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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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hören, da Philipp leichter für des Schwiegersohnes Anschauung zu gewinnen
war, den bestimmenden und maßgebenden Einfluß erlangt haben. Was
Moritz an dem Plane gefiel, stieß den Kurfürsten ab. Johann Friedrich be¬
antwortete diese Vorschläge mit der Aufforderung. Moritz solle in den Schmal-
kaldener Bund eintreten. So konnte man sich nicht verständigen.

Nun blieb für Moritz nur noch seine Verbindung mit Philipp in Kraft.
Der Faden riß nicht so schnell, und seltsam, ganz ist er eigentlich nie abge¬
brochen. Eine Zeitlang, im Herbst 1545 und Winter auf 1546, hielt er sich
noch neutral, als Vermittler, der mit beiden Theilen gut zu stehen wußte.
Wohin ihn aber schließlich seine Neigung ziehen würde, zeigte sich bald immer
deutlicher.

Wir folgen hier nicht allen einzelnen Windungen und Biegungen des
diplomatischen Weges. Bei den Protestanten blieb Alles beim Alten. Eine
festere Organisation, die mögliche europäische Allianz wurde ebensowenig zu
Stande gebracht als der richtige Augenblick zur Action gegen den noch in der
Rüstung begriffenen Kaiser benutzt. Ohne festen Gedanken und sichere Führung
trieb man in den Wirbel des Krieges.

Und in diesem Augenblicke sonderte sich Moritz noch weiter ab von seinen
Glaubensgenossen. Seine eigenthümliche Behandlung der kirchlichen Angelegen¬
heit deutete sich damals schon entschiedener an. Er stand doch etwas anders
zu der kirchlichen Sache als die meisten andern Fürsten. Er repräsentier uns
die zweite Generation der Reformationszeit.

Jene älteren Menschen hatten von ihren ersten Anfängen an die Luther'sche
Bewegung miterlebt. Sie hatten mit dem ersten Impulse leidenschaftlicher
Begeisterung die Reformation der Kirche aufgefaßt. Fürsten wie Theologen
des älteren Geschlechtes lebten und starben ihrem religiösen Gefühle.

In der zweiten Generation überwog schon die Reflexion, der Verstand
über das Gefühl. Bei den doctrinären Naturen in dieser zweiten Generation
äußert sich dies Ueberwiegen des Verstandes in der Rechthaberei und der theo¬
logischen Zanksucht, welche jene Kämpfe der verschiedenen Nuancen lutherischer
Orthodoxie zu sehr traurigen Erscheinungen der Kirchengeschichte gestempelt
hat. .In dieser zweiten Generation traten aber hier und da auch mehr
praktische, mehr politisch angelegte Köpfe auf, welche mit einer gewissen persön¬
lichen Nüchternheit, mit einem gewissen, wenn ich so sagen darf, Jndifferen-
tismus mehr auf die öffentlichen Erscheinungen und Resultate der kirchlichen
Veränderung als auf die religiöse Wurzel oder die theologische Begründung
sahen. Es ist des Historikers Amt, weder die jüngere noch die ältere Gruppe,
weder die eine noch die andere Seite zu verdammen, sondern alle, eine jede
in ihrer relativen Berechtigung zu verstehen. Allerdings, das Verdammen


Grrnzbotm N82. IV. 57

hören, da Philipp leichter für des Schwiegersohnes Anschauung zu gewinnen
war, den bestimmenden und maßgebenden Einfluß erlangt haben. Was
Moritz an dem Plane gefiel, stieß den Kurfürsten ab. Johann Friedrich be¬
antwortete diese Vorschläge mit der Aufforderung. Moritz solle in den Schmal-
kaldener Bund eintreten. So konnte man sich nicht verständigen.

Nun blieb für Moritz nur noch seine Verbindung mit Philipp in Kraft.
Der Faden riß nicht so schnell, und seltsam, ganz ist er eigentlich nie abge¬
brochen. Eine Zeitlang, im Herbst 1545 und Winter auf 1546, hielt er sich
noch neutral, als Vermittler, der mit beiden Theilen gut zu stehen wußte.
Wohin ihn aber schließlich seine Neigung ziehen würde, zeigte sich bald immer
deutlicher.

Wir folgen hier nicht allen einzelnen Windungen und Biegungen des
diplomatischen Weges. Bei den Protestanten blieb Alles beim Alten. Eine
festere Organisation, die mögliche europäische Allianz wurde ebensowenig zu
Stande gebracht als der richtige Augenblick zur Action gegen den noch in der
Rüstung begriffenen Kaiser benutzt. Ohne festen Gedanken und sichere Führung
trieb man in den Wirbel des Krieges.

Und in diesem Augenblicke sonderte sich Moritz noch weiter ab von seinen
Glaubensgenossen. Seine eigenthümliche Behandlung der kirchlichen Angelegen¬
heit deutete sich damals schon entschiedener an. Er stand doch etwas anders
zu der kirchlichen Sache als die meisten andern Fürsten. Er repräsentier uns
die zweite Generation der Reformationszeit.

Jene älteren Menschen hatten von ihren ersten Anfängen an die Luther'sche
Bewegung miterlebt. Sie hatten mit dem ersten Impulse leidenschaftlicher
Begeisterung die Reformation der Kirche aufgefaßt. Fürsten wie Theologen
des älteren Geschlechtes lebten und starben ihrem religiösen Gefühle.

In der zweiten Generation überwog schon die Reflexion, der Verstand
über das Gefühl. Bei den doctrinären Naturen in dieser zweiten Generation
äußert sich dies Ueberwiegen des Verstandes in der Rechthaberei und der theo¬
logischen Zanksucht, welche jene Kämpfe der verschiedenen Nuancen lutherischer
Orthodoxie zu sehr traurigen Erscheinungen der Kirchengeschichte gestempelt
hat. .In dieser zweiten Generation traten aber hier und da auch mehr
praktische, mehr politisch angelegte Köpfe auf, welche mit einer gewissen persön¬
lichen Nüchternheit, mit einem gewissen, wenn ich so sagen darf, Jndifferen-
tismus mehr auf die öffentlichen Erscheinungen und Resultate der kirchlichen
Veränderung als auf die religiöse Wurzel oder die theologische Begründung
sahen. Es ist des Historikers Amt, weder die jüngere noch die ältere Gruppe,
weder die eine noch die andere Seite zu verdammen, sondern alle, eine jede
in ihrer relativen Berechtigung zu verstehen. Allerdings, das Verdammen


Grrnzbotm N82. IV. 57
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[0457] hören, da Philipp leichter für des Schwiegersohnes Anschauung zu gewinnen war, den bestimmenden und maßgebenden Einfluß erlangt haben. Was Moritz an dem Plane gefiel, stieß den Kurfürsten ab. Johann Friedrich be¬ antwortete diese Vorschläge mit der Aufforderung. Moritz solle in den Schmal- kaldener Bund eintreten. So konnte man sich nicht verständigen. Nun blieb für Moritz nur noch seine Verbindung mit Philipp in Kraft. Der Faden riß nicht so schnell, und seltsam, ganz ist er eigentlich nie abge¬ brochen. Eine Zeitlang, im Herbst 1545 und Winter auf 1546, hielt er sich noch neutral, als Vermittler, der mit beiden Theilen gut zu stehen wußte. Wohin ihn aber schließlich seine Neigung ziehen würde, zeigte sich bald immer deutlicher. Wir folgen hier nicht allen einzelnen Windungen und Biegungen des diplomatischen Weges. Bei den Protestanten blieb Alles beim Alten. Eine festere Organisation, die mögliche europäische Allianz wurde ebensowenig zu Stande gebracht als der richtige Augenblick zur Action gegen den noch in der Rüstung begriffenen Kaiser benutzt. Ohne festen Gedanken und sichere Führung trieb man in den Wirbel des Krieges. Und in diesem Augenblicke sonderte sich Moritz noch weiter ab von seinen Glaubensgenossen. Seine eigenthümliche Behandlung der kirchlichen Angelegen¬ heit deutete sich damals schon entschiedener an. Er stand doch etwas anders zu der kirchlichen Sache als die meisten andern Fürsten. Er repräsentier uns die zweite Generation der Reformationszeit. Jene älteren Menschen hatten von ihren ersten Anfängen an die Luther'sche Bewegung miterlebt. Sie hatten mit dem ersten Impulse leidenschaftlicher Begeisterung die Reformation der Kirche aufgefaßt. Fürsten wie Theologen des älteren Geschlechtes lebten und starben ihrem religiösen Gefühle. In der zweiten Generation überwog schon die Reflexion, der Verstand über das Gefühl. Bei den doctrinären Naturen in dieser zweiten Generation äußert sich dies Ueberwiegen des Verstandes in der Rechthaberei und der theo¬ logischen Zanksucht, welche jene Kämpfe der verschiedenen Nuancen lutherischer Orthodoxie zu sehr traurigen Erscheinungen der Kirchengeschichte gestempelt hat. .In dieser zweiten Generation traten aber hier und da auch mehr praktische, mehr politisch angelegte Köpfe auf, welche mit einer gewissen persön¬ lichen Nüchternheit, mit einem gewissen, wenn ich so sagen darf, Jndifferen- tismus mehr auf die öffentlichen Erscheinungen und Resultate der kirchlichen Veränderung als auf die religiöse Wurzel oder die theologische Begründung sahen. Es ist des Historikers Amt, weder die jüngere noch die ältere Gruppe, weder die eine noch die andere Seite zu verdammen, sondern alle, eine jede in ihrer relativen Berechtigung zu verstehen. Allerdings, das Verdammen Grrnzbotm N82. IV. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/457>, abgerufen am 22.07.2024.