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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Staatsmann, der politisch denkt und politisch handelt, ein einziger deutscher
Landesfürst, der den großen Politikern seiner Zeit ebenbürtig ist.

Das ist Moritz von Sachsen.

Vergleicht man ihn mit seinen fürstlichen Berufsgenossen, so berührt
seine Erscheinung wie ein fremdartiges Wesen. Er, ein Protestant, hat im
Kriege des katholischen Kaisers gegen die deutschen Protestanten auf der Seite
des Kaisers gestanden: er hat redlich dazu mitgeholfen dem Kaiser die
Protestanten unter die Füße zu werfen. Nachdem er seinen Lohn dafür weg¬
hatte, -- die sächsische Kur -- hat er eine Empörung der Protestanten gegen
Kaiser Karl eingeleitet, vorbereitet, durchgesetzt: ihm fast ausschließlich ist
die öffentliche Anerkennung des Protestantismus im Reiche, der Religionsfriede,
zu verdanken.

So bewegt sein politisches Thun sich in jähem Wechsel. Auf realen
Machterwerb hatte er immer sein Auge gerichtet, um politische Macht war
es ihm zu thun und fast scheint es, als ob ideale Interessen ihn wenig er¬
faßt hätten. Die religiösen Impulse der Reformationszeit haben auf ihn
wenig gewirkt. Theologische Streitfragen, die Lieblingsthemata seiner Zeit¬
genossen, sind ihm ziemlich gleichgiltig: kühl und nüchtern steht er den
kirchlichen Dingen gegenüber. So ist es gekommen, daß der Retter des
Protestantismus in Deutschland nicht einmal den Protestanten ein sehr warmes
Andenken hinterlassen: der erste "Verrath" wird ihm nicht vergessen, für die
spätere Errettung ist man ihm wider Willen dankbar. Grade sein Mangel
an persönlicher Wärme, das Deficit religiöser Begeisterung ist bei einem
Fürsten der Reformationszeit eine Sünde, für die man keine Verge¬
bung hat.

Wer dagegen die politische Natur dieses Mannes betont, wer aus
den Voraussetzungen der Lage, den Eigenschaften dieses Charakters die Politik
dieses Fürsten zu erklären unternimmt, kann sehr leicht in die Gefahr kommen,
für einen unbedingten Bewunderer einer sehr verrufenen Sache oder einen
Advocaten politischer Treulosigkeit und Selbstsucht angesehen zu werden.
Das ist die Klippe, an welcher der Historiker des Kurfürsten Moritz leicht
scheitern kann. Versuchen wir sie zu umgehen!*)

>
Es wird nöthig sein, die politische und territoriale Situation kurz zu
zeichnen, in welche Moritz als sächsischer Kleinfürst eingetreten ist.



") Eine nähere Ausführung und Begründung dieses Vertrages findet sich lheils in meinem
Buche <Karl V. und die dentschen Protestanten is45 -1555. -- Düsseldorf 1865)
theils in einer größeren Abhandlung "Zur Beurtheilung des Kurfürsten Moritz von
Sachsen", welche in der Historischen Zeitschrift Bd. XX S. 271 -- 337 (18<i8) abge¬
druckt ist.

Staatsmann, der politisch denkt und politisch handelt, ein einziger deutscher
Landesfürst, der den großen Politikern seiner Zeit ebenbürtig ist.

Das ist Moritz von Sachsen.

Vergleicht man ihn mit seinen fürstlichen Berufsgenossen, so berührt
seine Erscheinung wie ein fremdartiges Wesen. Er, ein Protestant, hat im
Kriege des katholischen Kaisers gegen die deutschen Protestanten auf der Seite
des Kaisers gestanden: er hat redlich dazu mitgeholfen dem Kaiser die
Protestanten unter die Füße zu werfen. Nachdem er seinen Lohn dafür weg¬
hatte, — die sächsische Kur — hat er eine Empörung der Protestanten gegen
Kaiser Karl eingeleitet, vorbereitet, durchgesetzt: ihm fast ausschließlich ist
die öffentliche Anerkennung des Protestantismus im Reiche, der Religionsfriede,
zu verdanken.

So bewegt sein politisches Thun sich in jähem Wechsel. Auf realen
Machterwerb hatte er immer sein Auge gerichtet, um politische Macht war
es ihm zu thun und fast scheint es, als ob ideale Interessen ihn wenig er¬
faßt hätten. Die religiösen Impulse der Reformationszeit haben auf ihn
wenig gewirkt. Theologische Streitfragen, die Lieblingsthemata seiner Zeit¬
genossen, sind ihm ziemlich gleichgiltig: kühl und nüchtern steht er den
kirchlichen Dingen gegenüber. So ist es gekommen, daß der Retter des
Protestantismus in Deutschland nicht einmal den Protestanten ein sehr warmes
Andenken hinterlassen: der erste „Verrath" wird ihm nicht vergessen, für die
spätere Errettung ist man ihm wider Willen dankbar. Grade sein Mangel
an persönlicher Wärme, das Deficit religiöser Begeisterung ist bei einem
Fürsten der Reformationszeit eine Sünde, für die man keine Verge¬
bung hat.

Wer dagegen die politische Natur dieses Mannes betont, wer aus
den Voraussetzungen der Lage, den Eigenschaften dieses Charakters die Politik
dieses Fürsten zu erklären unternimmt, kann sehr leicht in die Gefahr kommen,
für einen unbedingten Bewunderer einer sehr verrufenen Sache oder einen
Advocaten politischer Treulosigkeit und Selbstsucht angesehen zu werden.
Das ist die Klippe, an welcher der Historiker des Kurfürsten Moritz leicht
scheitern kann. Versuchen wir sie zu umgehen!*)

>
Es wird nöthig sein, die politische und territoriale Situation kurz zu
zeichnen, in welche Moritz als sächsischer Kleinfürst eingetreten ist.



") Eine nähere Ausführung und Begründung dieses Vertrages findet sich lheils in meinem
Buche <Karl V. und die dentschen Protestanten is45 -1555. — Düsseldorf 1865)
theils in einer größeren Abhandlung „Zur Beurtheilung des Kurfürsten Moritz von
Sachsen", welche in der Historischen Zeitschrift Bd. XX S. 271 — 337 (18<i8) abge¬
druckt ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/452>, abgerufen am 28.09.2024.