Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Volksgeist von der Natur selbst zum privilegirten Erzeuger dessen gestempelt,
was wir gleichfalls mit einem französischen Ausdruck "Mode" nennen. Eigent¬
lich ist dieser Begriff dem deutschen Gebiete so völlig fremd, daß es unmöglich
ist, auch nur annähernd eine Uebertragung in unsere Sprache zu geben, was
doch sonst mit allen Fremdwörtern -- wenn auch nur annähernd -- geschehen
kann, falls man sich Mühe darum giebt. Die "Mode", jene ächt französische
Tochter und National-Göttin, wird auch immer nur Frankreich gehören und
durch sie wird es in seiner Art die übrige Welt beherschen, so lange es selbst
eristirt. Denn gleichviel wie stark sich die Andern gelegentlich wenden und
drehen mögen, sie werden diese Ketten doch nie abschütteln. -- Diese Mode
hat nun auch, wie sich an einzelnen concreten Beispielen nachweisen ließ und
wie hundert andere beizubringen wären, zwar nicht den Typus, aber die
Formen unseres Verhältnisses zu dem Pferde fast überall unter ihre Zwangs¬
herrschaft gebracht. So weit damit bloß dem Luxus des Lebens und nicht
seinen eigentlichen Bedürfnissen eine begreiflich principiell verkehrte, weil fremd¬
artige oder von außen aufgedrungene Gestaltung gegeben wird, wäre nicht
viel darüber zu sagen. Aber wenn z. B. unsere moderne Manier der Sports,
der Wettrennen nach englischem Muster, in thörichter Verkennung der deutschen
Eigenart, der Besonderheit der Bedürfnisse der Heimath, der Individualität
des deutschen Rosses, wahrhaft zerstörend auf die besten und wichtigsten Eigen¬
schaften von Roß und Reiter nach ächt deutschem Typus wirkt, dann ist es
Zeit zu einer Reaction von Seite derer, die auf der Höhe der practischen
Einsicht die verkehrte Richtung der eingeschlagenen Bahn zu übersehen ver¬
mögen. In solchen Fällen bloß auf die ungestörtere Naturkraft des Volks¬
geistes und die daraus von selbst folgende Reaction der Vernunft zu ver¬
trauen, heißt die Hände aus Trägheit, die an Gewissenlosigkeit streift, in den Schoß
legen. So wenig wir, wenn wir Verstand und Gewissen haben, auf einem viel
höheren und entscheidenderen Felde, dem des religiösen Lebens, uns heute dabei
beruhigen dürfen, daß sich alles von selbst machen werde, und daß es über¬
flüssig sei, das schon leider so tief eingefressene Krebsgeschwür des Jesuitismus
und Mtramontanismus mit dem schärfsten Messer des Operateurs radical
auszuschneiden -- so wenig, wenn es erlaubt ist das kleinste oder kleine
neben das größte zu stellen -- dürfen alle deutschen Kenner und Sachver¬
ständigen in Bezug auf den edelsten, weil zu den höchsten nationalen Zwecken,
der Vertheidigung des Vaterlandes, unentbehrlichen Genossen des Menschen
müde werden, den Unfug der Mode, der unsere heimische Pferdezucht und
Redekunst untergräbt, an den Pranger zu stellen und ihn nicht bloß mit Wor¬
ten, sondern mit Thaten zu vernichten. Wir andern, die wir ebenso sehr vom
Standpunkte des theoretischen Beobachters der Culturschwingungen im Volks¬
leben, wie von dem des Patrioten, dem alles, was zu der Größe und Eigen-


Volksgeist von der Natur selbst zum privilegirten Erzeuger dessen gestempelt,
was wir gleichfalls mit einem französischen Ausdruck „Mode" nennen. Eigent¬
lich ist dieser Begriff dem deutschen Gebiete so völlig fremd, daß es unmöglich
ist, auch nur annähernd eine Uebertragung in unsere Sprache zu geben, was
doch sonst mit allen Fremdwörtern — wenn auch nur annähernd — geschehen
kann, falls man sich Mühe darum giebt. Die „Mode", jene ächt französische
Tochter und National-Göttin, wird auch immer nur Frankreich gehören und
durch sie wird es in seiner Art die übrige Welt beherschen, so lange es selbst
eristirt. Denn gleichviel wie stark sich die Andern gelegentlich wenden und
drehen mögen, sie werden diese Ketten doch nie abschütteln. — Diese Mode
hat nun auch, wie sich an einzelnen concreten Beispielen nachweisen ließ und
wie hundert andere beizubringen wären, zwar nicht den Typus, aber die
Formen unseres Verhältnisses zu dem Pferde fast überall unter ihre Zwangs¬
herrschaft gebracht. So weit damit bloß dem Luxus des Lebens und nicht
seinen eigentlichen Bedürfnissen eine begreiflich principiell verkehrte, weil fremd¬
artige oder von außen aufgedrungene Gestaltung gegeben wird, wäre nicht
viel darüber zu sagen. Aber wenn z. B. unsere moderne Manier der Sports,
der Wettrennen nach englischem Muster, in thörichter Verkennung der deutschen
Eigenart, der Besonderheit der Bedürfnisse der Heimath, der Individualität
des deutschen Rosses, wahrhaft zerstörend auf die besten und wichtigsten Eigen¬
schaften von Roß und Reiter nach ächt deutschem Typus wirkt, dann ist es
Zeit zu einer Reaction von Seite derer, die auf der Höhe der practischen
Einsicht die verkehrte Richtung der eingeschlagenen Bahn zu übersehen ver¬
mögen. In solchen Fällen bloß auf die ungestörtere Naturkraft des Volks¬
geistes und die daraus von selbst folgende Reaction der Vernunft zu ver¬
trauen, heißt die Hände aus Trägheit, die an Gewissenlosigkeit streift, in den Schoß
legen. So wenig wir, wenn wir Verstand und Gewissen haben, auf einem viel
höheren und entscheidenderen Felde, dem des religiösen Lebens, uns heute dabei
beruhigen dürfen, daß sich alles von selbst machen werde, und daß es über¬
flüssig sei, das schon leider so tief eingefressene Krebsgeschwür des Jesuitismus
und Mtramontanismus mit dem schärfsten Messer des Operateurs radical
auszuschneiden — so wenig, wenn es erlaubt ist das kleinste oder kleine
neben das größte zu stellen — dürfen alle deutschen Kenner und Sachver¬
ständigen in Bezug auf den edelsten, weil zu den höchsten nationalen Zwecken,
der Vertheidigung des Vaterlandes, unentbehrlichen Genossen des Menschen
müde werden, den Unfug der Mode, der unsere heimische Pferdezucht und
Redekunst untergräbt, an den Pranger zu stellen und ihn nicht bloß mit Wor¬
ten, sondern mit Thaten zu vernichten. Wir andern, die wir ebenso sehr vom
Standpunkte des theoretischen Beobachters der Culturschwingungen im Volks¬
leben, wie von dem des Patrioten, dem alles, was zu der Größe und Eigen-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128877"/>
          <p xml:id="ID_1355" prev="#ID_1354" next="#ID_1356"> Volksgeist von der Natur selbst zum privilegirten Erzeuger dessen gestempelt,<lb/>
was wir gleichfalls mit einem französischen Ausdruck &#x201E;Mode" nennen. Eigent¬<lb/>
lich ist dieser Begriff dem deutschen Gebiete so völlig fremd, daß es unmöglich<lb/>
ist, auch nur annähernd eine Uebertragung in unsere Sprache zu geben, was<lb/>
doch sonst mit allen Fremdwörtern &#x2014; wenn auch nur annähernd &#x2014; geschehen<lb/>
kann, falls man sich Mühe darum giebt. Die &#x201E;Mode", jene ächt französische<lb/>
Tochter und National-Göttin, wird auch immer nur Frankreich gehören und<lb/>
durch sie wird es in seiner Art die übrige Welt beherschen, so lange es selbst<lb/>
eristirt. Denn gleichviel wie stark sich die Andern gelegentlich wenden und<lb/>
drehen mögen, sie werden diese Ketten doch nie abschütteln. &#x2014; Diese Mode<lb/>
hat nun auch, wie sich an einzelnen concreten Beispielen nachweisen ließ und<lb/>
wie hundert andere beizubringen wären, zwar nicht den Typus, aber die<lb/>
Formen unseres Verhältnisses zu dem Pferde fast überall unter ihre Zwangs¬<lb/>
herrschaft gebracht. So weit damit bloß dem Luxus des Lebens und nicht<lb/>
seinen eigentlichen Bedürfnissen eine begreiflich principiell verkehrte, weil fremd¬<lb/>
artige oder von außen aufgedrungene Gestaltung gegeben wird, wäre nicht<lb/>
viel darüber zu sagen. Aber wenn z. B. unsere moderne Manier der Sports,<lb/>
der Wettrennen nach englischem Muster, in thörichter Verkennung der deutschen<lb/>
Eigenart, der Besonderheit der Bedürfnisse der Heimath, der Individualität<lb/>
des deutschen Rosses, wahrhaft zerstörend auf die besten und wichtigsten Eigen¬<lb/>
schaften von Roß und Reiter nach ächt deutschem Typus wirkt, dann ist es<lb/>
Zeit zu einer Reaction von Seite derer, die auf der Höhe der practischen<lb/>
Einsicht die verkehrte Richtung der eingeschlagenen Bahn zu übersehen ver¬<lb/>
mögen. In solchen Fällen bloß auf die ungestörtere Naturkraft des Volks¬<lb/>
geistes und die daraus von selbst folgende Reaction der Vernunft zu ver¬<lb/>
trauen, heißt die Hände aus Trägheit, die an Gewissenlosigkeit streift, in den Schoß<lb/>
legen. So wenig wir, wenn wir Verstand und Gewissen haben, auf einem viel<lb/>
höheren und entscheidenderen Felde, dem des religiösen Lebens, uns heute dabei<lb/>
beruhigen dürfen, daß sich alles von selbst machen werde, und daß es über¬<lb/>
flüssig sei, das schon leider so tief eingefressene Krebsgeschwür des Jesuitismus<lb/>
und Mtramontanismus mit dem schärfsten Messer des Operateurs radical<lb/>
auszuschneiden &#x2014; so wenig, wenn es erlaubt ist das kleinste oder kleine<lb/>
neben das größte zu stellen &#x2014; dürfen alle deutschen Kenner und Sachver¬<lb/>
ständigen in Bezug auf den edelsten, weil zu den höchsten nationalen Zwecken,<lb/>
der Vertheidigung des Vaterlandes, unentbehrlichen Genossen des Menschen<lb/>
müde werden, den Unfug der Mode, der unsere heimische Pferdezucht und<lb/>
Redekunst untergräbt, an den Pranger zu stellen und ihn nicht bloß mit Wor¬<lb/>
ten, sondern mit Thaten zu vernichten. Wir andern, die wir ebenso sehr vom<lb/>
Standpunkte des theoretischen Beobachters der Culturschwingungen im Volks¬<lb/>
leben, wie von dem des Patrioten, dem alles, was zu der Größe und Eigen-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Volksgeist von der Natur selbst zum privilegirten Erzeuger dessen gestempelt, was wir gleichfalls mit einem französischen Ausdruck „Mode" nennen. Eigent¬ lich ist dieser Begriff dem deutschen Gebiete so völlig fremd, daß es unmöglich ist, auch nur annähernd eine Uebertragung in unsere Sprache zu geben, was doch sonst mit allen Fremdwörtern — wenn auch nur annähernd — geschehen kann, falls man sich Mühe darum giebt. Die „Mode", jene ächt französische Tochter und National-Göttin, wird auch immer nur Frankreich gehören und durch sie wird es in seiner Art die übrige Welt beherschen, so lange es selbst eristirt. Denn gleichviel wie stark sich die Andern gelegentlich wenden und drehen mögen, sie werden diese Ketten doch nie abschütteln. — Diese Mode hat nun auch, wie sich an einzelnen concreten Beispielen nachweisen ließ und wie hundert andere beizubringen wären, zwar nicht den Typus, aber die Formen unseres Verhältnisses zu dem Pferde fast überall unter ihre Zwangs¬ herrschaft gebracht. So weit damit bloß dem Luxus des Lebens und nicht seinen eigentlichen Bedürfnissen eine begreiflich principiell verkehrte, weil fremd¬ artige oder von außen aufgedrungene Gestaltung gegeben wird, wäre nicht viel darüber zu sagen. Aber wenn z. B. unsere moderne Manier der Sports, der Wettrennen nach englischem Muster, in thörichter Verkennung der deutschen Eigenart, der Besonderheit der Bedürfnisse der Heimath, der Individualität des deutschen Rosses, wahrhaft zerstörend auf die besten und wichtigsten Eigen¬ schaften von Roß und Reiter nach ächt deutschem Typus wirkt, dann ist es Zeit zu einer Reaction von Seite derer, die auf der Höhe der practischen Einsicht die verkehrte Richtung der eingeschlagenen Bahn zu übersehen ver¬ mögen. In solchen Fällen bloß auf die ungestörtere Naturkraft des Volks¬ geistes und die daraus von selbst folgende Reaction der Vernunft zu ver¬ trauen, heißt die Hände aus Trägheit, die an Gewissenlosigkeit streift, in den Schoß legen. So wenig wir, wenn wir Verstand und Gewissen haben, auf einem viel höheren und entscheidenderen Felde, dem des religiösen Lebens, uns heute dabei beruhigen dürfen, daß sich alles von selbst machen werde, und daß es über¬ flüssig sei, das schon leider so tief eingefressene Krebsgeschwür des Jesuitismus und Mtramontanismus mit dem schärfsten Messer des Operateurs radical auszuschneiden — so wenig, wenn es erlaubt ist das kleinste oder kleine neben das größte zu stellen — dürfen alle deutschen Kenner und Sachver¬ ständigen in Bezug auf den edelsten, weil zu den höchsten nationalen Zwecken, der Vertheidigung des Vaterlandes, unentbehrlichen Genossen des Menschen müde werden, den Unfug der Mode, der unsere heimische Pferdezucht und Redekunst untergräbt, an den Pranger zu stellen und ihn nicht bloß mit Wor¬ ten, sondern mit Thaten zu vernichten. Wir andern, die wir ebenso sehr vom Standpunkte des theoretischen Beobachters der Culturschwingungen im Volks¬ leben, wie von dem des Patrioten, dem alles, was zu der Größe und Eigen-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/423>, abgerufen am 22.07.2024.