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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Tages abfällig über den ersten Liebhaber, der damals am Theater von Nantes
wirkte. Der Director, welcher zugegen war, vertheidigte jenen und meinte, er
möchte doch einmal den Herrn Kritiker an dessen Stelle sehen. Villemessant
erwiderte, das solle ihm werden, und er werde die Rolle besser spielen, als
der Getadelte. "Topp", sagte der Director, "und ich wette 1800 Fras., daß
Sie nicht einmal wagen werden, die Bühne zu betreten." Er wagte damit
nichts, wie die Sache sich auch gestalten mochte. Ging Villemessant auf die
Wette ein und ließ ihn schließlich seine Dreistigkeit im Stich, so behielt der
Director Recht und bekam überdieß 1600 Fras. Hatte Jener dagegen den
Muth, auf den Brettern zu erscheinen, so verdoppelte er dadurch ohne Zweifel
die Einnahme der Kasse für den Abend. Villemessant nahm die Wette an
und sah sich einen Monat zur Einübung auf seine Rolle als Antenor in
dem Vaudeville "Eine Leidenschaft" gewährt. Der Director ging ihm dabei
gefällig und großmüthig an die Hand, that aber zugleich Alles, was in seinen
Kräften stand, um die Wette unter die Leute zu bringen, so daß die Stadt
mehrere Wochen in der größten Aufregung war.

Kopf an Kopf stand am Abend der Entscheidung das Publikum vor
dem Theater, und kaum waren die Thüren geöffnet, so war das Haus auch
schon bis zum Paradies hinauf gepfropft voll Menschen. Die Vorstellung be¬
gann mit irgend etwas, worauf Niemand Acht gab. Dann folgte das Stück,
in dem Villemessant zeigen sollte, was er taugte, und jetzt mag er selbst
weiter erzählen:

"Nunmehr dicht vor das Wagniß gestellt, mit dem einen Fuß schon auf
den Brettern, fühlte ich, wie mir der Muth vor der drohenden Gefahr aus¬
gehen wollte. Ein Krampf packte mich, wie Nebel und Funken fuhr mir's
vor den Augen herum. Ich empfand in den Beinen das nervöse Zittern des
Rekruten, der zum ersten Mal ins Feuer soll, und deutlich hörte ich das
Ticktack meines Herzens, welches wie der Perpendikel einer Wanduhr schlug.
Als ich den Ruf: Vorhang auf! vernahm, stockte mir all mein Blut in den
Adern . . . Die Gardine hebt sich . . . Heda! Sie sind d'ran, schreit mir Einer
in der Coulisse zu. Sie sind an der Reihe. Vortreten, vorwärts... Den
Teufel auch, ich weiß gut genug, daß ich jetzt spielen soll! Aber Furcht und
Aufregung nageln mich an die Stelle. Meine Entschlossenheit schwindet. Na
denn, trete vor, wer's fertig kriegt, ich weiche nicht aus der Coulisse... Da
stürzt einer meiner Freunde meuchlings auf mich los und versetzt mir einen
herzhaften Stoß in den Rücken. Ich kannte drei Schritte nach vorn ... Ich
stehe auf der Bühne. Ich bin richtig da . . . Ein fürchterliches Hurrah begrüßt
mein Erscheinen, der ganze weite Saal zappelt und windet sich in homerischen
Gelächter . . . Und wenn ich hundert Jahre alt würde, nimmermehr würde ich
den Eindruck vergessen, den auf all mein Sein und Wesen der Anblick dieses


Tages abfällig über den ersten Liebhaber, der damals am Theater von Nantes
wirkte. Der Director, welcher zugegen war, vertheidigte jenen und meinte, er
möchte doch einmal den Herrn Kritiker an dessen Stelle sehen. Villemessant
erwiderte, das solle ihm werden, und er werde die Rolle besser spielen, als
der Getadelte. „Topp", sagte der Director, „und ich wette 1800 Fras., daß
Sie nicht einmal wagen werden, die Bühne zu betreten." Er wagte damit
nichts, wie die Sache sich auch gestalten mochte. Ging Villemessant auf die
Wette ein und ließ ihn schließlich seine Dreistigkeit im Stich, so behielt der
Director Recht und bekam überdieß 1600 Fras. Hatte Jener dagegen den
Muth, auf den Brettern zu erscheinen, so verdoppelte er dadurch ohne Zweifel
die Einnahme der Kasse für den Abend. Villemessant nahm die Wette an
und sah sich einen Monat zur Einübung auf seine Rolle als Antenor in
dem Vaudeville „Eine Leidenschaft" gewährt. Der Director ging ihm dabei
gefällig und großmüthig an die Hand, that aber zugleich Alles, was in seinen
Kräften stand, um die Wette unter die Leute zu bringen, so daß die Stadt
mehrere Wochen in der größten Aufregung war.

Kopf an Kopf stand am Abend der Entscheidung das Publikum vor
dem Theater, und kaum waren die Thüren geöffnet, so war das Haus auch
schon bis zum Paradies hinauf gepfropft voll Menschen. Die Vorstellung be¬
gann mit irgend etwas, worauf Niemand Acht gab. Dann folgte das Stück,
in dem Villemessant zeigen sollte, was er taugte, und jetzt mag er selbst
weiter erzählen:

„Nunmehr dicht vor das Wagniß gestellt, mit dem einen Fuß schon auf
den Brettern, fühlte ich, wie mir der Muth vor der drohenden Gefahr aus¬
gehen wollte. Ein Krampf packte mich, wie Nebel und Funken fuhr mir's
vor den Augen herum. Ich empfand in den Beinen das nervöse Zittern des
Rekruten, der zum ersten Mal ins Feuer soll, und deutlich hörte ich das
Ticktack meines Herzens, welches wie der Perpendikel einer Wanduhr schlug.
Als ich den Ruf: Vorhang auf! vernahm, stockte mir all mein Blut in den
Adern . . . Die Gardine hebt sich . . . Heda! Sie sind d'ran, schreit mir Einer
in der Coulisse zu. Sie sind an der Reihe. Vortreten, vorwärts... Den
Teufel auch, ich weiß gut genug, daß ich jetzt spielen soll! Aber Furcht und
Aufregung nageln mich an die Stelle. Meine Entschlossenheit schwindet. Na
denn, trete vor, wer's fertig kriegt, ich weiche nicht aus der Coulisse... Da
stürzt einer meiner Freunde meuchlings auf mich los und versetzt mir einen
herzhaften Stoß in den Rücken. Ich kannte drei Schritte nach vorn ... Ich
stehe auf der Bühne. Ich bin richtig da . . . Ein fürchterliches Hurrah begrüßt
mein Erscheinen, der ganze weite Saal zappelt und windet sich in homerischen
Gelächter . . . Und wenn ich hundert Jahre alt würde, nimmermehr würde ich
den Eindruck vergessen, den auf all mein Sein und Wesen der Anblick dieses


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[0428] Tages abfällig über den ersten Liebhaber, der damals am Theater von Nantes wirkte. Der Director, welcher zugegen war, vertheidigte jenen und meinte, er möchte doch einmal den Herrn Kritiker an dessen Stelle sehen. Villemessant erwiderte, das solle ihm werden, und er werde die Rolle besser spielen, als der Getadelte. „Topp", sagte der Director, „und ich wette 1800 Fras., daß Sie nicht einmal wagen werden, die Bühne zu betreten." Er wagte damit nichts, wie die Sache sich auch gestalten mochte. Ging Villemessant auf die Wette ein und ließ ihn schließlich seine Dreistigkeit im Stich, so behielt der Director Recht und bekam überdieß 1600 Fras. Hatte Jener dagegen den Muth, auf den Brettern zu erscheinen, so verdoppelte er dadurch ohne Zweifel die Einnahme der Kasse für den Abend. Villemessant nahm die Wette an und sah sich einen Monat zur Einübung auf seine Rolle als Antenor in dem Vaudeville „Eine Leidenschaft" gewährt. Der Director ging ihm dabei gefällig und großmüthig an die Hand, that aber zugleich Alles, was in seinen Kräften stand, um die Wette unter die Leute zu bringen, so daß die Stadt mehrere Wochen in der größten Aufregung war. Kopf an Kopf stand am Abend der Entscheidung das Publikum vor dem Theater, und kaum waren die Thüren geöffnet, so war das Haus auch schon bis zum Paradies hinauf gepfropft voll Menschen. Die Vorstellung be¬ gann mit irgend etwas, worauf Niemand Acht gab. Dann folgte das Stück, in dem Villemessant zeigen sollte, was er taugte, und jetzt mag er selbst weiter erzählen: „Nunmehr dicht vor das Wagniß gestellt, mit dem einen Fuß schon auf den Brettern, fühlte ich, wie mir der Muth vor der drohenden Gefahr aus¬ gehen wollte. Ein Krampf packte mich, wie Nebel und Funken fuhr mir's vor den Augen herum. Ich empfand in den Beinen das nervöse Zittern des Rekruten, der zum ersten Mal ins Feuer soll, und deutlich hörte ich das Ticktack meines Herzens, welches wie der Perpendikel einer Wanduhr schlug. Als ich den Ruf: Vorhang auf! vernahm, stockte mir all mein Blut in den Adern . . . Die Gardine hebt sich . . . Heda! Sie sind d'ran, schreit mir Einer in der Coulisse zu. Sie sind an der Reihe. Vortreten, vorwärts... Den Teufel auch, ich weiß gut genug, daß ich jetzt spielen soll! Aber Furcht und Aufregung nageln mich an die Stelle. Meine Entschlossenheit schwindet. Na denn, trete vor, wer's fertig kriegt, ich weiche nicht aus der Coulisse... Da stürzt einer meiner Freunde meuchlings auf mich los und versetzt mir einen herzhaften Stoß in den Rücken. Ich kannte drei Schritte nach vorn ... Ich stehe auf der Bühne. Ich bin richtig da . . . Ein fürchterliches Hurrah begrüßt mein Erscheinen, der ganze weite Saal zappelt und windet sich in homerischen Gelächter . . . Und wenn ich hundert Jahre alt würde, nimmermehr würde ich den Eindruck vergessen, den auf all mein Sein und Wesen der Anblick dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/428>, abgerufen am 22.07.2024.