durchaus zutreffende Meinung nicht GmiMni 1872/ IV. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/473>, abgerufen am 22.07.2024.