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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Mittel desselben benutzt hätte! Jene, Kurfürsten, Friedrich der Weise, Johann
der Beständige, Johann Friedrich-der Großmüthige, sie waren sehr brave,
ehrbare Leute, aber schlechte Politiker, sie waren mehr fromm als klug: sie
beteten, wo sie denken, sie redeten,, wo sie arbeiten sollten. Sie haben für sich
und ihr Sachsen unendlich viel' verpaßt, sie haben gegen die Zukunft des
Protestantismus schwer gesündigt.

Das wurde anders, als ein junger Fürst aus , einer Seitenlinie des Hau¬
ses den Kurhut, den er dem Better von Haupte gerissen,'W^Äfsetzte. als er
in kurzer Zeit sich mit seiner Thatkraft und seiner Einsicht-zum Führer des
protestantischen Deutschland aufwarf. Da sah es aus, als ob in Kurfürst
Moritz der Mann erschienen sei, welcher der deutschen Geschichte ihre Bahn
anweisen und ihre Richtung bestimmen werde. Es war ihm nicht beschieden,
seine volle Größe in bleibenden Resultaten zu erweisen. Noch im Beginn
seiner Laufbahn raffte eine feindliche Kugel den 32jährigen weg: er wurde
nicht ersetzt. Sein Nachfolger war nicht der Mann, auf der Höhe, auf die
ihn Moritz gestellt, sich nur aufrecht zu erhalten, bald war Sachsen wieder auf
dem Niveau der übrigen deutschen Territorien angelangt. Und die von Moritz
ergriffene Möglichkeit allgemeinerer Bedeutung war dahin, als Sachsens Fürsten
sich und ihr Land mit einem engherzigen und beschränkten Confesfionalismus
identificirten. Das war auch damals im 16. Jahrhundert nicht möglich, auf
die Orthodoxie einer einzelnen Confession eine leitende Stellung zu gründen.
In der ungeheueren Krisis des 30jährigen Krieges war Sachsen schon völlig
aus der Rolle herausgefallen: die Stelle im protestantischen Norden war leer
geworden; erst Brandenburg-Preußens Großer Kurfürst hat in der zweiten
Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Aufgabe, an der Sachsen sich verge¬
bens versucht, aufgenommen und gelöst.

Die Reformationszeit in Deutschland ist reich an interessanten Persön¬
lichkeiten. In verschwenderischer Fülle und Mannigfaltigkeit sind Helden des
Geistes und der Feder und des Schwertes über die Gauen Deutschlands aus¬
gestreut. Theologen und Dichter, Denker und Historiker, Ritter und Bürger.
Krieger und Redner, eigenartige und ursprüngliche Geister und Charaktere in
jeder Richtung begegnen dem forschenden Auge überall im damaligen Volke.
Und auch wer die Schaar der Fürsten jener Zeit prüfend und musternd durch¬
wandert, trifft auf nicht wenige stattliche und achtungswerthe Gestalten, got-
tesfürchtige und fromme Bäter ihres Landes, religiöse Borbilder ihrer Unter¬
thanen, patriarchalische Beschützer der neuen kirchlichen Pflanzungen und neben
ihnen schlagfertige Soldaten, feurige Reitcrsleute und lustige Zecher, oder sorg¬
same Hauswirthe und treue Aufseher der Landesverwaltungen.

Einer aber ist unter ihnen, der Seinesgleichen nicht hat, -- ein einziger


Mittel desselben benutzt hätte! Jene, Kurfürsten, Friedrich der Weise, Johann
der Beständige, Johann Friedrich-der Großmüthige, sie waren sehr brave,
ehrbare Leute, aber schlechte Politiker, sie waren mehr fromm als klug: sie
beteten, wo sie denken, sie redeten,, wo sie arbeiten sollten. Sie haben für sich
und ihr Sachsen unendlich viel' verpaßt, sie haben gegen die Zukunft des
Protestantismus schwer gesündigt.

Das wurde anders, als ein junger Fürst aus , einer Seitenlinie des Hau¬
ses den Kurhut, den er dem Better von Haupte gerissen,'W^Äfsetzte. als er
in kurzer Zeit sich mit seiner Thatkraft und seiner Einsicht-zum Führer des
protestantischen Deutschland aufwarf. Da sah es aus, als ob in Kurfürst
Moritz der Mann erschienen sei, welcher der deutschen Geschichte ihre Bahn
anweisen und ihre Richtung bestimmen werde. Es war ihm nicht beschieden,
seine volle Größe in bleibenden Resultaten zu erweisen. Noch im Beginn
seiner Laufbahn raffte eine feindliche Kugel den 32jährigen weg: er wurde
nicht ersetzt. Sein Nachfolger war nicht der Mann, auf der Höhe, auf die
ihn Moritz gestellt, sich nur aufrecht zu erhalten, bald war Sachsen wieder auf
dem Niveau der übrigen deutschen Territorien angelangt. Und die von Moritz
ergriffene Möglichkeit allgemeinerer Bedeutung war dahin, als Sachsens Fürsten
sich und ihr Land mit einem engherzigen und beschränkten Confesfionalismus
identificirten. Das war auch damals im 16. Jahrhundert nicht möglich, auf
die Orthodoxie einer einzelnen Confession eine leitende Stellung zu gründen.
In der ungeheueren Krisis des 30jährigen Krieges war Sachsen schon völlig
aus der Rolle herausgefallen: die Stelle im protestantischen Norden war leer
geworden; erst Brandenburg-Preußens Großer Kurfürst hat in der zweiten
Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Aufgabe, an der Sachsen sich verge¬
bens versucht, aufgenommen und gelöst.

Die Reformationszeit in Deutschland ist reich an interessanten Persön¬
lichkeiten. In verschwenderischer Fülle und Mannigfaltigkeit sind Helden des
Geistes und der Feder und des Schwertes über die Gauen Deutschlands aus¬
gestreut. Theologen und Dichter, Denker und Historiker, Ritter und Bürger.
Krieger und Redner, eigenartige und ursprüngliche Geister und Charaktere in
jeder Richtung begegnen dem forschenden Auge überall im damaligen Volke.
Und auch wer die Schaar der Fürsten jener Zeit prüfend und musternd durch¬
wandert, trifft auf nicht wenige stattliche und achtungswerthe Gestalten, got-
tesfürchtige und fromme Bäter ihres Landes, religiöse Borbilder ihrer Unter¬
thanen, patriarchalische Beschützer der neuen kirchlichen Pflanzungen und neben
ihnen schlagfertige Soldaten, feurige Reitcrsleute und lustige Zecher, oder sorg¬
same Hauswirthe und treue Aufseher der Landesverwaltungen.

Einer aber ist unter ihnen, der Seinesgleichen nicht hat, — ein einziger


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[0451] Mittel desselben benutzt hätte! Jene, Kurfürsten, Friedrich der Weise, Johann der Beständige, Johann Friedrich-der Großmüthige, sie waren sehr brave, ehrbare Leute, aber schlechte Politiker, sie waren mehr fromm als klug: sie beteten, wo sie denken, sie redeten,, wo sie arbeiten sollten. Sie haben für sich und ihr Sachsen unendlich viel' verpaßt, sie haben gegen die Zukunft des Protestantismus schwer gesündigt. Das wurde anders, als ein junger Fürst aus , einer Seitenlinie des Hau¬ ses den Kurhut, den er dem Better von Haupte gerissen,'W^Äfsetzte. als er in kurzer Zeit sich mit seiner Thatkraft und seiner Einsicht-zum Führer des protestantischen Deutschland aufwarf. Da sah es aus, als ob in Kurfürst Moritz der Mann erschienen sei, welcher der deutschen Geschichte ihre Bahn anweisen und ihre Richtung bestimmen werde. Es war ihm nicht beschieden, seine volle Größe in bleibenden Resultaten zu erweisen. Noch im Beginn seiner Laufbahn raffte eine feindliche Kugel den 32jährigen weg: er wurde nicht ersetzt. Sein Nachfolger war nicht der Mann, auf der Höhe, auf die ihn Moritz gestellt, sich nur aufrecht zu erhalten, bald war Sachsen wieder auf dem Niveau der übrigen deutschen Territorien angelangt. Und die von Moritz ergriffene Möglichkeit allgemeinerer Bedeutung war dahin, als Sachsens Fürsten sich und ihr Land mit einem engherzigen und beschränkten Confesfionalismus identificirten. Das war auch damals im 16. Jahrhundert nicht möglich, auf die Orthodoxie einer einzelnen Confession eine leitende Stellung zu gründen. In der ungeheueren Krisis des 30jährigen Krieges war Sachsen schon völlig aus der Rolle herausgefallen: die Stelle im protestantischen Norden war leer geworden; erst Brandenburg-Preußens Großer Kurfürst hat in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Aufgabe, an der Sachsen sich verge¬ bens versucht, aufgenommen und gelöst. Die Reformationszeit in Deutschland ist reich an interessanten Persön¬ lichkeiten. In verschwenderischer Fülle und Mannigfaltigkeit sind Helden des Geistes und der Feder und des Schwertes über die Gauen Deutschlands aus¬ gestreut. Theologen und Dichter, Denker und Historiker, Ritter und Bürger. Krieger und Redner, eigenartige und ursprüngliche Geister und Charaktere in jeder Richtung begegnen dem forschenden Auge überall im damaligen Volke. Und auch wer die Schaar der Fürsten jener Zeit prüfend und musternd durch¬ wandert, trifft auf nicht wenige stattliche und achtungswerthe Gestalten, got- tesfürchtige und fromme Bäter ihres Landes, religiöse Borbilder ihrer Unter¬ thanen, patriarchalische Beschützer der neuen kirchlichen Pflanzungen und neben ihnen schlagfertige Soldaten, feurige Reitcrsleute und lustige Zecher, oder sorg¬ same Hauswirthe und treue Aufseher der Landesverwaltungen. Einer aber ist unter ihnen, der Seinesgleichen nicht hat, — ein einziger

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/451>, abgerufen am 26.06.2024.